An der Großbaustelle in Graben-Neudorf ist am Mittwochmorgen der normale Betrieb gestoppt. Bauarbeiter und Handwerker für die riesige Fertigungshalle der SEW-Eurodrive sind nicht an ihrem gewohnten Platz.
Stattdessen stehen sie in ihren orangefarbenen Warnwesten und mit gelben oder blauen Helmen unschlüssig vor den mächtigen, entstehenden Gebäuden. Am hunderte Meter langen Bauzaun in der Straße Kammerforst patrouillieren Polizisten in dunklen Uniformen und einige Einsatzfahrzeuge.
Passiert ist dennoch nichts. Noch nicht. Es gab keinen Alarm, kein Unglück. Die Polizei sorgt nur dafür, dass sich niemand verdrückt, flüchtet und sich der Kontrolle entzieht. Denn am Mittwochmorgen um 8.30 Uhr hat sich als Überraschungsbesuch der Zoll angesagt. „Wir prüfen, ob illegale Beschäftigung vorliegt oder der Mindestlohn nicht gezahlt wird“, erklärt Anne Deubel vom Hauptzollamt Karlsruhe.
Und weil bei den vielen Gewerken für die Fertigungshalle mit 70.000 Quadratmetern Fläche täglich 300 Arbeiter beschäftigt sind, rückt der Zoll ebenfalls mit einem Großaufgebot an: 90 Mitarbeiter mit gelb-orangenen Westen und weißen Helmen verteilen sich auf dem Betriebsgelände und erklären die Abläufe.
Kontrollen im THW-Zelt mit Dolmetschern in Graben-Neudorf
Später werden die Zollbeamten aus ganz Nordbaden die Beschäftigten in Gruppen zur eigentlichen Konrolle bitten. Dafür entsteht eine Art Außenbüro im Zelt, das Technische Hilfswerk (THW) hat es aufgebaut. „Wir machen Vernehmungen, dort werden ausführliche Fragebogen ausgefüllt, und wir haben auch Dolmetscher dabei“, berichtet Zolloberinspektorin Alina Holm.
Wenn ihre Kollegen arbeiten und mit den umfangreichen Prüfungen beginnen, halten sie andere von der Bau-Arbeit ab. „Es soll natürlich so verträglich wie möglich ablaufen“, versichert Zollamtfrau Deubel. Nicht ganz zufällig hat sich ihre Behörde die Großbaustelle ausgesucht, eine der tätigen Firmen ist anderswo schon einmal wegen illegaler Beschäftigung aufgefallen.
Erste Aufregung, dann Entspannung bei Vertreterin von SEW-Eurodrive
Am Nordtor sind inzwischen auch eine Vertreterin der Bauherrin SEW und einer der Architeken angekommen. Sie informieren sich bei bei Einsatzleitung über die Abläufe. Und erfahren, dass die Kontrolle durchaus bis 16.30 Uhr dauern kann.
Kein Tag also wie jeder andere.
Panik aber kommt im Umfeld nicht auf. „Ich seh’ das ganz entspannt, auch wenn zunächst erst mal Aufregung da war“, sagt Daniela Schmid für die SEW zum Überraschungsbesuch der Behörde. „Wir haben hier Firmen beschäftigt, die sorgfältig ausgesucht wurden und deren Subunternehmer uns auch alle bekannt sind. Wir hatten auch früher keine Probleme mit Kontrollen. Sie kommen auf jeder längeren Baustelle immer vor“, meint Schmid. Sie verweist darauf, dass jeder der 300 Bauarbeiter einen Ausweis mit sich führen müsse.
Im Frühjahr 2023 soll der Erweiterungsbau für die Produktion von Wellen und Zahnrädern für Getriebe fertig sein. Ob der Mittwochmorgen den Zeitplan verändern wird? Ist jemand aufgeflogen, der schwarz arbeitet oder nicht korrekt bezahlt wird? Nun müssen sich erst mal die Zollbeamten über die Kontrolllisten beugen, und bei Verstößen betrifft das zunächst die Baufirmen.
30 Mal Verdacht auf illegalen Aufenthalt
Bei 280 überprüften Beschäftigten ergab sich 30 Mal der Verdacht auf illegalen Aufenthalt, berichtet das Hauptzollamt. Es hat Außenstellen von Baden-Baden bis Mannheim und eine für Bruchsal im Gewerbegebiet Karlsdorf. Für solche Großkontrollen ist Personal aus allen regionalen Dienststellen im Einsatz. Auf 773 Arbeitskräfte kommt die Behörde mit der Zentrale in Karlsruhe. In Bruchsal gibt es 13,5 Stellen.
Im Jahr 2021 wurden bei rund 2.000 Arbeitgebern Nordbadens schwarze Schafe gesucht. Daraus ergaben sich 4.600 Strafverfahren, davon sind 4.093 abgeschlossen. An Geldstrafen für Schwarzarbeit oder illegale Beschäftigung kamen 1,5 Millionen Euro zusammen. In den Jahren 2019 und 2020 waren es ebenfalls über eine Million Euro.
Addiert man außerdem die Freiheitsstrafen aus den Kontrollen und Anklagen, dann kommen zwischen 64 und 86 Gesamtjahre für alle Verurteilten zwischen 2019 und 2021 heraus. 153 Mal kam es im Vorjahr zu Geldbußen, weil der Mindestlohn nicht gezahlt wurde. Ziemlich hoch ist die Schadenssumme, die bei den Ermittlungen gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung herauskam: Es waren 26 Millionen Euro, im Jahr 2020 sogar 37,3 Euro.
Schaut man auf weitere Tätigkeitsgebiete des Zolls, dann fällt auf, dass in Nordbaden zuletzt enorm viele geschmuggelte Zigaretten beschlagnahmt wurden: 800.000 Stück im Jahr 2021, in den Jahren zuvor war diese Zahl viel geringer. Enorm viel „Beute“ machten die Fahnder außerdem durch 117.000 Gramm Rauschgifte.