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„Monolizien“ kann überall sein

Schüler erproben in Gondelsheim, wie Gesellschaft funktioniert

In der Gondelsheimer Kraichgauschule erproben Achtklässler in einem Rollenspiel, wie schnell in einer Gesellschaft Dinge passieren, die anschließend keiner so gewollt haben will.

Schüler und ein Lehrer
Festnahmen in Monolizien: Kevin, Fernando, Dimi und Timo von der Kraichgauschule Gondelsheim erproben mit Spielleiter Martin (Mitte) im Rollenspiel, wie schnell eine Gesellschaft zerbrechen kann. Foto: Gerd Markowetz

„Buuh“, schreit das Volk und macht seinem Unmut lautstark Luft. Der richtet sich gegen die regierende Partei, die soeben Steuererhöhungen verkündet und mit dem neuen Geld den Sicherheitsapparat stärken will. Und auch die Blauäugigen sollen separiert werden, die behindern den Staat ja nur. Ach ja, die Presse schaltet sich auch noch ein, bringt Interviews und versucht aufzuklären.

Eine Protestpartei steht vor der Gründung und die Abteilung Recht und Ordnung vermeldet erste Festnahmen. Zuvor hatten die Nachrichten im Radio berichtet, dass die Regierungspartei der Arbeitslosigkeit den Kampf ansagt, den „Blauäugigen“ jegliche Intelligenz abspricht und es bei einer Großdemo gegen die Regierung 30 Festnahmen gab.

Was ziemlich realistisch klingt, ereignet sich im Klassenzimmer der achten Klasse der Gondelsheimer Kraichgauschule: Dort haben sich die Schülerinnen und Schüler aus Gondelsheim in das fiktive Land „Monolizien“ begeben und sind in ihre Rollen geschlüpft: In einem Planspiel, dessen Ausgang immer wieder ungewiss ist und das den jungen Leuten zeigen soll, wie schnell Ausgrenzung oder Diskriminierung entstehen können.

Schüler füllen ihre Rollen mit Leidenschaft aus

Martin G. von der Medienkompetenzzentrale Karlsruhe hat die Schülerinnen und Schüler der beiden achten Klassen an diesem Morgen in das krisengebeutelte Land geschickt und jedem seine Rolle zugeteilt. Und während sich die „Regierung“ Gedanken macht, wie sie Widersachern das Leben schwer macht, murrt das „Volk“ und die „Opposition“ macht eine neue Partei auf. Die „Ordnungskräfte“ nehmen Leute in Gewahrsam, die noch unabhängige „Zeitung“ versucht, ein wahrheitsgetreues Bild der Lage zu vermitteln.

Die Kinder der Klasse von Nicole Schibenes sind von Anfang an voll dabei, gehen in den ihnen zugeteilten Rollen auf und verhalten sich so, wie man das erwartet – von einer Regierung, einer Opposition, vom Volk, der Presse und den Ordnungskräften.

Das fiktive Monolizien leidet unter Pandemie und Wirtschaftskrise, man sucht nach Schuldigen und wird schnell fündig: Die „Blauäugigen“ sind an allem schuld. Doch wie kommt das Volk wieder zu Wohlstand? Sehr schnell entwickelt das Planspiel eine überbordende Eigendynamik, versetzen sich die Jugendlichen so laut und vehement in ihre Rollen, dass der Spielleiter eingreifen muss.

Es braucht nicht viel, um eine Lawine loszutreten

Die Interaktion zwischen den Gruppen ist reglementiert, um ein Durcheinander zu verhindern, trotzdem beherrschen bald Stimmengewirr und Meinungsgewusel das Klassenzimmer. Schnell wird deutlich, wer wen braucht, um seine Meinung durchzusetzen, wer wen denunziert, um sich besser darzustellen. Die Regierung versucht sich zu halten, die Gegenpartei will sie stürzen, das Volk weiß nicht so recht, die Ordnungskräfte sind auf die Regierung eingepeilt, die Presse steht zwischen allen und versucht zu erklären und möglichst objektiv zu sein.

Ganz so wie im richtigen Leben? Ja sicher. Denn genau das ist der Sinn dieses Rollenspiels: Den jungen Leuten zu zeigen, dass es gar nicht viel braucht, um eine Lawine loszutreten, die die Vernunft unter sich begräbt, Diskriminierung und Zensur Tür und Tor öffnet. Auch wenn das Volk im Klassenzimmer „die Regierung lügt und hat keine Beweise“ ruft. Gleichzeitig aber Pressefreiheit fordert: Die kann schnell zu Ende sein, sollten die Falschen das Sagen haben.

Neuwahlen werden gefordert in „Monolizien“, hoch emotional geht es inzwischen zu, so intensiv verinnerlichen manche der jungen Leute ihre Rollen. Als der Spielleiter das Experiment abbricht, herrscht immer noch Spannung im Raum.

Soziale Medien bleiben beim Experiment außen vor

Bei der Auswertung ihres Rollenspiels stellen die Schüler rasch fest, dass sich das, was sie lediglich gespielt haben, tatsächlich und ohne große Schwierigkeiten in die reale Welt übertragen lässt: So handelt eine Regierung, die an der Macht bleiben will, so suchen populistische Alternativen nach Sündenböcken, so agieren die Ordnungsmacht oder die Presse.

Ganz außen vor bleibt im Klassenzimmer allerdings das Netz: Soziale Medien finden im Planspiel nicht statt. Sonst würden Lug und Trug, Fake News und Deepfakes das Ganze noch mehr erschweren und unübersichtlicher machen. Und das Spiel würde sich länger als die veranschlagten drei Stunden hinziehen, sagt Spielleiter Martin G.

„Sehr spannend“ finden die Jugendlichen ihre Rollen. „Sowas könnte die Schule ruhig öfter anbieten“, sagen sie. Klassenlehrerin Nicole Schibenes freut sich über das gelungene Experiment: „Junge Leute müssen schon wissen, wie eine Gesellschaft funktioniert.“

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