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Fragen und Antworten

KIT-Professor: „Modernes Fracking ist in der aktuellen Situation absolut vertretbar“

Warum in die Ferne schweifen? Geht es nach einigen Politikern und Forschern, sollte man Erdgas aus dem eigenen Boden fördern. Auch in Baden-Württemberg könnte erkundet werden. Bröckelt das Fracking-Tabu?

Der Bohrturm einer Ölförderplattform, die nach dem Prinzip des „Fracking“ arbeitet, ist in Tunkhannock als Sillhouette zu sehen.
Der Bohrturm einer Ölförderplattform, die nach dem Prinzip des „Fracking“ arbeitet, ist in Tunkhannock als Sillhouette zu sehen. Foto: Jim Lo Scalzo/EPA/dpa

LNG-Terminals, längere Laufzeiten für Atommeiler und ein Revival für Kohleblöcke – der Verzicht auf russisches Gas wegen des Ukraine-Kriegs macht manches möglich, was vor Kurzem noch unmöglich schien. Gilt dies auch für Fracking?

Die FDP in Land und Bund plädiert seit Längerem vehement dafür. Sie hat einige Forscher auf ihrer Seite. Tiefe Gaslagerstätten werden auch in Baden-Württemberg vermutet. Noch ist Fracking für die grün-schwarze Landesregierung aber ein Tabu.

Susanne Kupke hat die wichtigsten Fragen und Antworten zusammengetragen.

Um was geht es?

Erdgas wird nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums in den nächsten Jahrzehnten noch einen wesentlichen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Es wird zwar auch in Deutschland Gas gefördert. Bislang wird der Bedarf aber überwiegend über Importe gedeckt. Weil Import-Gas teuer ist und konventionelle Lagerstätten zunehmend erschöpft sind, wird vermehrt über unkonventionelle Technologien wie Fracking nachgedacht, bei dem Gas oder Öl aus tiefen Gesteinsschichten gefördert wird. Durch Einpressen einer Flüssigkeit werden dabei kontrolliert kleine Risse erzeugt, um Gas im Gestein freizusetzen.

Was ist das Problem?

Umweltschützer lehnen Fracking ab, weil sie befürchten, dass Wasser verschmutzt wird, es zu Erdbeben kommt oder das Treibhausgas Methan unkontrolliert austritt. Wegen der möglichen Auswirkungen auf Umwelt und Untergrund sind in Deutschland kommerzielle unkonventionelle Fracking-Vorhaben in Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein verboten.

Gibt es überhaupt Gasvorkommen im Land?

Laut baden-württembergischem Umweltministerium kommen als unkonventionelle Gaslagerstätten Tongesteine der Posidonienschiefer-Formation (Unterjura) im Vorland der Schwäbischen Alb eingeschränkt in Frage. Die Gesteine liegen dort zwischen 800 und mehr als 3000 Metern unter der Erdoberfläche. „Belastbare Untersuchungen über mögliche Trägergesteine von nicht-konventionellen Kohlenwasserstoffen liegen für die Landesfläche von Baden-Württemberg bisher nicht vor“, heißt es vom Ministerium.

Frank Schilling, Professor für Technische Petrophysik am KIT-Institut für Angewandte Geowissenschaften und Leiter des Landesforschungszentrums Geothermie, vermutet, dass auch im Rheingraben Schiefergas gefördert werden könnte. Die größten Vorkommen seien jedoch in nördlicheren Bundesländern zu erwarten.

Was spricht für eine heimische Förderung?

Statt teuer auf dem Weltmarkt einzukaufen, könnte man sich unabhängiger machen und eigenes Gas aus dem Boden schöpfen. Hinzu kommt für KIT-Forscher Schilling: „Von den Kohlenstoff-basierten Brennstoffen ist in Deutschland produziertes Erdgas die klimafreundlichste Alternative.“

Was ist der Stand?

Verschiedene Fracking-Verfahren sind auch heute schon zugelassen, etwa beim Bohrlochbergbau, bei der Geothermie und bei der Förderung von Erdgas aus konventionellen Feldern. Die wirtschaftliche Förderung aus unkonventionellen Gaslagerstätten ist aber bundesweit verboten.

Außerhalb umweltsensibler Gebiete könnten vier wissenschaftlich begleitete Bohrungen im Schiefer-, Ton-, Mergel- und Kohleflözgestein zugelassen werden, um Erfahrungen zu den Auswirkungen auf Umwelt und Untergrund zu sammeln. Eine solche „Erprobungsmaßnahme“ müsste vom Land genehmigt werden. Ein Antrag wurde laut Ministerium aber bislang nicht gestellt.

Warum könnte das Fracking-Tabu bröckeln?

Einen Großteil des russischen Gases durch LNG-Gas aus den USA zu ersetzen, ist nach Meinung von Geowissenschaftler Schilling eine schlechte Alternative. Durch die dort niedrigeren Umwelt-Standards und die notwendige Verflüssigung zum Transport sei LNG-Gas umwelt- und klimaschädlicher als in Deutschland produziertes Gas.

Die FDP im Land und im Bund plädiert schon länger für eine Schiefergas-Förderung durch Fracking. Auch der frühere EU-Energiekommissar und Ex-Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) ist dafür. Bei der innenpolitischen Ablehnung von Fracking sei Deutschland „nicht glaubwürdig, sondern scheinheilig“.

Was ist die Perspektive?

Für das grün-geführte baden-württembergische Umweltministerium ist Fracking nach wie vor „kein Thema“. Es verweist auch darauf, dass es in der aktuellen Energiekrise nicht weiterhelfen würde, weil Fracking-Gas nicht schnell realisiert werden könnte.

Nach Einschätzung von KIT-Professor Schilling könnte Schiefergas hingegen bei ausreichender Vorerkundung technisch innerhalb von sechs bis neun Monaten gefördert werden. „Die Genehmigung würde deutlich länger dauern, außer es wird ein Weg gewählt, der sich an den Genehmigungen der LNG-Terminals anlehnt.“ Fracking sei aus geotechnischer Sicht zu Unrecht ein Tabu: „Modernes Fracking ist in der aktuellen Situation absolut vertretbar und sollte in einer rationalen Energiepolitik eine Rolle spielen.“ Risiken für die Umwelt könnten bei sorgfältiger Planung, Überwachung und Einhaltung technischer Standards gering gehalten werden.

Die Befürworter von Fracking-Gas bekommen auch Zuspruch von der Expertenkommission der Bundesregierung. Die Vorsitzende, Geophysikerin Charlotte Krawczyk, hält das Verfahren inzwischen für sicherer; sie spricht von großen Fortschritten in den vergangenen Jahren. Der Vize-Vorsitzende Holger Weiß stellte im Sommer in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ das Verbot in Frage: „Man kann das eigentlich nur mit ideologischen Vorbehalten erklären.“ Auch die Geologiegesellschaft DGGV hält Mindesttiefen von mehr als 1000 Metern für Fracking für unbedenklich. Nach dem russischen Angriffskrieg sei es wichtig, Gas-Bezugsquellen zu diversifizieren.

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