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Herausforderung Demenz

Eintauchen in Karlsruher Unterwasserwelten hilft beim Kampf gegen das Vergessen

Farben, Fakten, Vielfalt: Mit ungewöhnlichen Vormittagen im Naturkundemuseum Karlsruhe unterstützt das Netzwerk Demenz Karlsruhe Betroffene und Angehörige.

Ein Mann im T-Shirt steht vor einer Panoramascheibe eines Großaquariums mit einem Hai und Fischen an einem Korallenriff.
Deutschlandweit spitze ist die Meerwasser-Aquaristik im Naturkundemuseum Karlsruhe. Vivariumsleiter Johann Kirchhauser hat das XXL-Korallenriff mit dem Schwarzspitzen-Riffhai gestaltet. Es inspiriert – auch Besucher mit Demenz. Foto: Jörg Donecker

Montags wird intensiv geputzt im Westflügel des Staatlichen Naturkundemuseums Karlsruhe. Das erhält die Brillanz der großen und kleineren Aquarien und Schaubecken. So kommen die Schwärme tropischer Fische im tiefblauen Wasser, die Korallen und Quallen, Frösche und feinblättrigen Wasserpflanzen voll zur Geltung.

Birgit Großhans und Anna Ziegler kommen zum Museumsbesuch mit Topfkratzer und Drahtbürste, einer Flasche Wasser und Wischtüchern in grellen Farben. Das hat allerdings nichts mit Großputz zu tun. Die beiden Frauen setzen die Alltagsgegenstände ein, um Menschen mit Demenz wieder zu ihren Erinnerungen zu verhelfen.

Entdeckungsreise am Aquarium im Karlsruher Naturkundemuseum

An den Panoramascheiben des zentralen Aquariums beginnt eine Entdeckungsreise. Drinnen zieht Schwarzspitzen-Riffhai Karla Kreise. Draußen sprechen die Besucher miteinander. Wie fühlt sich Hai-Haut an – vielleicht wie der Topfkratzer? Welche Wischtuchfarbe findet sich auch im Becken: Gelb? Orangerot? Türkisblau?

Man muss den Schalter finden, dann kommt oft Erstaunliches.
Birgit Großhans
Gedächtnistrainerin und Demenzberaterin

„Man muss den Schalter finden, dann kommt oft Erstaunliches“, stellt Birgit Großhans fest. Zusammen mit der Gerontologin Anna Ziegler taucht die Gedächtnistrainerin und freiberufliche Demenzberaterin Großhans regelmäßig in die Wasserwelten des Vivariums ab. Und zwar mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind, und deren Angehörigen. „Gemeinsam miteinander Spaß haben, darum geht es auch“, sagt die Demenzberaterin.

Birgit Großhans aus Karlsruhe.
Die Demenz-Erklärerin: Birgit Großhans aus Karlsruhe berät Angehörige, Pflegende und Erkrankte. Foto: Birgit Großhans

In Karlsruhe hat das Angebot noch Pilotcharakter. „Viele Museen in Deutschland haben solche Programme schon“, hat Großhans recherchiert. Das Netzwerk Demenz Karlsruhe übernimmt den Eintritt ins Naturkundemuseum.

Netzwerk Demenz Karlsruhe

Das Netzwerk Demenz Karlsruhe ist ein freiwilliger, auf Dauer angelegter Partnerverbund in der Stadt Karlsruhe zum Thema Demenz. Angesiedelt ist es in der Sozial- und Jugendbehörde der Stadt beim Seniorenbüro und Pflegestützpunkt. Es setzt sich für die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Demenz und den ihnen zugehörigen Menschen ein. Seit der Gründung vor vier Jahren beteiligt sind die Arbeiterwohlfahrt (AWO) Karlsruhe, das Diakonische Werk Karlsruhe, die Fachstelle für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen, die Evangelische Sozialstation Karlsruhe, die Logotherapeutische Beratung Karlsruhe/Trier, die Demenz-Intiative Karlsruhe, die Lokale Allianz für Menschen mit Demenz, die Heimstiftung Karlsruhe, das Seniorenzentrum Parkschlössle Durlach, die Stadt Karlsruhe mit ihrem Seniorenbüro und Pflegestützpunkt, das Städtische Klinikum Karlsruhe und die ViDia Christliche Kliniken Karlsruhe mit Diakonissenkrankenhaus Rüppurr und Geriatrischem Zentrum Karlsruhe.

In dem großen, wissenschaftlichen Schauhaus am Friedrichsplatz wird das Angebot ausdrücklich begrüßt. Bisher habe sich das Naturkundemuseum im Bereich der inklusiven Vermittlung auf blinde und seheingeschränkte Menschen sowie auf Gehörlose und Menschen mit einer Hörbehinderung konzentriert, erklärt Constanze Hampp, Sprecherin des Naturkundemuseums. Auch Führungen in vereinfachter Sprache würden angeboten.

Wir planen, unsere Angebote in Zukunft noch auszuweiten.
Constanze Hampp
Naturkundemuseum Karlsruhe

Das soll aber nicht das Ende der Fahnenstange sein. „Wir planen, unsere Angebote in Zukunft noch auszuweiten“, kündigt Hampp an, „und auch Menschen mit Demenz oder zum Beispiel Autismus anzusprechen.“ Es sei daher sehr erfreulich, dass die Ausstellungen des Hauses schon jetzt eine gute Basis für Angebote für Menschen mit Demenz sind und dafür auch genutzt werden.

Ein alter Mensch legt Memorykärtchen passend zusammen.
Viele Menschen haben Angst vor einer Demenzerkrankung. Regelmäßige Aktivitäten wie Gesellschaftsspiele unterstützen Menschen mit Demenz dabei, ihre Selbstständigkeit zu bewahren. Foto: Sven Hoppe/dpa

Das gilt auch für die aktuelle Große Sonderausstellung „Von Sinnen“, die jetzt nach Verlängerung noch bis einschließlich Sonntag, 14. Januar, die Vielfalt der Wahrnehmung und der unterschiedlichen Sinne bei Menschen, Tieren und Pflanzen darstellt und vor allem für Besucher jeden Alters erlebbar macht. „Das ist auch für Gedächtnistraining ein tolles Thema“, unterstreicht die Demenzberaterin Großhans.

Die entspannte Atmosphäre zwischen dahingleitenden Fischen, kreiselnden Quallen und in der Strömung schwankenden Grünpflanzen ist gut fürs Gehirn. In Wohlfühlstimmung knüpfen die Museumsbesucher, die sich unter Stress oft verschließen wie eine Auster, leichter ans Langzeitgedächtnis an. Eine Urlaubsreise fällt ihnen ein, oder wie es war, den Vater beim Angeln zu begleiten.

Demenz ist nicht zu heilen – aber zu verstehen

Ein Mittel oder gar eine Garantie gegen Demenz allerdings sei all dies nicht, betont Großhans. „Demenz ist nicht zu heilen.“ Aber die emotionale Intelligenz bleibe – und die Möglichkeit, die Erkrankung zu verstehen und angemessen mit ihr umzugehen.

Termine

Das Museumserlebnis für Menschen mit Demenz und ihre Begleitpersonen findet im ersten Halbjahr 2024 an drei Freitagen jeweils von 10 bis 11.30 Uhr statt: am 26. Januar, 19. April und 28. Juni. Die Teilnehmerzahl ist auf zwölf Personen begrenzt. Eine Anmeldung über das Seniorenbüro der Stadt, Telefon (0721) 1 33 50 22, E-Mail seniorenbuero@sjb.karlsruhe.de, ist erforderlich.

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