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Schuldentragfähigkeit entscheidend

Oberderdinger Bürgermeister Thomas Nowitzki: Gemeinden tragen die Hauptlast der Kosten

Die Situation war schon vor Corona nicht rosig: Den Kommunen im Ländle geht das Geld aus. Oberderdingens Bürgermeister kann davon ein Liedchen singen.

Bürgermeister Thomas Nowitzki
Interview zum 40jährigen Dienstjubiläum im öffentlichen Dienst
Juli 2018
Foto: bert
Bürgermeister Thomas Nowitzki Interview zum 40jährigen Dienstjubiläum im öffentlichen Dienst Juli 2018 Foto: bert Foto: Hansjörg Ebert

2.500 Städte und Gemeinden in Deutschland gelten als überschuldet. Der Bundesfinanzminister will den Kommunen bei der Entschuldung unter die Arme greifen. Die Rettungsaktion gestaltet sich schwierig und wird vor allem teuer. Doch wie ist es eigentlich in Baden-Württemberg und im Landkreis um die kommunalen Schulden bestellt. Unser Redaktionsmitglied Hansjörg Ebert sprach darüber mit dem Oberderdinger Bürgermeister, der auch als Vorsitzender des Kreisverbands Karlsruhe des Gemeindetags Baden-Württemberg die finanziellen Probleme der Gemeinden aus langjähriger Erfahrung kennt.

Wie stellt sich die Schuldensituation der Gemeinden hier im Kreis dar? Wie akut ist das Problem für einzelne Kommunen?
Nowitzki

So strukturell verschieden aufgestellt, so unterschiedlich ist die Schuldensituation der 32 kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Ein einfacher Vergleich ist solide gar nicht mehr möglich, weil neben dem eigentlichen Haushalt heutzutage viele Kommunen über Eigenbetriebe und Gesellschaften die vielfältigen Aufgaben der Daseinsvorsorge für die Einwohnerinnen und Einwohner erfüllen und deren Verbindlichkeiten meist nicht enthalten sind. Mit dem neuen kommunalen Haushaltsrecht müssen die Gemeinden auch den Werteverzehr, also die Abschreibungen darstellen und erwirtschaften. Dies gelingt leider nicht allen. Aus fachlicher Sicht ist das Entscheidende bei der Betrachtung der Schuldensituation einer Gemeinde deren Schuldentragfähigkeit. Die scheint mir allgemein bei allen Kreisgemeinden gegeben zu sein. Vor allem auch bei den aktuellen Zinsen auf dem Kapitalmarkt.

Sollte der Bund Ihrer Meinung nach Altschulden der Gemeinden übernehmen?
Nowitzki

Die Altschulden von Gemeinden in ganz Deutschland sind nicht in der und auch nicht durch die Corona-Pandemie entstanden. Sie sind das Ergebnis des wirtschaftlichen Handelns von Städten und Gemeinden bei teils erheblichen strukturellen Unterschieden und anderen Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern. In Baden-Württemberg sind kaum ein Prozent der Gemeinden betroffen, während etwa im Saarland oder NRW viele, ja die meisten aller Gemeinden schon Kassenkredite im fünf- oder gar sechsstelligen Bereich je Einwohner haben. Bei einer Altschuldenregelung durch den Bund wären die baden-württembergischen Gemeinden leer ausgegangen.

Wo sehen Sie das Kernproblem bei der Überschuldung von Gemeinden?
Nowitzki

Eine Überschuldung sehe ich generell bei den Städten und Gemeinden im Land und auch im Landkreis nicht. Den jeweiligen Schulden stehen in der Regel auch hohe Vermögenswerte in Form von Grundstücken, Gebäuden und Wald sowie liquide Mittel gegenüber. Jede Gemeinde muss allerdings ihre Schuldentragfähigkeit bewerten, um auch zukünftig investieren zu können. Das Kernproblem der kommunalen Finanzen sind die laufenden Kosten beziehungsweise die dafür zur Verfügung stehenden Einnahmen. Die kommunale Ebene hat in den letzten Jahren immer neue Aufgaben, Vorgaben und Standards von Bund und Land zugewiesen bekommen. Überwiegend ohne ausreichenden Ausgleich.



Zum Beispiel?
Nowitzki

Als Beispiele seien die Kindertageseinrichtungen genannt. Die Hauptlast mit über 50 Prozent der erheblich gestiegenen Kosten tragen die Gemeinden. Und in der „großen“ Politik gibt es Akteure, die in der Zukunft die Elternbeiträge abschaffen wollen. Die sollen in Baden-Württemberg bei 20 Prozent liegen, meist sind es jedoch nur 15 oder 16 Prozent. Die Gemeinden fürchten, gegebenenfalls auch diesen Einnahmeausfall allein kompensieren zu müssen. Oder die stetig steigenden Kosten des ÖPNV. Oder die Kosten für einen angedachten Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung für Grundschüler. Oder die steigenden Verwaltungskosten bei der Umsetzung von Nahwärmekonzepten vor Ort. Stets steigenden Anforderungen für den Brandschutz. Da ist vieles in der Sache richtig. Doch die Gemeinden werden oft mit den Kosten allein gelassen.



Welche Wege aus der Schuldenmisere gibt es sonst noch?
Nowitzki

Bei der Verschuldung der baden-württembergischen Gemeinden von einer Misere zu sprechen ist im bundesweiten Vergleich etwa so, wie bei Deutschland im europäischen Vergleich. Doch das nützt alles nichts, wenn die Gemeinden ihre laufenden Ausgaben nicht mit laufenden, gesicherten Einnahmen decken können. Es geht auch um eine mittelfristige Planbarkeit, die aktuell bei der Abhängigkeit vom landesweiten Finanzausgleich und den Steuereinnahmen so nicht gegeben ist. Wer bestellt, zahlt! Diese Forderung muss unmissverständlich beachtet werden. Aber auch das Anspruchsdenken – die Gemeinde übernimmt alles – ist zu ändern. Dazu einmal mehr Bescheidenheit würde ich mir wünschen.



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