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Selbst entwickelte Messräder

Schleudersitz? Hochschule Karlsruhe untersucht Belastung von Babys im Fahrradanhänger

Nach der Geburt ihres Kindes fahren selbst fahrradbegeisterte Eltern eine Zeitlang kaum Rad. Vor allem sorgen sie sich um die Gesundheit ihres Babys: Rütteln die Fahrradanhänger die Neugeborenen zu heftig durch? Dem ging die Hochschule Karlsruhe nach.

Wer oft viel mit dem Fahrrad transportiert, freut sich über einen “Kofferraum“ in Form eines Anhängers.
Vor dem alltäglichen Gebrauch eines Fahrradanhängers in der Stadt schrecken viele Eltern zurück, weil sie zum Beispiel befürchten, dass dem Nachwuchs zu viele Abgase um die Nase wehen. Foto: Tobias Hase/dpa

Selbst fahrradbegeisterte Eltern fahren nach der Geburt ihres Kindes eine Zeitlang kaum oder gar nicht Rad. Sie steigen vor allem auf das Auto um oder gehen lieber zu Fuß. Ihren Wechsel erklären sie mit fehlenden Abstellmöglichkeiten für Fahrradanhänger oder Lastenräder sowie mit der Unwissenheit über technische Möglichkeiten des Kindertransports und seiner gesetzlichen Regeln.

Vor allem sorgen sie sich aber um die Gesundheit ihres Babys: Rütteln die Fahrradanhänger die Neugeborenen zu heftig durch? Und wie steht es um den Feinstaub bei der Mitfahrt des Babys auf dem Drahtesel? Dem ging die Hochschule Karlsruhe nach. Mit ihren Sensorbikes. Die Sensorbikes sehen aus wie handelsübliche Trekkingräder oder Pedelecs – sie können aber deutlich mehr.

Sie sind von vorne bis hinten mit Sensorik ausgestattet: Je nach Bedarf mit GPS-Tracker, einem Accelerometer zum Messen von Vibrationen und anderen Beschleunigungskräften, mit Sensoren für Temperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit, Feinstaub, Schallpegel und den Abstand sowie mit Kameras, einem Bremssensor und einem Leistungsmesser in der Tretkurbel.

Studierende an der Hochschule Karlsruhe haben Sensorbikes entwickelt

So können die Einflussgrößen für den Kraftaufwand, die Verkehrssicherheit sowie den Fahrkomfort der Radfahrenden gemessen werden.

„Längsneigung, Windgeschwindigkeit, Fahrbahnoberfläche, Reifendruck und Gewicht werden dem Energieverbrauch der Radfahrenden sowie weiteren Vitalparametern wie Puls gegenübergestellt. Witterung und Klima, Erschütterungen, Luftqualität, Lärmbelastung und Belichtung bilden wichtige Einflussgrößen für die Wahl des Verkehrsmittels und die Route. Die Erhebung von Seitenabständen und Geschwindigkeit des umliegenden Verkehrs, Bremsbeschleunigungen und Verkehrskonflikten ermöglicht neue Ansätze zur Bewertung der Verkehrssicherheit des Radverkehrs“, erklärt Jochen Eckart, Professor für Verkehrsökologie an der Hochschule Karlsruhe.

Zusammen mit Studierenden hat er die Sensorbikes entwickelt. Sie wurden bereits in über 20 studentischen Forschungsprojekten eingesetzt. „Daraus haben sich jetzt auch Projekte entwickelt, die außerhalb der Hochschule finanziert werden“, so Eckart.

Fahrradanhänger für Kinder: Sänfte oder Schleudersitz?

Wie erschütterungsintensiv sind denn nun Fahrradanhänger im Vergleich zum Pkw – entsprechen sie eher einer Sänfte oder einem Schleudersitz? Während der Wuppertaler Professor Jürgen Freiwald Belastungen feststellte, die selbst Kampfjet-Teams überfordern würde, kam die Studie von Schweizer Forschern im Verbund mit dem eidgenössischen Fahrradvertrieb Veloplus zu dem Resultat: Moderne Kinderanhänger sind eher Sänften.

Besonders wenn sie über eine Federung verfügen. Grund genug für die Karlsruher Hochschule, nochmal mit den modernsten Messmethoden ans Werk zu gehen.

Verglichen wurden die Belastungen bei einer Mitnahme des Babys in einem Pkw und im Fahrradanhänger. Als Test-Baby fungierte ein Dummy, acht Kilo schwer, 70 Zentimeter lang. Das entspricht einem Baby im Alter von sechs bis neun Monaten. Die Stärke der Erschütterungen zeichneten Accelerometer am Hinterkopf der Puppe, am Boden des Kindersitzes beziehungsweise des Fahrradanhängers sowie am Pkw-Boden beziehungsweise an der Vordergabel des Rades auf.

Nach mehreren Fahrten auf verschiedenen Routen ergab sich dieses Bild: „Bei der Mitnahme des Babys im Kraftfahrzeug entsprachen gut dreiviertel der gemessenen Erschütterungs- oder Beschleunigungswerte laut ISO-2631-1, also der Bewertung der Effekte von Ganzkörper-Schwingungen auf den Menschen, einem mittleren Komfortbereich. Beim Fahrradanhänger mussten zwei Drittel der Werte als extrem unkomfortabel bewertet werden“, resümiert Eckart.

Nur ein Viertel der Werte lag im mittleren Komfortbereich. Wurde eine dem Rad angemessene Route und eine rücksichtsvolle Fahrweise mit Abbremsen an Schwellen gewählt, senkte sich die Stärke der Stöße erwartungsgemäß beachtlich.

Fahrt im Fahrradanhänger gefährdet Gesundheit der Babys nicht

Doch was bedeutet das für die Gesundheit der Babys? „Für diese Bewertung fehlt ein etablierter Maßstab“, so Eckart. Er vergleicht die Werte der Studie mit den Erschütterungen im Kinderwagen auf unebenem Belag, beim Rennen eines Kleinkindes, beim Spiel „Hoppereiter“ oder beim aggressiven Schütteln, dem Shaken Baby Syndrom.

Die Fahrt im Fahrradanhänger gefährdet die Gesundheit der Babys nicht.
Jochen Eckart, Verkehrsökologe an der Hochschule Karlsruhe

„Diese Werte sind allesamt deutlich höher als die am Kopf des Dummys im Fahrradanhänger gemessenen Werte. Selbst im Vergleich zu gesundheitlich unbedenklichen Aktivitäten, wie dem Transport im Kinderwagen auf unebenen Wegen, sind die Maximalwerte im Fahrradanhänger um den Faktor vier niedriger“, so der Professor. Gemäß diesem Vergleich gefährde die Fahrt im Fahrradanhänger die Gesundheit der Babys nicht.

„Für Säuglinge und Babys gibt es zudem spezielle Sitze, Schalen und sogar eine stoßabsorbierende Hängematte, die zur Dämpfung beitragen“, erinnert der „Kinderfahrrad-Blog“. Trotzdem sei ein sorgfältiger Umgang mit dem Nachwuchs empfehlenswert: Genauso wie mit dem Kinderwagen sollte man auch mit Anhängern in den ersten Monaten besonders umsichtig und mit angepasster Geschwindigkeit unterwegs sein und Rüttelstrecken möglichst meiden. Hilfreich sei es auch, die Reifen mit geringem Luftdruck (etwa 1,5 bar) zu fahren.

Was ist bequemer – der Seitenstreifen oder der Radweg?

Dass Babys im Radanhänger oder Kindersitz einer größeren Feinstaubbelastung ausgesetzt sind als die im Auto gefahrenen Steppkes, muss hier nicht vertieft werden. „Die Belastung sinkt allerdings erheblich, wenn abseits der Hauptverkehrsadern geradelt wird, Zeiten mit geringer Feinstaubbelastung genutzt werden, mit offenem Verdeck gefahren wird und nicht direkt hinter Lastwagen und Transportern gewartet wir“, so Eckart.

Die auf dem Radanhänger gemessenen Feinstaubwerte entsprachen ungefähr den Werten der stationären Messstation der LUBW. „Wenn die stationäre Messstation an der Karlsruher Reinhold-Frank-Straße unter den Feinstaub-Grenzwerten liegt, werden auch beim Radfahren die Grenzwerte eingehalten. Die Gesundheitsgefahr durch Luftschadstoffe bei der Mitnahme von Babys im Hänger ist damit im Vergleich zum Pkw von geringer Bedeutung,“ sagt der Verkehrsökologe.

Beim ersten Studierenden-Projekt mit dem Messfahrrad ging es darum, ob Radfahrer auf Radwegen oder auf Seitenstreifen schneller und bequemer vorankommen. Die Studierenden wollten wissen, wie sich die Gestaltung der Radinfrastruktur auf den Kraftbedarf von Radfahrern auswirkt. Dazu ließen sie 30 Personen eine festgelegte Strecke in der Stadt Karlsruhe abradeln. Gemessen wurden Geschwindigkeit und Leistung während der Fahrt.

Um der Tatsache gerecht zu werden, dass Radfahrer sehr unterschiedlich sind, nahmen sowohl Vielfahrer als auch Alltags- und Wenigradler teil. Das Ergebnis: „In unserem Fall war der Seitenstreifen der Straße tendenziell etwas komfortabler als der Radweg, weil der Radweg oft kurviger war und auf und ab ging“, erzählt Eckart. „Das langfristige Ziel ist, herauszufinden, wie wir die Infrastruktur planen müssen, damit Radfahren bequemer und schneller wird.“

„Bisher wurde der Radverkehr meist aus der Sicht von außen erforscht“, sagt Eckart, Studiendekan des Bachelorstudiengangs Verkehrssystemmanagement.

Wir brauchen einen Wechsel der Perspektive hin zum Radfahrer.
Jochen Eckart, Verkehrsökologe an der Hochschule Karlsruhe

„Eine Weiterentwicklung des Verständnisses des Radverkehrs erfordert jedoch einen Perspektivwechsel hin zur Perspektive des Radfahrers. Wir wollen mit dieser Forschung wichtige Impulse für die künftige Radverkehrsplanung geben und unseren Teil zum Ausbau einer gesundheitsfördernden und emissionsfreien Mobilität beitragen. Aus diesem Grund wollen wir diese Forschungsarbeiten auch fortsetzen und noch zahlreiche weitere offene Fragen aus der Sicht der Radfahrer aufgreifen.“

Höhere Zahl der Probanden für Sensorbikes geplant

Künftig will das Team um Eckart die Zahl der Probanden deutlich erhöhen: Die Sensoren werden immer günstiger, zuverlässiger und besser handhabbar. „Bei der Zusammenfassung der verschiedenen Sensoren zu einem System und deren Skalierung für eine breite Anwendung sind wir noch nicht so weit wie ursprünglich mal geplant“, räumt der Forscher ein.

Gegenwärtig werde der Anschluss an die sich etablierende Plattform OpenBikeSensor geprüft. Damit würde die Karlsruher Forschung größere Kreise ziehen.

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