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Ullrich Eidenmüller über Thermoselect-Desaster

„Das Ende kam zwischen zwei Bananen-Bissen”

Karlsruhes größte Fehlinvestition: Ullrich Eidenmüller sah in Thermoselect die Lösung aller Müllprobleme. Der Wunderofen wurde zum Debakel, aber nicht für den Umweltbürgermeister.

Ein Traum von einer Müllverbrennung: Ullrich Eidenmüller glaubte fest an den Erfolg von Thermoselect, bis zu dem Tag, da die Technologie in Karlsruhe scheiterte.
Ein Traum von einer Müllverbrennung: Ullrich Eidenmüller glaubte fest an den Erfolg von Thermoselect, bis zu dem Tag, da die Technologie in Karlsruhe scheiterte. Foto: Roland Weisenburger

In den Augen der Öffentlichkeit war er der Mister Thermoselect. Kaum jemand in Karlsruhe strahlte so viel Begeisterung und Euphorie aus, wenn es um den Zauberofen aus Italien ging, wie der damalige Umweltdezernent der Stadt Karlsruhe, Ullrich Eidenmüller. Er überzeugte Gemeinderäte, Bürger und letztlich auch den Oberbürgermeister von der„Müllverbrennungsanlage ohne Schornstein“.

Die Thermoselect-Ruine steht heute nutzlos im Rheinhafen. Eidenmüller arbeitet als Rechtsanwalt und Berater in eine Karlsruher Kanzlei. Über die wilde Zeit, da man überzeugt war, Müll zu Gold spinnen zu können, sprach er mit unserem Redaktionsmitglied Roland Weisenburger.

Herr Eidenmüller, die ganze Sache ist fast 20 Jahre her. Sie sind heute 70 Jahre alt. Können sie sich noch erinnern?
Ullrich Eidenmüller

Das war damals so heftig, so emotional. Mir sind die Eindrücke noch sehr präsent.Tschernobyl war gerade explodiert, der Oberbürgermeister beauftragte mich, für Karlsruhe eine Umweltverwaltung aufzubauen, niemand wusste, wohin mit dem Müll und die Stimmung gegen Müllverbrennung war massiv.

Und dann kam Thermoselect. Sie waren Feuer und Flamme.

Die Testanlage am Lago Maggiore sah sehr chic aus. Wir flogen nach Italien in der Überzeugung, da wurde die große Lösung für unsere Müllprobleme gefunden. Am Empfang standen hübsche Mädchen, alles war erotisch clean, das Marketing perfekt emotional.

Aber ihre Begeisterung war noch größer als bei den meisten anderen.

Mir war schnell klar: So emotional wie die ganze Stimmung in Sachen Müllentsorgung war, kriegen wir das nur gebacken, wenn ich die Bürger persönlich überzeuge.Ich war nicht naiv begeistert. Aber ich war der, der es politisch durchsetzen musste. Die Werte waren überzeugend, die Pläne alle gut. Thermoselect war eine umweltpolitische Chance und es hätte Karlsruhe gutgetan, wenn wir diese Technik hier hätten umsetzen können.

Was ging schief?

Verbockt haben es die Techniker mit ihrer Hybris. Sie haben sich auf theoretisch mögliche Grenzwerte festgelegt. Die waren in der Praxis aber nie zu erreichen. Die Genehmigungsbehörde hat natürlich nicht gesagt: So gut müsst ihr doch gar nicht sein. Die haben auf die eingereichten Grenzwerte dann auch gepocht. Damit haben die Ingenieure in ihrer Selbstüberzeugung, dass die Anlage grandios ist, den entscheidenden Fehler gemacht.

Das endgültige Aus waren aber nicht die Grenzwerte. Die Techniker glauben noch heute, dass man die hätte erreichen können.

Das Ende kam mit Utz Claasen. Er übernahm 2003 den Chefsessel der EnBW und ihm verdanke ich die bemerkenswerteste Sitzung meines Lebens. Ich saß mit den Bürgermeistern und Landräten der beteiligten Kommunen bereit, um über technische Nachrüstungen an der Anlage zu sprechen. Claasen hat uns warten lassen, wie in einer Karikatur. Dann kam er, griff sich eine Banane aus dem Obstkorb, schälte sie langsam, biss rein, kaute und sagte dann: Ich wollte Ihnen übrigens sagen, die Anlage machen wir zu. Wir waren vom Donner gerührt. Das war der Tod von Thermoselect.

Es ging ums Geld?

Man erzählte sich damals, Claasen sei durch alle Dienstzimmer der EnBW gegangen und habe gesagt, alle Aktivitäten, die risikobehaftet sind, werden sofort gestoppt und abgeschrieben. Bei einem Vorstandswechsel ist es wohl gängige Praxis, sich von Risiken zu trennen und alles auf den Vorgänger zu schieben. Die EnBW hat in dem Jahr 1,1 Milliarden Euro abgeschrieben. 450 Millionen entfielen auf Thermoselect.

Was hieß das Ende mit Schrecken für Karlsruhe und seinen Umweltdezernenten?

Wir trugen keinerlei Risiko. Wir hatten uns nur verpflichtet, 30 Jahre lang Müll anzuliefern. Wir fanden die Technik umweltpolitisch sensationell gut. Aber das gesamte Risiko lag bei der EnBW. Deshalb waren für mich schon vorher technische Unsicherheiten zweitrangig. Heute fährt der Karlsruher Müll zur Verbrennung nach Mannheim. Mit dem Auftrag, eine Müllverbrennungsanlage zu bauen hat alles angefangen. Dann haben wir uns zwei Mal um die eigene Achse gedreht und sind wieder bei der Müllverbrennung gelandet. Hoffnungen wurden enttäuscht, viel Geld wurde verbrannt. Aber die Stadt kam ohne Verluste aus der Sache, die Bürger wurden nicht belastet.

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