Fußball ohne Fans, eigentlich unvorstellbar. Doch mit dem Wiederbeginn der Bundesliga und der 2. Liga wird genau das passieren. Die Corona-Verordnungen erlauben Spiele nur vor leeren Rängen. Das heißt für die Karlsruher: Abstiegskampf ohne Unterstützung der Fans! Aber haben die überhaupt Einfluss auf das Geschehen auf dem Rasen? Und wie bereiten sich Profi-Kicker auf Geisterspiele vor? KSC-Verteidiger Daniel Gordon und ein Sportpsychologe des KIT liefern Antworten.
Stimmungsvolle Gesänge. Rhythmisches Klatschen. Wütende Aufschreie. Daniel Gordon bemerkt alles, was außerhalb des Spielfelds geschieht. "Du kriegst mit, wie sie reagieren. Es ist jemand da, der dich unterstützt." Der KSC-Innenverteidiger gehört fast zum Inventar im Wildpark. Seit 2012 - mit einem Jahr Unterbrechung - kickt er für die Badener. Gordon schätzt die Emotionalität der eigenen Fans. Egal ob auswärts oder daheim, das Spektakel auf den Rängen motiviert den 35-Jährigen: "Jeder Zweikampf, jeder Abschuss, der gefeiert wird - das pusht dich."
KSC-Profi Gordon: "Emotionen, deshalb spiele ich Fußball."
Auf die Leidenschaft des Anhangs werden er und seine Kollegen in den verbleibenden Spielen der 2. Bundesliga nicht bauen können. Der Abstiegskampf des KSC wird wegen der Corona-Verordnungen wohl vor leeren Rängen stattfinden. Geisterspiele, statt Tollhaus Wildpark. Fußball ohne Fans? Für Gordon kaum vorstellbar: "Diese Emotionen, die der Zuschauer aufs Feld übertragen kann, deshalb spiele ich Fußball."
Man denkt sich: Sieh zu, dass du deine Beine wieder hoch kriegst.Daniel Gordon, KSC-Profi
Dabei sei es laut Gordon egal, ob die Mannschaft daheim oder auswärts spiele. "Wenn es lauter wird, nimmt man das noch mehr wahr. Selbst wenn es zum Beispiel nur 30 Leute wären", erinnert sich Gordon und sagt: "Man denkt sich: Sieh zu, dass du deine Beine wieder hoch kriegst." Die Gesänge würden das Stadion zum Überkochen bringen. "Die Fans geben dir die nötige zusätzliche Motivation, um an die Leistungsgrenze zu gehen", erklärt der KSC-Profi.
Gerade Stimmung und Emotion werden häufig mit dem Faktor Fans verrechnet. Sportler sprechen lobend über die Anhänger und begründen Siege mit deren Unterstützung. Ist das nur eine Floskel, um die Gefolgschaft milde zu stimmen? KIT-Sportpsychologe Darko Jekauc verneint das. "Zuschauer werden nicht zu Unrecht als zwölfter Mann bezeichnet", beschreibt er die Wirkung von Fans. Diese können Mannschaften bei Spielen emotionalen Halt geben und Spieler beider Teams beeinflussen. "Es gibt Berichte von Spielern, die sich beim Gang ins Stadion wie in einer Gladiatoren-Arena fühlen", erzählt Jekauc.
Mehr zum KSC:Stimmung gibt es in beide Richtungen: "Fans können eine positive oder negative Auswirkung haben", erklärt Jekauc. Generell beschreibt der KIT-Professor die Emotionsübertragung so: "Die Stimmung im Stadion übertragt sich auf die Stimmung des Sportlers." Der Mensch sei empathisch und das, was um ihn herum geschehe, wirke sich auf ihn aus. "Und das hat einen Einfluss auf die Leistung - wie eine Welle, die sich ausbreitet." Aber Jekauc merkt auch an, dass zwischen Fans und Profis so eine Bringschuld entstehe.
Fan-Vertreter Fuchs: "Können eigene Mannschaft zum Sieg schreien"
Als Team funktionieren und erfolgreich sein, dafür seien laut Marco Fuchs auch die Trainer und Spieler selbst verantwortlich. Geisterspiele stellen auch die Anhänger vor Herausforderungen. Der Vorsitzende der Supporters Karlsruhe, dem Dachverband der KSC-Fans, weiß um den Einfluss: "Die Anfeuerung, die Atmosphäre in einem Stadion, die Emotion, das kann die Spieler dazu bringen, zusätzlich motiviert zu sein und länger Höchstleistungen zu erbringen." Fuchs ist überzeugt: "Fans können die eigene Mannschaft - im wahrsten Sinne des Wortes - zum Sieg schreien." Und: "Genauso kann man mit einem gellenden Pfeifkonzert, den Gegner verunsichern", erklärt er. All diese Emotionen aus dem Fanblock gibt es bei Geisterspielen jedoch nicht.
Und wie fühlt sich ein Sportler bei einem Spiel in einem leeren Stadion? Bundesliga-Profi Christoph Kramer, der im März das bislang letzte Bundesligaspiel mit Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln im März 2020 absolvierte, beschrieb das Gefühl nach dem Derby ähnlich dem bei einem "Testspiel".
Gordon war beim letzten Geisterspiel des KSC im Jahr 2012 im Kader
Ein Gefühl, dass auch Gordon kennt, wenn auch nur von der Karlsruher Ersatzbank. Im August 2012 sah er von dort das 1:1 gegen den VfL Osnabrück - mit dem heutigen Karlsruher David Pisot. Damals verfolgten zumindest noch tausende KSC-Fans vor dem Stadion das Spiel auf der Leinwand. Bei den Corona-Spielen der Liga ist das aber ausgeschlossen.
KIT-Professor Jekauc nennt Testspiele vor leeren Rängen als mögliche Option zur Vorbereitung auf die Bundesliga-Fortsetzung. Helfen Test-Geisterspiele und eigene Erfahrungen zumindest ein wenig, um mit der der Situation umzugehen? "Auch wenn ich das einmal erlebt habe, trainieren kann man das nicht", sagt Gordon. Der 35-Jährige erkennt aber einen anderen Mini-Vorteil. "Man versteht jedes Wort", sagt Gordon. In einem vollbesetzten Stadion sei die Kommunikation untereinander erschwert, vieles laufe automatisch ab, da man seinen Teamkollegen nicht höre. Vor leeren Rängen könnten sich die Spieler besser absprechen. "Das ist ein ganz wichtiger Faktor", erklärt der KSC-Verteidiger.
Beim rheinischen Derby zwischen Gladbach und Köln stellten Fans Papp-Figuren auf. So sollte minimal Atmosphäre erzeugt werden. Davon hält Fuchs nichts: "Das ist schlichtweg sinnlos und ein Schlag ins Gesicht der Fans." Auch die von Funktionären vorgeschlagenen, eingespielten Fan-Gesänge könnten sich niemals realistisch den Spielsituationen anpassen, so der Supporters-Vorsitzende. Stattdessen könnten Nachrichten an das Team einen Motivationsschub liefern. "Um der Mannschaft zu zeigen, dass sie nicht alleine ist", so Fuchs.
Supporters-Vorsitzender Fuchs: Sind bereit, Verantwortung zu übernehmen
Auch für Anhänger, die ihren Herzensverein in jeder Lage unterstützen, ist das Saisonfinale ohne Fans schwer zu verkraften. "Nicht nur weil unsere Mannschaft im Abstiegskampf steckt, sondern weil diese Art des Fandaseins nicht nur ein normales Hobby ist", erklärt Fuchs und spricht von einer Verpflichtung, dem eigenen Verein quer durchs Land hinterher zu reisen. Corona aber verhindert die Gewohnheiten des Anhangs. "Wir Fans sind jedoch bereit, unsere Verantwortung in dieser Krise zu übernehmen", sagt Fuchs.
Auch interessant:Die zunehmende Kritik aus der Bevölkerung zum Bundesliga-Neustart bringt aber auch die Spieler selbst zum Grübeln. "Wir wissen das, versuchen das aber objektiv zu betrachten", so Gordon. Wenn der Fußball versucht in die Spur zurückzukommen, könne er das verstehen. Es gehe um Existenzen und Arbeitsplätze. Den Fußball und dessen "Gier nach Profit" bewertet Fuchs kritischer. Er sieht in dem Betteln bei der Politik um Ausnahmegenehmigungen einen "Schlag ins Gesicht der wirklich systemrelevanten Jobs und Unternehmen."