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Historisches Buch

Was Zeitzeugen aus Linkenheim-Hochstetten über Nazis, Lynchjustiz und Kriegsgräuel erzählen

In einem Buch über die NS-Zeit berichten Zeitzeugen von Leichen im Baum, der Seidenraupenzucht und erklären, warum die Franzosen mit Baguette einmarschierten.

Menschen stehen Anfang der 1930er-Jahre auf der Linkenheimer Hauptstraße, die mit badischen und Hakenkreuzfahnen geschmückt ist.
Anfang der 1930er-Jahre übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in der Region. Auch an der Linkenheimer Hauptstraße, der heutigen Karlsruher Straßen, hingen Hakenkreuz-Fahnen. Foto: Otto Nees/Gemeindearchiv Linkenheim-Hochstetten

Mitte 1944 donnern Bomber der Alliierten über die Hardt. Ein amerikanisches Flugzeug wird von einer Kanone der Nazis getroffen und stürzt auf die Straße zwischen Leopoldshafen und der Rheinfähre.

Der Pilot rettet sich mit dem Fallschirm, der Wind treibt ihn nach Linkenheim ab. Am Blankenlocher Weg nimmt ihn ein Linkenheimer Soldat gefangen und bringt ihn ins Rathaus.

Die Bürger im Ort sind aufgebracht, wollen den Amerikaner töten. Der deutsche Soldat beschützt seinen eigenen Feind und rettet ihn vor der Lynchjustiz.

Es sind Erzählungen wie diese, die das Buch von Rainer Grund und Dietmar Walz prägen. In der 13. Auflage von „Anno dazumal – Die fast vergessenen Geschichten von Linkenheim und Hochstetten“ beleuchten sie neben anderen Themen eines der dunkelsten Kapitel der Gemeindehistorie.

Buch über Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg in Linkenheim-Hochstetten

Zeitzeugen schildern darin eindrücklich die Anfänge des Nationalsozialismus, den Bombenhagel der Alliierten und den Einmarsch der Franzosen.

Illustriert mit historischen Aufnahmen aus Bibliotheken und Archiven, bieten sich Lesern auf rund 70 Seiten erschreckende Einblicke in die NS-Zeit. Das Buch mit einer Auflage von 300 Stück ist bei Schreibwaren Linkenheim und in der Gemeindebibliothek erhältlich.

Es gibt kaum Aufzeichnungen mit lokalem Bezug.
Rainer Grund
Ortshistoriker aus Linkenheim-Hochstetten

Übrigens: Viele Jahre nach Kriegsende, so berichten es Zeitzeugen, kehrt der amerikanische Pilot zurück an den Ort, an dem er fast umgebracht worden wäre. Und er trifft den Mann wieder, jenen einheimischen Soldaten, der ihm das Leben gerettet hat.

„Diese Geschichte hat uns besonders bewegt“, sagt Rainer Grund. Es ist eine von vielen, die den Schrecken der Kriegstage deutlich machen.

Dietmar Walz und Rainer Grund, Ortshistoriker aus Linkenheim-Hochstetten
Dietmar Walz (links) und Rainer Grund haben ein Buch über die NS-Geschichte in Linkenheim-Hochstetten geschrieben. Foto: Gabi Grund

Eine andere: Ein kanadisches Jagdflugzeug wird nachts abgeschossen und stürzt in den Wald südlich des Linkenheimer Sportplatzes. Mehrere Jungen aus dem Ort laufen am Tag darauf zur Absturzstelle. „Es war kein schöner Anblick, da die Körperteile der Piloten in den Bäumen hingen“, erzählt einer von ihnen 80 Jahre später.

Die zeitliche Distanz erschwert die Recherche der beiden Autoren. „Aufzeichnungen mit lokalem Bezug gibt es kaum“, sagt Grund. Es sei daher „nicht immer leicht gewesen, bei den Geschichten der Zeitzeugen zwischen Gehörtem und Erlebtem zu unterscheiden“.

Nazis deportieren Mitglieder der Arbeiterparteien in Konzentrationslager

Die Zeugen sind alle heute um die 90 Jahre alt, den Zweiten Weltkrieg haben sie als Kinder erlebt. „Es war für uns ein Vorteil, dass wir beide nicht aus dem Ort stammen“, sagt Grund. „Trotzdem war die Zurückhaltung wegen persönlicher oder familiärer Betroffenheit noch heute spürbar.“

Nach den Reichstagswahlen 1933 übernimmt die NSDAP auch in Linkenheim die Macht. Der marxistische Arbeitergesangverein und der Arbeiterschützenverein werden aufgelöst, ihr Vermögen wird beschlagnahmt. Mitglieder der Arbeiterparteien werden in Konzentrationslager deportiert.

Die Nationalsozialisten haben großen Zulauf. „Mein Vater ist auch in die NSDAP eingetreten“, berichtet ein Zeitzeuge. „Man durfte nicht anders, hieß es damals.“ Nach dem Krieg habe sich „herausgestellt, dass es auch Leute gab, die nicht in der Partei waren“.

Versammlung vor dem Linkenheimer Rathaus 1936
Dieses Bild aus dem Gemeindearchiv zeigt eine Versammlung vor dem Linkenheimer Rathaus im Jahr 1936. Foto: Ernst Heuser/Gemeindearchiv Linkenheim-Hochstetten

Die Jungen treten der Hitlerjugend bei. „Wir waren stolz, weil wir nun dazu gehörten“, sagt einer von ihnen heute. In den Jugendorganisationen formen die Nazis den Nachwuchs nach ihren Vorstellungen.

Einige Kinder, erzählt ein Zeitzeuge, hätten sogar ihre Eltern verraten, weil sie bei der Hitlerjugend so gedrillt worden seien. „Sie wussten ja nichts anderes.“

Ab 1939 verändert der Krieg das Ortsbild. Wo heute die katholische Kirche steht, errichten die Nazis einen Suchscheinwerfer. Er strahlt bis zu 4.000 Meter hoch. Auf dem Feld in Richtung Friedrichstal steht eine Flakbatterie zum Beschuss feindlicher Flieger.

Widersprüchliche Aussagen über den Holocaust

Beim Sängerheim am Herrenwasser, heute Restaurant „Waldblick“, befindet sich eine Maulbeerallee für die Seidenraupenzucht. Die Kinder müssen Maulbeerblätter sammeln, die Seide wird für Fallschirme benötigt.

Ab Mitte des Krieges fährt immer häufiger der Ortsgruppenleiter durch das Dorf. „Da sind die Leute zusammengezuckt, man hat geschaut, in welches Haus er ging“, erinnert sich ein Zeitzeuge. „Denen hat er einen Brief gebracht, mit der Nachricht, dass wieder jemand den Heldentod gestorben ist.“

Am Kriegsende marschieren französische Soldaten über die Karlsruher Straße, damals Adolf-Hitler-Straße, in den Ort ein. „Um die Bewohner zu ärgern, hatten manche Franzosen ein Weißbrot an einer Schnur vor sich hängen“, erzählt ein Befragter. Aber die Leute auf dem Land seien nicht hungrig gewesen.

Laut Grund lebten zur NS-Zeit keine Juden im Ort. „Wir wussten auch nicht, dass es Konzentrationslager gab“, betont einer der Zeitzeugen im Gespräch.

Ein anderer erfährt dagegen, dass ein entfernter Verwandter Insasse im KZ Buchenwald ist. „Von Auschwitz und den anderen KZ haben wir aber nichts gewusst“, sagt er.

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