Skip to main content

Festival im ZKM

ARD-Hörspieltage in Karlsruhe: Jury begeistert sich für Stück mit „grandiosem Wahnsinn“

Zwölf höchst unterschiedliche Hörspiele konkurrieren um den Hauptpreis der ARD-Hörspieltage im ZKM Karlsruhe. Einen Überblick gab zum Auftakt eine öffentliche Diskussion der fünfköpfigen Jury.

Jurydebatte bei den ARD-Hörspieltagen 2022 mit u.a. Jenny Zylka (Juryvorsitzende, links) und Anna Bergmann (Schauspieldirektorin am Staatstheater Karlsruhe, zweite von rechts).
Die Jurydebatte vor Publikum gehört zu den Markenzeichen der ARD-Hörspieltage, die seit 2006 im ZKM Karlsruhe stattfinden. Foto: SWR/Uwe Riehm

Inhalt oder Form? Die Wettbewerbs-Beiträge bei den ARD-Hörspieltagen im ZKM Karlsruhe können mit beidem aufwarten. Allerdings nicht immer gleichzeitig. Dies wurde deutlich beim so kurzweiligen wie anregenden Auftakt des Festivals, das als größtes Treffen der deutschen Hörspielszene gilt. Denn der erste Festivaltag stand im Zeichen der öffentlichen Jury-Diskussion über die insgesamt zwölf eingereichten Produktionen.

Diese öffentliche Debatte ist seit jeher ein Markenzeichen des seit 2006 in Karlsruhe angesiedelten Festivals. Bis zur Corona-Pandemie fand sie gesondert für jedes Hörspiel statt, das jeweils in kompletter Länge im ZKM-Kubus zu hören war.

ARD-Hörspieltage: Hörspiele und Jurystatements in zwei Mal 90 Minuten

Seit dem Neustart des Festivals 2021 ist das Format auf einen Nachmittag komprimiert: In zwei Blöcken zu je 90 Minuten werden alle Hörspiele in kurzen Ausschnitten und mit Jury-Statements vorgestellt.

Das ist angesichts der Anzahl und Vielschichtigkeit des Wettbewerb-Programms durchaus hilfreich. Denn mal ehrlich: Rein wegen des Titels würde man zum Beispiel das Hörspiel „Pig Boy 1986 - 2358. Replay der Menschwerdung“ nicht unbedingt bei einer Radio-Ausstrahlung einschalten. Oder es aus der ARD-Audiothek abrufen, die als Ausspielplattform für Hörspiele mittlerweile mindestens so wichtig ist wie das lineare Programm.

Der grandioseste Wahnsinn, den ich seit langem gehört habe.
Kersty Grether, über das Hörspiel „Pig Boy“

Und damit würde man wohl etwas verpassen. Denn es bleibt zwar abzuwarten, welche Produktion an diesem Samstagabend mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wird. Aber bis auf die Musikerin und Theatermacherin Bernadette La Hengst, der dieses Hörspiel zu sehr „im Schweinsgalopp“ durch seine Themen ging, zeigte sich die Jury weitgehend begeistert. „Der grandioseste Wahnsinn, den ich seit langem gehört habe“, befand die Musikerin und Popkulturjournalistin Kersty Grether

.

Nathalie Singer, Professorin für Experimentelles Radio an der Bauhaus-Universität Weimar, erklärte: „Dieses Stück ist nicht einfach eine Textvertonung, sondern eine echte Radiokomposition, die einen richtigen Sog entwickelt.“

Und Anna Bergmann, Schauspieldirektorin am Staatstheater Karlsruhe, hob den Abwechslungsreichtum des einstündigen Stücks hervor: „Der erste Teil hat mich als Thema gepackt, der zweite Teil ist formal völlig abgefahren und den dritten Teil, der auf einen Monolog reduziert ist, finde ich unglaublich anrührend.“

Hörspiel über das Verhältnis zwischen Mensch und Nutztier

„Pig Boy“ beruht auf einem Text der französischen Autorin Gwendoline Soubin und reflektiert das Verhältnis zwischen Mensch und Nutztier auf vielschichtige Weise: Der erste Teil handelt von einem jungen Mann, der gerne ein Cowboy wäre, dann aber den väterlichen Mastbetrieb erbt.

Der zweite spielt in der Zukunft und dreht sich um das titelgebende Schwein Pig Boy, das als Werbebotschafter ein Luxusleben führt. Und der dritte Teil ist der Monolog einer Zuchtsau, die menschliche Embryonen austragen muss. „Ich hatte nach dem Hörspiel das Gefühl, einen David-Cronenberg-Film gesehen zu haben“, fasste die Publizistin Jenny Zylka als Jury-Vorsitzende ihre Eindrücke zusammen.

Lobende Worte hatte es durchaus auch für andere Produktionen gegeben. Bei der Adaption des Theaterstücks „All right. Good night“ von Helgard Haug fand die Konzeption und die Atmosphäre viel Anklang.

Das im Frühjahr auch beim Berliner Theatertreffen gezeigte Stück verbindet zwei Geschichten von Verlust: Es erinnert an das bis heute nicht geklärte Verschwinden des internationalen Passagierflugzeugs MH370 vom Typ Boeing am 8. März 2014, und es erzählt am Beispiel von Haugs eigenem Vater, wie bei einer Demenzerkrankung eine vertraute Person allmählich verschwindet.

Historischer Krimi mit beklemmend aktuellen Aspekten

Sowohl historisch wie auch beklemmend aktuell ist das Thema von „Blut“: Die Autorin Dana von Suffrin hat Gerichtsakten eines Kriminalfalls aus dem Jahr 1900 aufbereitet und erzählt, wie ein Mord an einem Studenten in der westpreußischen Kleinstadt Konitz zu antisemitischen Ausschreitungen führt. Hier wurde die Kombination aus relevantem Thema und erzählerischem Spannungsbogen hervorgehoben.

Gesellschaftliche Themen und Entwicklungen reflektieren die Hörspieltage aber nicht nur inhaltlich: Zehn der zwölf Stücke des aktuellen Jahrgangs stammen von Autorinnen, acht wurden von Regisseurinnen inszeniert. Eine Statistik, die umso souveräner wirkt, als sie beim Festival selbst gar nicht groß thematisiert wird.

Service

Weitere Veranstaltungen der Hörspieltage an diesem Samstag und Sonntag im ZKM Karlsruhe. www.hoerspieltage.ard.de

nach oben Zurück zum Seitenanfang