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„Gesehen werden“

Iranische Künstlerin im ZKM Karlsruhe zeigt Performance über die Last des Kopftuchs

Die Situation der Frauen im Iran ist Thema der Performance „Gesehen werden“, mit der die iranische Künstlerin Farzane Vaziritabar im ZKM auch den großen Wert vieler kleiner Hilfsaktionen zeigte.

Farzane Vaziritabar bei der Performance „Gesehen werden“ im ZKM Karlsruhe, 29.10.2022
Wie aus kleinen Dingen mit der Zeit eine große Last entsteht, zeigt die iranische Künstlerin Farzane Vaziritabar am ZKM Karlsruhe in ihrer Performance „Gesehen werden“. Foto: Felix Grünschloß

So erzielt man mit kleinen Mitteln große Wirkung: Die iranische Künstlerin Farzane Vaziritabar braucht nur sich selbst und vier Dutzend Kopftücher für ihre Performance „Gesehen werden“, die genau auf das zielt, was der Titel verlangt: Aufmerksamkeit für die dramatische Lage der Frauen im Iran und ihren Widerstand gegen einen untragbar gewordenen Druck.

In Karlsruhe war die Künstlerin, die in Weimar lebt und an der dortigen Bauhaus-Universität Kunst im öffentlichen Raum studiert hat, nun im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) zu Gast. Ihre Aufführung von „Gesehen werden“ beim Hallenbau-Festival war aber nicht ihr erster Auftritt in der Fächerstadt.

Vor wenigen Wochen sammelte sie bei ihrer Performance „Grund/Boden“ Stimmen von Bürgerinnen und Bürgern zu dem weiten Themenfeld Heimat, Grundbesitz und Natur, die sie dann am Platz der Grundrechte präsentierte.

Ich höre immer wieder Leute fragen: Wie kann ich helfen?
Farzane Vaziritabar, Künstlerin

Mit „Gesehen werden“ setzt Farzane Vaziritabar einerseits ihre künstlerische Auseinandersetzung mit Grundrechten fort. Andererseits bezieht sie Stellung zu einem sehr aktuellen Thema.

Eine wichtige Inspiration waren, wie sie im BNN-Gespräch erzählt, die Reaktionen aus ihrem direkten Umfeld. „Seitdem diese Nachrichten aus dem Iran kommen, höre ich immer wieder Leute fragen: Was kann ich tun? Wie kann ich helfen?“, sagt Vaziritabar. Und hier sei derzeit das Wichtigste, genau hinzusehen und Solidarität zu bekunden, um den Druck zu mindern.

Ein Mensch verschwindet unter Tüchern

Beides regt die Performance an. Sie besteht zunächst daraus, dass die in Schwarz gekleidete Künstlerin die vielen vor ihr liegenden Tücher eines nach dem anderen sorgfältig über ihre Haare legt, als lege sie einen Hijab an. Fast eine halbe Stunde lang ist es absolut still im ZKM-Foyer, während rund 200 Menschen schweigend betrachten, wie ihre Kopfbedeckung immer dicker und schwerer wird.

Schließlich liegt auch das letzte der knapp 50 Tücher auf dem Kopf von Vaziritabar, deren Gesicht in dem Stoffberg nahezu verschwindet und regunglos geradeaus schaut. Dann kommen die Zuschauerinnen und Zuschauer, dezent eingeladen durch stumm verteilte Zettel einer Helferin, nach vorne, um jeweils ein Tuch wieder abzunehmen und an einer Leine aufzuhängen. Und über das Gesicht der Künstlerin rinnen Tränen.

Die Aufführung ist auch emotional anstrengend.
Farzane Vaziritabar, Künstlerin

„Ich könnte jetzt nicht sagen, wie viel die Tücher genau wiegen“, sagt sie später im BNN-Gespräch. „Aber die Aufführung ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern vor allem auch emotional.“ Die aktuellen Nachrichten aus dem Iran gingen ihr sehr nahe, so die 1987 geborene Künstlerin, die zunächst in Teheran Bildhauerei studiert hatte. „Man merkt, dass sich dort über die Jahre hinweg ein sehr großer Druck angestaut hat.“

Ein Anliegen ihrer Performance ist, genau dies zu betonen: „Aus vielen kleinen Dingen ist über lange Zeit hinweg eine große Last entstanden.“ Ein so lange angewachsenes Problem könne man nicht auf einen Schlag lösen. Notwendig seien viele kleine Akte der Solidarität: „Einen Effekt erreichen wir nur, wenn wir alle solidarisch sind.“ Auch dies führt sie in der Performance vor Augen, wenn sie am Ende von allen Tüchern befreit dasteht.

Solidarität nicht nur mit den Frauen im Iran

„Gesehen werden“ sollen, so das Ziel der seit 2018 in Weimar lebenden Künstlerin, nicht nur die Frauen im Iran. „Es leben überall auf der Welt Frauen in Verhältnissen, die großen Druck bedeuten“, sagt die Künstlerin. In ihrer Performance setzt sie bewusst sehr verschiedenfarbige Tücher mit unterschiedlichen Mustern und aus unterschiedlichen Materialien ein, um die Vielfalt der oft unterdrückten Träume und Lebensentwürfe zu symbolisieren.

Daher geht es im zweiten Teil der Performance auch nicht nur darum, ihr die Tücher abzunehmen und sie einfach zu entsorgen. Im Gegenteil: Wenn sie am Ende alle einzeln an zwei langen Leinen hängen, dann entsteht ein neues Bild - eine bunte Szenerie individueller Freiheiten.

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