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Mit viel Erfahrung

Reinhard Niederbühl ist als Problemlöser für Flüchtlinge auf Achse

Reinhard Niederbühl arbeitete in der Verwaltung. Jetzt hilft er ehrenamtlich in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen Baden-Württembergs. Meist bekommt er als Ombudsmann ganz alltägliche Probleme zu hören.

Ein Schild mit der Aufschrift „Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge Baden-Württemberg“
Der Alltag in einer Landeserstaufnahmeeinrichtung, wie hier in der Durlacher Alle, ist für Flüchtlinge oft eine Herausforderung. Foto: Sandbiller

Abend für Abend hat die junge Mutter ein ungutes Gefühl. Wenn sie sich zusammen mit ihrem Kind in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) für Flüchtlinge in der Durlacher Allee schlafen legt, bleibt ihre Tür unverschlossen. Jederzeit kann jemand ins Zimmer kommen. „Die Frau hat wie alle Bewohner keinen Schlüssel bekommen“, sagt Reinhard Niederbühl.

Bis vor einem Jahr leitete er den Sozialen Dienst der Stadt Karlsruhe. Als Pensionär engagiert er sich seit Oktober ehrenamtlich in den nordbadischen LEAs – wo er als Ombudsmann mit alltäglichen Problemen konfrontiert wird. Mit nicht abschließbaren Zimmern zum Beispiel.

Dank eines Hausausweises öffnen sich für Niederbühl in seiner zweijährigen Amtszeit die Türen zu den sieben LEAs in Mannheim, Heidelberg, Schwetzingen und Karlsruhe. Er spricht mit Asylsuchenden, mit ehrenamtlichen Helfern und Bediensteten.

Meine Verwaltungserfahrung ist ein Vorteil.
Reinhard Niederbühl, Ombudsmann

Niederbühl versucht, bei kleinen und großen Sorgen Lösungen zu finden. „Dass ich Erfahrung mit Verwaltungen habe, ist dabei sicher ein Vorteil“, sagt Niederbühl.

Der Mann, der auch Coachings anbietet, stellte von Anfang an klar: „Ich mache diese Arbeit nicht nur zur Fassade. Es soll was rauskommen.“

Verständnis für Sorgen der Frau

In der Schlüssel-Problematik konnte Niederbühl die Sorge der Frau nachvollziehen. Zudem wurde schnell klar, dass die Regelung Diebstähle erleichtert. Der Ombudsmann erfuhr auf Nachfrage: Dem Land ging es um Gleichbehandlung.

Reinhard Niederbühl
Reinhard Niederbühl arbeitet ehrenamtlich in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen Baden-Württembergs. Foto: Staron

Weil in den zu Unterkünften umgewandelten Kasernen keine Schlösser existierten, sollten auch in anderen Unterkünften die Türen nicht abgesperrt werden. Und überhaupt: Was ist, wenn Schlüssel abbrechen, verloren gehen…?

Niederbühl mischte sich ein. Und er fand Lösungen: In der Freiburger LEA setzt man jetzt zum Beispiel auf Chipkarten. In Heidelberg werden Frauen und Kinder in eigenen Gebäuden untergebracht. In der Durlacher Allee dürfen Frauen die vorhandenen Schlüssel doch benutzen. Auch in der Unterkunft Griesbachhaus wurden Schlösser installiert.

Flüchtlinge aus der Türkei

Niederbühl ist viel unterwegs. Er fährt von LEA zu LEA. Landesweit leben aktuell 3.000 Asylsuchende in den Erstaufnahmestellen, auf den Regierungsbezirk Karlsruhe entfallen davon 2.000.

Der Ombudsmann beobachtet: Nicht nur aus Syrien, Afghanistan, dem Balkan und Afrika kommen Schutzsuchende ins Land. „Wir haben hier auch vermehrt Türken. Und zwar keine Kurden, sondern zum Beispiel Militärs oder Lehrer, die in der Türkei in Furcht lebten.“

LEAs sind heute gut organisiert
Reinhard Niederbühl, Ombudsmann

Im Herbst 2015 waren allein in Karlsruhe 3.000 Flüchtlinge untergebracht. Aktuell sind es etwa 600, so Niederbühl. Er sagt: „Heute sind die LEAs gut organisiert. Selbst wenn die Zahlen wieder hochgehen sollten, würde das funktionieren.“

Vorbei seien die Zeiten, in denen die Menschen ein Jahr warten mussten, bis ihr Antrag auf Asyl überhaupt aufgenommen wurde. „In Heidelberg gibt es zum Beispiel einen Fingerscan, die Mitarbeiter haben europaweit Zugriff auf Daten.“

Wessen Antrag auf Asyl aussichtsreich ist, der wird in der Regel innerhalb weniger Wochen in eine Folgeunterkunft gebracht – für die Niederbühl nicht zuständig ist. Im Prinzip. Auf seinem Tisch landete doch der Fall einer Afrikanerin, die nach Böblingen verlegt wurde. Der Vater ihrer drei Kinder war in Heidelberg untergebracht.

„Die Frau wollte einige Stunden in einem Schnellimbiss arbeiten. Der Vater sollte in der Zeit die Kinder betreuen“, so Niederbühl. Da die Bleibeperspektive des Mannes jedoch unklar ist, entschied die Behörde nicht über einen Umzug nach Böblingen. Auf Intervention des Ombudsmannes wurde jedoch eine Reiseerlaubnis des Mannes zu seiner Familie erwirkt.

Ein junger Mann aus Gambia wiederum wollte von der LEA in der Durlacher Allee in eine Unterkunft nach Rastatt wechseln, weil er in der Festungsstadt eine Lehrstelle angeboten bekommen hatte. Niederbühl fand einen Weg, den Wunsch trotz eigentlich bestehender Residenzpflicht zu ermöglichen. Immer wieder sind es Einzelschicksale, mit denen der Ombudsmann konfrontiert wird. Manchmal geht es um generelle Strukturen.

Warnung vorm „Schwarze-Peter-Spiel“

Zum Beispiel dann, wenn möglicherweise traumatisierte Flüchtlinge, die wegen ihrer Aggressivität auffallen, von Unterkunft zu Unterkunft weitergereicht werden. Niederbühl spricht vom „Schwarze-Peter-Spiel“. Er kenne das aus der Jugendhilfe.

Doch der Grundsatz laute: „Bevor man nicht weiß, warum etwas gescheitert ist, sollte man nicht das nächste probieren.“ Niederbühl sagt: „Hier muss das Konzept verbessert werden, sonst kann daraus ein Sicherheitsproblem werden.“

In einem anderen Fall ging es offiziell um ein Risiko der „Brandlast“. Ein Übersetzer sprach Niederbühl an, dass es Probleme mit den Kleiderkammern gebe. Dort erhielten die Asylsuchenden nur noch Jacken und Pullover gegen in der LEA ausgegebene Gutscheine – was zu vielen Debatten und Problemen im Einzelfall führte.

„Eine hoch Schwangere bekam keine Säuglingskleidung“, so Niederbühl. Also arbeitete er sich ein. Er fand heraus: Stein des Anstoßes war eine Familie, die gebrauchte Kleidung offenbar weiterverkaufen wollte und sie dafür in ihrem Zimmer hortete. Ein Punkt, bei dem der Brandschutz ins Spiel kam. Die Lösung waren dann die Gutscheine.

Bons wurden kopiert

„Doch auf Nachfrage fand man heraus, dass 300 solcher Gutscheine ausgegeben, aber 500 eingelöst wurden – die Menschen hatten die Bons kopiert.“

Reinhard Niederbühl stoppte die Idee, die Gutscheine noch mit Amtssiegel zu versehen – zumal die Familie, die alles ins Rollen gebracht hatte, längst ausgereist war. „Und die Kleiderkammern sind voll. Wer dort etwas abgibt, will ja auch, dass es bei den Menschen ankommt.“

Immer wieder hört Niederbühl, dass Geflüchtete gerne selbst kochen möchten. Er weiß, dass hygienische Bedenken dagegen stehen und dass in den Einrichtungen schlicht Küchen fehlen.

Dennoch regt er an, bei ohnehin anstehenden Umbauprojekten über die Sache nochmals nachzudenken. „Wenn man selbst kocht, hat dies eben auch positive Effekte für die Tagesstruktur, den Selbstwert, die Würde.“

Integration schürt Hoffnung

Niederbühl wirft regelmäßig einen Blick in die Beschäftigungsangebote, die den Asylsuchenden gemacht werden. „Wenn es vor allem Nähen und Stricken ist, eignet sich das in der Praxis vielleicht nicht für Männer“, weiß er.

Umgekehrt ist er sicher, dass Integration auch Hoffnung schüren kann – die enttäuscht würde, wenn der Antrag am Ende abgelehnt wird. „Inzwischen gibt es die Möglichkeit, dass man hier einen vierwöchigen Kurs machen kann und danach etwa als Maler oder Anstreicher ein deutsches Zertifikat bekommt“, berichtet der Ombudsmann. In manchem Herkunftsland könne das durchaus ein Mehrwert für die Rückkehrer sein.

Ich kenne die Grenzen der Verwaltung.
Reinhard Niederbühl, Ombudsmann

Dass jene, die der Ausreisepflicht nicht freiwillig nachkommen, mit Sanktionen belegt werden, beschäftigt den Ombudsmann ebenfalls. Doch da winkt er ab: „Ich kenne die Grenzen der Verwaltung.“

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