In dieser Ausstellung wird man zu Spider-Man: Der Künstler Tomas Saraceno vermittelt sehr ästhetisch, wie eine Spinne sich orientiert und kommuniziert. Nämlich über die Erschütterungen und Schwingungen ihres Netzes.
Saracenos Werk „Algo-r(h)i(y)thms“ ist ein interaktives Highlight in der neuen Ausstellung „Renaissance 3.0“ am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM).
Das Werk ist exemplarisch für die Ausstellung – und für die Arbeit ihres Kurators, den am 1. März überraschend verstorbenen ZKM-Vorstand Peter Weibel. „Algo-r(h)i(y)thms“ ist trotz des komplex daherkommenden Titels sehr sinnlich und unmittelbar zugänglich.
Letzteres sogar im wahrsten Wortsinn: Hat man sich seiner Schuhe entledigt, kann man den komplett in Weiß gehaltenen Raum betreten, der von schwarzen Fäden durchzogen ist. Zupft man an einem dieser Fäden, erklingen Töne. Werden mehrere Fäden gezupft, wird daraus eine leise Musik.
Weibels letzte Ausstellung thematisiert Kommunikation und Vernetzung
„Jede Aktion löst eine andere aus“, heißt es in einem frühen Kunstwerk von Peter Weibel. „Algo-r(h)i(y)thms“ führt dies vor Augen und Ohren. Das Werk illustriert Kommunikation und Vernetzung – und damit auch das Kernthema der Ausstellung.
Denn mit dem Begriff „Renaissance“ wird angeknüpft an Blütezeiten in der arabischen Kultur (8. bis 12. Jahrhundert) sowie der italienischen Kultur (15. bis 17. Jahrhundert). Es waren Phasen, in denen Wissenschaft und Kunst in gegenseitigem Austausch große technologische Entwicklungen voranbrachten und so das Weltbild veränderten.
„So revolutionär wie damals der Buchdruck ist heute die Digitalisierung“, sagt Co-Kuratorin Anett Holzheid bei der Presse-Präsentation am Freitagvormittag.
Diese gebe Künstlern und Wissenschaftlern ein neues gemeinsames Instrumentarium an die Hand. Aus dieser Beobachtung habe Weibel die These einer dritten Renaissance entwickelt.
„Renaissance“ dank gemeinsamer Werkzeuge von Wissenschaft und Kunst
Als „Basislager für neue Allianzen von Kunst und Wissenschaft im 21. Jahrhundert“ (so der Untertitel) thematisiert die Ausstellung den gemeinsamen „pool of tools“ von Wissenschaft und Kunst.
Teilweise geschieht dies im historischen Rückblick: Grundlagenbücher der Kybernetik sind ebenso ausgestellt wie der erste „portable“ Computer – eine Metallkiste in Kommodengröße – aus dem Jahr 1970, an dem der Computergrafik-Pionier Otto Beckmann „imaginäre Architekturen“ entwarf.
Beiträge aus dem aktuellen Dialog von Wissenschaft und Kunst gestatten hoch spannende Einblicke in eine mögliche Zukunft. So erzeugt der österreichische Künstler Thomas Feuerstein in seinem „Metabolica Camp“ über Stoffwechselprozesse einen biologisch abbaubaren Kunststoff.
Und er demonstriert dessen Potenzial, indem er damit eine der berühmtesten Renaissance-Skulpturen kopiert: den „David“ von Michelangelo.
Auch ins Innere des Menschen taucht die Ausstellung ab, etwa mit Röntgenaufnahmen oder dem 2019 entstandenen Video „Vocal Folds“ von Rafael Lozano-Hemmer, das die Funktionsweise der menschlichen Stimmbänder zeigt.
Ein Projekt führt sogar ins Innere des Gehirns
Noch tiefer, nämlich ins Gehirn führt „Autopoiesis“, ein Projekt des Berliner Künstlerduos Atelier-E (Christian Losert und Daniel Dafolvo) mit dem Fraunhofer Institut Stuttgart. Hier werden die Gehirnströme von Probanden bei visueller und akustischer Stimulation gemessen.
Die jeweiligen Aktivitäten der unterschiedlichen Hirnbereiche werden wiederum per Virtual Reality visualisiert – wer die VR-Brille aufsetzt, sieht in einem unendlich wirkenden Raum flackernde Diagramme, zuckende Linien und wellenartige Bewegungen.
Ihre Arbeit bestehe nicht aus Bildern und Klang, sondern aus Signalen und Stimuli, erklären Losert und Dafolvo. Zahlreiche Stimuli setzt auch diese Ausstellung, deren Herzstück das wohl letzte Werk von Peter Weibel ist: Das gemeinsam mit Christian Lölkes aus dem ZKM-Team entwickelte „Wissensfeld“.
ChatGPT erklärt Begriffe auf dem „Wissensfeld“
Auf eine große Fläche werden hier mehrere hundert Begriffe projiziert. Wird ein Wort durch Bewegung der Besucher aktiviert, so erscheint auf einem großen Bildschirm die Erklärung, verfasst von der Künstlichen Intelligenz ChatGPT.
Das Wissensfeld soll auch zeigen, was wir alles noch nicht wissen.Anett Holzheid, Kuratorin am ZKM Karlsruhe
Weibel habe darauf gedrungen, hier auch noch weitgehend unbekannte Begriffe zu platzieren, erklärt Holzheid. „Das Wissensfeld soll auch zeigen, was wir alles noch nicht wissen.“ Das passt zu Weibels Vermächtnis als Denker, der trotz immenser Kenntnisse immer neugierig blieb.
So hatte ihn auch der Philosoph Peter Sloterdijk als langjähriger Wegbegleiter bei einer Gedenkveranstaltung gezeichnet: Weibel, so Sloterdjik, habe einmal erklärt, er habe keine Lust, ein Buch zu lesen, in dem er nicht auf jeder Seite ein neues Wort kennenlerne.
„Renaissance 3.0“ ist gewissermaßen Weibels letzte Einladung an das ZKM-Publikum, neue Gedanken zu entdecken – am Eröffnungswochenende auch bei einem Symposium, an dem unter anderem drei deutsche Nobelpreisträger teilnehmen, darunter die Biochemikerin Christiane Nüsslein-Volhard.
Service
„Renaissance 3.0“ im ZKM Karlsruhe, Lorenzstraße 19. Bis 7. Januar 2024. Geöffnet Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr, Mittwoch bis Freitag 10 bis 18 Uhr. Eintritt am Eröffnungswochenende frei. Symposium: 25. März, 11 bis 17 Uhr / 26. März, 12 bis 17 Uhr, auch online unter www.zkm.de/livestream. Info: www.zkm.de