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Großes Problem im ÖPNV

„Netz aus dem Lehrbuch“: Karlsruher Studie belegt viel Zuspruch für Deutschlandticket

Das Deutschlandticket hat einiges bewirkt, vor allem in der Region Karlsruhe sind viele Reisende zufrieden. Doch eine Untersuchung der HKA zeigt auch ein großes Problem im Nahverkehr.

Die Werbung für das Deutschlandticket ist am Hauptbahnhof vor einer Bahn des ÖPNV zu sehen.
Das 49 Euro teure Deutschlandticket im öffentlichen Personennahverkehr kommt laut Wissenschaftlern bei vielen Reisenden gut an und hat Auswirkungen auf den Autoverkehr. Foto: Sebastian Gollnow /dpa

Wer kennt nicht den Werbespruch von einem Getränk, das angeblich „Flügel verleiht“. Diese Erfahrung machen offenbar auch einige Menschen in unserer Region, wenn sie mit Bus und Bahn zur Arbeit pendeln. Wie der junge Mann aus Ettlingen, der sich auf der Webseite der Aktion #besserBahnfahren mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) um Karlsruhe zufrieden zeigt.

Trotz der „nervigen“ Verspätungen wolle er den „Öffis“ treu bleiben und dafür jetzt das Deutschlandticket nutzen, schrieb der namentlich nicht bekannte Mann, der sein Feedback mit einem ungewöhnlichen Foto versah. Der Mittdreißiger sieht darauf wie ein Engel aus, der zwei regenbogenfarbene Flügel ausbreitet.

Leider fährt nachts gar keine Bahn nach Hause.
Teilnehmer aus Baden-Baden
ARD-Mitmachaktion #besserBahnfahren

Andere anonyme Einträge sind weniger auffällig, aber nicht minder aufschlussreich. „Ich bin vier Jahre nach Stuttgart gependelt, und es verging keine Woche, in der alles reibungslos klappte“, ärgert sich ein Nutzer oder eine Nutzerin aus Bruchsal. Jemand aus Baden-Baden berichtet, dass es „junge Leute“ oft zum Feiern nach Karlsruhe ziehe: „Leider fährt nachts gar keine Bahn nach Hause“.

Ein Pforzheimer Pendler moniert, dass es keine Züge zwischen 4.40 Uhr und 6.20 Uhr gebe. „Niemand fühlt sich für die Fahrplangestaltung zuständig.“

Dennoch: „Das Deutschlandticket werde ich kaufen und den ÖPNV häufiger nutzen.“ Auf das neue Ticket verzichten will ein grollender Karlsruher Rollstuhlfahrer („Aufzug defekt, Anschluss verpasst“). Völlig begeistert ist dagegen ein(e) Durlacher(in) mit den Bahnen: „Eine bessere Anbindung kann es nicht geben. Ein Netz aus dem Lehrbuch.“

Tausende Pfeile auf der Karte ergeben ein Stimmungsbild

Die interaktive Karte von #besserBahnfahren ist von Tausenden Pfeilen übersät, die für Meinungen und Erfahrungen wie diese stehen. Gemeinsam ergeben sie ein Stimmungsbild der Nation, für die Mobilität ein hohes Gut ist – allerdings der Umweltschutz auch. Wie könnte der ÖPNV attraktiver werden und was leistet der 49-Euro-Monatstarif für die klimaschonende Mobilitätswende? Das sind die zentralen Fragen der bundesweiten Mitmachaktion der ARD, die in Karlsruhe wissenschaftlich betreut wird.

„Wir möchten den Menschen zuhören und die Verkehrsnutzung verstehen“, sagt Jochen Eckart. Der an der Hochschule Karlsruhe (HKA) lehrende Verkehrsökologe hat gemeinsam mit der Psychologin Britta Renner von der Universität Konstanz einen Online-Fragebogen entwickelt, der die Licht- und Schattenseiten des ÖPNV in Deutschland offenlegt.

Im Projekt #besserBahnfahren konnten alle Reisenden dem Forscherteam von ihren Erlebnissen frei berichten: So kamen von Mai bis August etwa 5.000 Meldungen zusammen. Anschließend schickte Eckarts Team den Teilnehmern 2.000 detaillierte Fragebögen, um deren Zufriedenheit zu messen und die Motive der Entscheidung für und wider das 49-Euro-Ticket transparent zu machen.

Die Ergebnisse der Auswertung haben einige Annahmen der Forscher bestätigt, andere waren dagegen überraschend. „Von den Meldungen auf der Online-Plattform sind 75 Prozent negativ und 25 Prozent positiv gewesen“, berichtet Eckart im Gespräch mit dieser Zeitung. „Wir haben dann gefragt: ,Wie waren Ihre gestrigen Erfahrungen mit dem ÖPNV?’ Zwei Drittel nannten sie positiv, und ein Drittel negativ.“

Der ÖPNV ist nicht so schlecht, wie das oft gesagt wird.
Jochen Eckart
Verkehrsökologe an der Hochschule Karlsruhe

Der scheinbare Widerspruch erkläre sich damit, dass sich Menschen an besondere Dinge, über die sie sich geärgert hätten, besser erinnern würden, sagt der Karlsruher Fachmann. „Der ÖPNV ist nicht so schlecht, wie das oft gesagt wird“, stellt er fest. Allerdings hätten die Verkehrsunternehmen ein Imageproblem. „Sie können nicht damit herausreden, dass zum Beispiel die Pünktlichkeit bei Regionalbahnen 91 Prozent beträgt. Die neun Prozent der Fälle, in denen es nicht so gut läuft, prägen unser Bild über den Verkehr.“

Der wirkliche Widerspruch besteht aus Eckarts Sicht in der Differenz zwischen Wunsch und Wahrnehmung. „Zum einen ist der Öffentliche Verkehr heute das Buhkind der Nation, zum anderen das Hoffnungskind unserer Mobilitätswende.“

In der Rangliste der Beschwerden von Fahrgästen stehe die (Un-)Pünktlichkeit von Bussen und Bahnen ganz oben, gefolgt von Ausfällen, der geringen Taktdichte sowie der langen Fahr- und Wartezeit. „Die Kosten kommen viel weiter hinten“, erzählt der Verkehrsökologe. Dieser Faktor hat demnach durch das Deutschlandticket an Bedeutung verloren.

Erfahrungen mit dem Nahverkehr und dem Deutschland-Ticket | SWR-Studie, Hochschule Karlsruhe
Erfahrungen mit dem Nahverkehr und dem Deutschland-Ticket | SWR-Studie, Hochschule Karlsruhe Foto: bnn-iNFOGRAFIK

„Will man den Nahverkehr in seinen Alltag einbinden, muss er verlässlich und alltagstauglich sein“, steht für Eckart fest. Bei den urbanen Nutzern habe die Pünktlichkeit die höchste Priorität.

Auf dem Land seien außerdem der Takt und die Fahrzeit wichtig. „Bei der Auswertung der Meldungen aus Baden-Württemberg fiel uns Karlsruhe als die Stadt mit den meisten positiven Meldungen besonders auf“, lobt der HKA-Experte. „Ich finde auch, dass die Verkehrsbetriebe hier einen guten Job machen.“

Deutschlandticket: Die meisten Nutzer machen positive Erfahrungen

Hat das Deutschlandticket nach vier Monaten etwas bewirkt? Und wie ist seine Akzeptanz? In der ARD-Mitmachaktion gaben drei von vier Befragten an, das günstige Fahrangebot nutzen zu wollen oder bereits zu nutzen. Nur zwölf Prozent haben damit schlechte Erfahrungen gemacht. „Die Nutzer sind meistens positiv überrascht – das ist erfreulich“, sagt Eckart.

„Die Menschen, die häufig mit dem ÖPNV unterwegs sind, haben großes Interesse am Ticket“, führt der wissenschaftliche Leiter weiter aus. „Wer selten fährt, weil er wahrscheinlich kein gutes Angebot hat, ist weniger am Ticket interessiert, weil er seinen Nutzen als gering ansieht.“ So weit, so logisch. Allerdings weist das größte Crowd-Science-Projekt dieser Art auch eine wichtige Veränderung hin zu einer klimafreundlichen Mobilität nach.

Mann kann sagen, dass das Deutschlandticket den gewünschten Effekt bringt.
Jochen Eckart
Projektleiter #besserBahnfahren

Demnach hat die Hälfte der am Deutschlandticket interessierten Studienteilnehmer den Wunsch geäußert, häufiger den Öffentlichen Nahverkehr zu nutzen.

Sieben Prozent der Befragten nutzen mit dem neuen Ticket ihr Auto seltener. „Auf die Gesamtzahl gerechnet sind sieben Prozent nicht sehr viel“, sagt Jochen Eckart. „Trotzdem kann man heute sagen, dass das Deutschlandticket den gewünschten Effekt bringt.“

Der Karlsruher Forscher empfiehlt den Politikern, sich in Zukunft weniger mit dem Preismodell des niedrigschwelligen Mobilitätsangebots zu beschäftigen und dafür das Augenmerk auf die Zuverlässigkeit des Nahverkehrs zu legen.

„Dass die Pünktlichkeit in der öffentlichen Diskussion zentral geworden ist, hat mich überrascht“, sagt Eckart. „Die Unternehmen sollten sich um dieses Thema aktiver kümmern, und es sollte mehr Investitionen in die Infrastruktur des ÖPNV geben.“ 

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