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Michael Kant und Waldemar Fretz im Interview

Karlsruher Gastronomie-Experten über Lieferando: „Trend wird sich leider nicht aufhalten lassen”

Erschließen Lieferportale für Gastronomen neue Kundengruppen und Gewinne oder setzen sie Restaurantbetreiber mit hohen Abgaben und großem Wettbewerb unter Druck?

Michael Kant (l.) und Waldemar Fretz vom Dehoga sehen Lieferando einerseits als Risiko, andererseits aber auch als große Chance für Gastronomen.
Michael Kant (l.) und Waldemar Fretz vom Dehoga sehen Lieferando einerseits als Risiko, andererseits aber auch als große Chance für Gastronomen. Foto: Weis/jodo/BNN

Lieferando wächst immer weiter und hat als Vermittlungsplattform für Essenslieferungen quasi eine Monopolstellung in Deutschland. Über Chancen und Risiken, die Lieferando für Gastronomen mit sich bringt, sprechen der Geschäftsführer und der Vorsitzende des Dehoga Karlsruhe, Michael Kant und Waldemar Fretz.

Haben Sie in der letzten Zeit – vielleicht während des Corona-Lockdowns – selbst etwas zu Essen bestellt?
Michael Kant

Als die Gastronomie aufgrund der Corona-Pandemie nicht offen haben konnte, habe ich in der Tat auch das ein oder andere Mal etwas bestellt, um die Gastronomen zu unterstützen. Aber direkt bei den Betrieben.

Waldemar Fretz

Meine Frau und ich haben uns jeden Tag was tolles gekocht, man kann ja aus Kleinigkeiten schon etwas zubereiten. Wir sind nicht die Essensbesteller. Aber ich weiß, dass die Zunahme der Bestellungen enorm ist.

Weil auch das Angebot wächst?
Kant

Gerade während der Lockdown-Zeit haben viele Unternehmen, die vorher ausschließlich vom Präsenzgeschäft gelebt haben, neue Lieferdienste angeboten. Vom ein oder anderen höre ich auch, dass dieses Angebot aufrechterhalten wird. Aber ob sich das auf Dauer hält, ist schwierig zu beurteilen.

Fretz

Bisher hatten sich Lieferdienste ja hauptsächlich auf Pizza beschränkt. Das wird es auch weiterhin geben. Aber wenn Professor X den Professor Y zum Abendessen einlädt, kann man schlecht eine Pizza nehmen. Aus diesem Grund gibt es jetzt schon Lieferbetriebe, die hochkarätig liefern.

Kant

Das Angebot ist auch vielfältiger geworden, weil es Plattformen wie Lieferando gibt, die nicht nur von einer Pizzeria liefern, sondern auf einem breiten Fundament stehen.

Fühlen sich Gastronomen unter Druck gesetzt, sich dem Trend anschließen zu müssen?
Kant

Man hört immer wieder, dass Gastronomen sagen „die Mitbewerber machen es genauso“. Die Wirte schließen daraus, dass sie potenzielle Kunden nicht an die Konkurrenz verlieren dürfen. Die andere Seite der Medaille ist natürlich: Warum greift ein Gastronom überhaupt auf Lieferdienste zurück? Das macht er ja als Geschäftsform, weil er sich erhofft, dadurch einen größeren Abnehmer- und Gästekreis zu erschließen. Wenn es ohne Lieferdienst geht, dann macht er es ohne Lieferdienst.

Erwarten Gäste in Großstädten heutzutage nicht, dass ihr Lieblingsitaliener auch liefert?
Fretz

Das ist der Wille der Verbraucher. Das ist die Zukunft und das können wir nicht verhindern. Denn die Menschen kochen immer weniger: Nur 26 Prozent der deutschen Küchen werden bekocht. Die Leute haben eine Küche für 100.000 Euro mit einem Koch-Herdblock in der Mitte, dann machen sie eine große Party mit 30 Gästen und lassen das Essen liefern. Das ist der Trend.

Außerdem sind viele Familien unter Druck: Er arbeitet, sie arbeitet, und dann sind noch zwei Kinder zuhause. Da kommt man schon unter Druck nach Hause, denn alle brauchen etwas zu essen.

Was ist das Problematische an Plattformen wie Lieferando?
Kant

Lieferando arbeitet natürlich nicht zum Selbstkostenpreis, sondern möchte logischerweise an seinem Modell verdienen. Auch der Gastronom möchte am Ende des Tages natürlich Geld verdienen. Wenn dann ein gewisser Prozentsatz an den Lieferdienst abgeführt werden muss, schmälert das den Umsatz des Gastronomen. Das kann der nicht gut finden, das ist klar.

Fretz

Vor ein paar Jahren gab es viele verschiedene Dienste, aber Lieferando ist als Sieger hervorgegangen. Darüber sollte jeder Gastronom nachdenken. Man kann das mit der Hotellerie vergleichen: Anfänglich wurde HRS von allen Hoteliers belächelt. Und plötzlich war es die Macht. Lieferando nimmt 30 Prozent von der Bestellsumme, das ist enorm viel. Kein Gastronom kann diesen Ertrag aus der Essenszubereitung heraus erbringen.

Aber Restaurantbetreiber können doch sicherlich auch von dem neuen Vertriebsweg profitieren?
Fretz

Gastronomen sollten gucken, wie sie sich in ihren Leerzeiten anschließen können. Auch hier funktioniert Lieferando wie ein Hotelreservierungssystem: Wenn der Markt offen ist, schlägt der Anbieter zu. Und wenn die Sache enger wird, von 18 bis nach 20 Uhr, da können Sie unter Umständen gar nichts bestellen, denn da hat der Gastronom in seinem Restaurant genug zu tun. Da gibt es niemanden, der die benötigte Menge an Essen produziert und Lieferando hat auch niemanden, der das alles ausfährt.

Aber wer den Markt in den Randzeiten ausnutzt und das Spiel mitspielt, der hat riesengroße Vorteile. Es gibt sogar schon Köche, die nach reinen Lieferküchen suchen. Die werden sich auf diesen Markt stürzen, denn der hat Zukunft. Das ist alles digital ausgefeilt. Wenn man überlegt, wie viele Gastronomen überhaupt nicht digital affin sind, die fallen alle hinten runter. Die Gewinner sind diejenigen, die digitalaffin sind und sich Tag und Nacht um dieses System bemühen und das Spiel mitspielen.

Wird die Lieferbranche professioneller? Werden hochwertige Lieferküchen in Zukunft die Existenz simpler Pizzaboten bedrohen?
Fretz

Schlechte Qualität, das muss man sagen, gibt es bei Lieferando gar nicht. Die versuchen, nur die besten Partner zu bekommen. Denn gerade die Menschen, die in einer höheren Preisklasse speisen möchten, haben selbst keine Zeit zum Kochen. Deswegen wird sich Lieferando im Exklusivbereich ganz stark aufstellen. Die wollen wegen ihres 30-Prozent-Anteils den Umsatz so hoch wie möglich treiben. Der Durschnittsbon im Lieferbereich liegt bei 37 Euro, das ist ja keine einfache Zehn-Euro-Pizza.

Kant

Wir sehen schon, dass Lieferando durchaus eine Gefahr für alteingesessene Betriebe darstellen kann. Ich denke aber, dass diese Betriebe durch ihre Qualität und die Atmosphäre vor Ort überzeugen können. Der ein oder andere Betrieb könnte jedoch in Bedrängnis geraten. Es ist Fakt, dass man durch reine Lieferdienste nicht die gleichen Umsätze generieren kann, wenn man normalerweise ein anderes System fährt.

Deswegen wollen wir hoffen, dass es nicht zu einem zweiten Corona-Lockdown kommt. Auch den Gästen geht es schließlich nicht nur um die Speise, sondern auch um das Ambiente. Der nette abendliche Restaurantbesuch zu zweit lebt von der Atmosphäre. In solchen Locations wird sich ein Liefer- oder Abholdienst ungleich schwerer etablieren, weil die Gäste ein geringeres Interesse haben, das Essen mitzunehmen, als bei niederschwelligen Betrieben, wo das Essen als solches im Mittelpunkt steht. Da sieht man, wie vielgestaltig die Teilbranche Gastronomie ist.

Lieferheld, Foodora, Pizza.de: Viele Anbieter wurden bereits von Lieferando geschluckt, das Monopol wird größer. Gleichzeitig gibt es Bestrebungen von Karlsruher Gastronomen, sich dem zu widersetzen. Was halten Sie davon?
Fretz

Dieser Trend wird sich leider nicht aufhalten lassen, genauso wie es den Hotels nicht gelungen ist, HRS und Booking zu verhindern oder zu blockieren. Lieferando möchte die Macht über das ganze System und es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten, das aufzuhalten.

Was vielleicht eine Chance hätte, wäre ein Zusammenschluss von Gastronomen aus dem Stadtgebiet. Wenn sich zehn, zwölf Betriebe zusammenfänden, von der Currywurst bis zum sterneähnlichen Restaurant, und eine eigene digitale Bestellplattform aufbauen würden mit Lieferung im Umkreis von maximal drei Kilometern, dann könnten sie tatsächlich gewinnen.

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