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Im Krieg zu Munition umgeschmolzen

Leopoldshafens Konservative nutzten 1913 Sturmglocke zur Wählermobilisierung

Im Rathausturm findet man Glocken heutzutage nur noch ausnahmsweise in der Hardt. Weitaus häufiger sind sie in den Heimatmuseen der Gemeinden zu sehen.

Erhalten: Frank Hauler brachte die Linkenheimer und Hochstetter Rathausglocken im Heimathaus an und Heimatkundler Manfred Becker (links) kennt die historischen Details.
Frank Hauler (rechts) brachte die Rathausglocken aus Linkenheim und Hochstetten im Heimathaus an. Heimatkundler Manfred Becker kennt die historischen Details. Foto: Alexander Werner

In den Gemeinden im nördlichen Landkreis Karlsruhe sind die lange vernachlässigten Sirenen zur Warnung der Bevölkerung in Notlagen wieder höchst aktuell.

In früheren Zeiten erfüllten diese Aufgabe Sturmglocken. Aufgehängt waren sie vielfach in Dachreitern von historischen Rathäusern.

An ihrem angestammten Platz findet man sie noch heute in den ehemaligen Amtssitzen in Leopoldshafen im 1910 versetzten Turm oder im Büchiger Rathausturm.

Altes Leopoldshafener Rathaus ist heute Heimatmuseum

Das Leopoldshafener Rathaus war ursprünglich Zollhaus und ist heute das Heimatmuseum. „Die Glocke wurde früher in Notsituationen wohl häufiger wegen Überschwemmungen als bei Bränden geläutet“, sagt Museumsleiter Wolfgang Knobloch.

Im März 1928 erwähnte die Badische Presse zum 100. Todestag von Johann Gottfried Tulla, dass dieser in einer Denkschrift zur Rheinkorrektion von den Sturmglocken der Rheinorte bei Wassernot sprach.

Mittlerweile seien diese Glocken verstummt und einbrechende Dämme bis auf Ausnahmen Geschichte, so die Zeitung.

Von einem Sonderfall berichtete im Mai 1913 das SPD-Blatt „Volksfreund“. Bei der Stichwahl des Landtagsbezirkskandidaten hätten es die Nationalliberalen wegen der schlechten konservativen Wahlbeteiligung mit der Angst bekommen. Einer von ihnen sei auf die Idee gekommen, die Sturmglocke zu läuten.

Als man die alsbald eintreffenden säumigen Wähler über den Zweck informiert habe, hätten alle den Nationalliberalen Ludwig Neck gewählt. „Als wir vor über 40 Jahren einmal wagten, die Glocke zu läuten, haben wir auf den Hut bekommen“, erzählt Knobloch. „Denn viele Leute dachten, es sei etwas passiert.“ Noch einmal aber erklang das Geläut zur 850-Jahrfeier im Jahr 2010.

Eine kleine Glocke im Türmchen hatte das um 1581 erbaute und 1891 abgerissene Linkenheimer Rathaus. Lange später erinnerte sich ein Zeitzeuge, dass oben im Gebäude ein Seil hing, mit dem der Büttel die Glocke bei Versammlungen, Versteigerungen, zu Schulbeginn, als Mittagssignal oder bei Bränden betätigte.

Die Glocke im Neubau von 1890 wurde im Krieg 1917 abgegeben, für Munition eingeschmolzen und 1921 ersetzt.

Beim Rathausumbau wich 1960 der morsche Dachreiter. 1987 erhielt das Altgebäude beim Ausbau einen neuen Turm. Die Glocke hängte Frank Hauler 2021 wie zuvor diejenige aus Hochstetten in der Zehntscheuer auf.

Die Aufhänger fertigte er aus von Herbert Reinacher gespendetem Linkenheimer Eichenholz. Die Hochstettener Stahlglocke ersetzte einst ihre 1917 eingeschmolzene bronzene Vorgängerin im Dachreiter des 1732 erbauten Rathauses. 1966 ließ die Gemeinde ihr markantes Wahrzeichen abbrechen.

Rathausturm wird zu Brennholz verarbeitet

Das erste Rußheimer Rathaus bestand wohl schon im Dreißigjährigen Krieg. Es stand mitten auf der Straße und verschwand mit dem 1842 gegenüber vollendeten neuen Rat- und Schulhausbau. 1974 erwarb ihn die fusionierte Raiffeisenbank Untere Hardt. Den von ihr geplanten Abbruch verhinderte das Landesdenkmalamt.

Es genehmigte einen Umbau, dem das markante Türmchen zum Opfer fiel. Es wurde zu Brennholz verarbeitet. Die darin befindliche Glocke wurde in der Bank ausgestellt.

1997 holte sie der damalige Ortsvorsteher Manfred Werner als Schau- und Schmuckstück am originalen Balken in die Ortsverwaltung. Die Glocke wurde 1923 gegossen und ersetzte eine ältere.

2016 gesellte sich der unerwartet wieder aufgetauchte Wetterhahn aus schwerem Zinkblech mit Standbein und Drehuntersatz dazu.

Stahlglocke als Ersatz

In Liedolsheim fand Heimatkundler Rainer Oberacker im Rathausarchiv eine Erwähnung der alten Rathausglocke im Jahr 1695. Erbaut wurde das Rathaus wohl in dieser Zeit. 1917 wurde die Glocke kriegsbedingt zum Einschmelzen abgegeben.

Liedolsheim bekam später als Ersatz eine Stahlglocke. „Stahl wurde damals als weniger wertvoll betrachtet und war wesentlich kostengünstiger“, so Oberacker. „Bronze war bis 1922 schwierig zu bekommen.“

Die Glocke machte nach dem Abriss des Rathauses 1972 den Umzug der Verwaltung ins frühere Schulgebäude mit und erhielt im 1991 eingeweihten Neubau einen Platz im Foyer auf einem fahrbaren Holzgestell.

Grabens erstes Rathaus wurde wohl 1689 eingeäschert und sein Ersatzbau 1870 abgerissen. Der damalige, weiterhin stehende Neubau erhielt bei Umbauten 1886 einen Turm mit Glocke.

1914 wurde sie im Krieg abgegeben. Beim großen Umbau 1929 bekam der neugestaltete Turm wieder eine Glocke. Sie ist heute im Heimatmuseum ausgestellt.

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