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Museums-Depot Teil zwei

Beim teilweisen Umzug des Brettener Museums-Depots tauchen Werke großer Künstler auf

Ein Original von Käthe Kollwitz oder Werke von Wladimir von Zabotin: Beim Aufräumen findet Brettens Museumsleiterin Linda Obhof so manchen verborgenen Schatz. Darunter auch Werke, die bei den Nazis auf dem Index standen.

Museumsleiterin Linda Obhof kniet im Brettener Museumsdepot vor Kisten mit Mineralien.
Stunden mit Kisten: Die Pandemiezeiten nutzt Museumsleiterin Linda Obhof um die insgesamt mehr als 12.000 Einzelstücke zu sichten und zu inventarisieren. Das Museumsdepot findet sich noch dezentral in verschiedenen Räumen in Bretten. Foto: Tom Rebel

Er misst etwa zehn auf 15 Zentimeter, doch der Name der Schöpferin trägt. Die Augen von Brettens Museumsleiterin Linda Obhof weiten sich über ihrer Maske: „Wir haben hier ein Original von Käthe Kollwitz.“ Der Druck zeigt Personen, die in einem düsteren Zimmer um einen Tisch sitzen. Obhof: „Noch wissen wir nicht, ob dieses Werk jemals aktenkundig wurde bisher.“

Dabei wollte Linda Obhof im Grunde nur corona-bedingt „aufräumen“. Ihre Formulierung vereinfacht das detailreiche systematische Sichten, Zuordnen und Digitalisieren etwas. Ihr Team förderte neben dem Kollwitz-Druck Werke von Wladimir von Zabotin und „einen Stapel Werke von Rudolf Schlichter“ zutage, sagt sie. „Ich bin ein Fan von Schlichters farbenfroher Malerei!“ Die Werke beider Künstler stammen aus dem Nachlass von Walheide Wittmer, Künstlerin und Verwandte der Brettener Familie Beuttenmüller.

Schlichter und Zabotin gehörten zur Künstlergruppe Rih in Karlsruhe. Die Gruppe lohnt ausführlichere Lektüre. Schlichter, gebürtiger Calwer, erlernte in Pforzheim die Porzellanmalerei, wurde auch Schriftsteller und stellte erstmals 1919 in Karlsruhe mit Wladimir von Zabotin aus.

Werke von Rudolf Schlichter stapeln sich in Bretten

Schlichter porträtierte etwa Bertolt Brecht, später auch Ernst Jünger. Sein Leben war schillernd, ausschweifend. Einige Werke setzten die Nazis als sogenannte „pervers-erotische Selbstdarstellung“ auf den Index. Carl Zuckmayer schrieb über „Rih“, den Namen der Künstlergruppe, er sei „nach Karl Mays unvergleichlichem, …dahinfliegenden Rapphengst“ gewählt.

„Ich gehe schwer davon aus, dass die Brettenerin Walheide Wittmer Schlichter und Zabotin kannte“, so Obhof. Wittmer hatte eine Restaurationswerkstatt in Karlsruhe als die Künstler hier Anfang des 20. Jahrhunderts studierten.

Obhof: „Beim Besuch eines Verwandten der Beuttenmüllers gab er mir recht. Wie sonst sollten so viele ungerahmte Werke in den Besitz Walheide Wittmers kommen?” Wie das Kollwitz-Original in den Nachlass der Restauratorin gelangte, weiß Obhof nicht – noch nicht.

Typisch für unsere Arbeit sind Kisten und wieder Kisten.
Linda Obhof, Museumsleiterin Bretten

Die Archäologin und Kunsthistorikerin ist hartnäckig. Seit Pandemiebeginn kämpften mit ihr vier „Power-Frauen“, sagt sie, gegen den Staub, der ihnen aus Kisten und noch mehr Kisten voller Mineralien, Keramiken, Figuren oder Büchern entgegen stob.

Die zwei Azubis und je eine Mitarbeiterin vom Museum und vom Kulturamt steckten oft hinter Masken und in weißen Handschuhen. Sie knieten Stunden vor Kartons oder kraxelten Leitern vor wandhohen Regalen hinauf und hinab.

„Beim Aufstellen der Regale half uns der Bauhof. Auch die Kartons sind neu. Umzugskartons enthalten oft Säure, die Exponaten schaden kann“, erläutert Obhof. Textilien werden in Seidenpapier eingeschlagen. Das alles hat sie erst durch die Praxis gelernt, sagt sie.

Die Wochen ließen in Obhof den Wunsch nach neuen Ausstellungen reifen und nach Depotführungen – gäbe es nicht Corona. Nun öffnen sie und ihr Team geduldig die Türen zum Inventar der städtischen Museen in den dezentral gelegenen Räumen in Bretten. Sie nehmen jedes der mehr als 12.000 Stücke in die Hand: Jedes Teil wird fotografiert, vermessen und näher beschrieben.

Das System hat Wolf Albert, ehemaliger Brettener Museumsleiter noch vor Peter Bahn, entwickelt. Linda Obhof besucht Wolf Albert gelegentlich im Seniorenheim Am Brückle. Seit seiner Tätigkeit tragen die Kartons das Jahr des Eingangs, eine Objekt- und eine Karton-Nummer sowie eine knapp Inhaltsangabe neben dem abgekürzten Fundort, beispielsweise Mineralien KA.

Auch zur digitalen Kartei gehört also die Provenienz, die Herkunft. Was an Details bis in die 1980er Jahre analog geschah, wurde dann per Excel geführt – ob es die drei Heiligenfiguren betrifft, die unter weißem Leinen der Dinge harren und auf etwa 1500 datieren oder beispielsweise eine Urkunde zur Regelung eines Waidgangs zwischen Sickingen und Zaisenhausen aus dem 16. Jahrhundert.

Frühere Generationen sammelten und bewahrten, jetzt wird digital erfasst

Heute sei laut Obhof das Software-System „Primus“ dasjenige zur professionellen Inventarisierung. Auch in Bretten. Obhof behält Excel parallel. Es sei übersichtlicher. Denn zur Beschreibung zählt obendrein der rechtliche Status: Dauerleihgabe oder Geschenk? Darf das Exemplar ausgestellt werden? Unter welchen Bedingungen?

„Alles was licht- oder temperaturempfindlich ist oder wo Feuchtigkeit eine Rolle spielt, kommt ins neue Depot, auch Kleinteiliges“, so die Kunsthistorikerin. Bald haben sie den Gesamtüberblick, sagt sie.

Bei der Landesstelle für Museumsberatung in Stuttgart, erzählt Obhof, sagte jemand, dass die Museen seit Generationen fürs Sammeln und Bewahren zuständig waren und die heutige – dank Corona – für Erfassung und Digitalisierung.

Was nach Bürokratie klingt, rückt Linda Obhof so zurecht: „Wir waren überrascht, wie viel Archäologie Bretten zu bieten hat und wie viel mehr wir jetzt über die Stadtgeschichte wissen.“



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