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Woche der Armut

Bruchsaler Wohlfahrtsverbände schlagen Alarm: Armut kommt in der Mitte der Gesellschaft an

Steigende Preise sorgen für Verunsicherung. Die Wohlfahrtsverbände in Bruchsal registrieren einen großen Beratungsbedarf. Aber sie sind auch selbst betroffen.

Tafelladen
Weniger Spenden für die Tafel: Weil Discounter immer besser disponieren, kommen weniger Lebensmittel-Spenden an. Sie werden von Ehrenamtlichen an die Kunden verteilt. Deren Zahl ist zuletzt stark gestiegen. Foto: Martin Heintzen

„Es geht nur mit Sonderangeboten und Lebensmitteln von der Tafel“: Lange Jahre hat die 43-jährige Frau aus Bruchsal von Hartz IV gelebt. Verzicht bestimmt das tägliche Leben der Alleinerziehenden, die anonym bleiben will. Ein Besuch bei McDonald’s oder gar Marken-Sportschuhe gibt es für ihre drei halbwüchsigen Kinder nur als seltene Ausnahme. Seit dem Frühjahr muss sie den Gürtel noch enger schnallen.

Viele Lebensmittel sind teurer geworden. Für Gas hat die 43-Jährige bisher 150 Euro monatlich gezahlt. Ab November werden 226 Euro im Monat fällig. „Ich weiß nicht, wo ich noch einsparen soll“, sagt sie. Im Familienrat wurde beschlossen, die Heizung erst anzuschalten, wenn es wirklich kalt wird.

Alles wird teurer: Lebensmittel, Energie und Baukredite

Kein Einzelfall. Die Gruppe von Menschen, die von Armut betroffen ist, ändert sich: „Corona hat Spuren hinterlassen“, sagt Elke Krämer, Geschäftsführerin der AWO Karlsruhe-Land. „Viele Familien mussten von Kurzarbeitergeld leben. Frauen haben ihren Teilzeitjob verloren.“ Nachdem die Preise für Lebensmittel und Energie gestiegen sind, haben sich nun auch die Baukredite verteuert. „Viele junge Familien können das nicht mehr finanzieren“, so Krämer.

Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege aus AWO, Caritas und Diakonie wollen in der Armutswoche unter dem Motto „Armut im Klimawandel“ vom 17. bis 23. Oktober darauf aufmerksam machen, dass Preissteigerungen immer mehr Menschen betreffen. Zunehmend gefragt sind bei den Verbänden die Tafeln und das Sozialkaufhaus.

Um das Thema auch in die Öffentlichkeit zu rücken, findet in der Woche der Armut am Mittwoch, 19. Oktober, von 11 bis 13 Uhr auf dem Otto-Oppenheimer-Platz eine „Lange Tafel“ statt. Dazu gibt es einen Eintopf. „Jeder gibt, was er geben kann“, sagt Caritas-Vorstandsvorsitzende Sabina Stemann-Fuchs. Daneben rufen die Wohlfahrtsverbände diejenigen auf, die ihr Energiegeld nicht so dringend benötigen, dieses zu spenden. „Die ersten Spenden sind bereits eingegangen“, sagt Stemann-Fuchs.

Die Leute sind extrem verunsichert.
Ulrike Fettig-Durst, Diakonisches Werk in Bruchsal

„Die Leute sind extrem verunsichert“, stellt Ulrike Fettig-Durst fest. Die Leiterin des Diakonischen Werks in Bruchsal ist alarmiert und sieht die Sozialverbände in der Verantwortung, die Menschen durch ein umfassendes Beratungsangebot wieder zu stärken.

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„Dort bekommen die Menschen Informationen über staatliche Leistungen“, so Fettig-Durst mit Blick auf das neue Bürgergeld, das es ab 1. Januar 2023 gibt. Auch die Schuldnerberatungen der Caritas in Bruchsal und Wiesental und der Diakonie in Bretten sind gefragt. Bei der Caritas waren es dieses Jahr bereits 140 Fälle, für 2023 wird eine deutliche Steigerung erwartet. Gleichzeitig sei es wichtig, die Leute auch psychisch zu stärken, sagt Fettig-Durst.

Armut in Bruchsal: Vor allem Ältere scheuen sich, um Hilfe zu bitten

Als extrem verunsichert erlebt Elke Krämer Senioren und Pflegebedürftige. Durch steigende Lebensmittelpreise, Lohnkosten und höhere Löhne für Pflegepersonal wird ein Pflegeplatz in Zukunft um mehrere hundert Euro pro Monat teurer. Dadurch könnten mehr Pflegebedürftige in die Sozialhilfe abrutschen.

„Vor allem Ältere schämen sich, um Hilfe zu bitten“, sagt die AWO-Geschäftsführerin. Gleichzeitig sieht sie aber auch immer mehr Rentner mit Rollator am Sozialen Zaun mit den Spenden für haltbare Lebensmittel, Tierfutter oder Hygieneprodukte vorbeischauen. Das Problem: Die Spenden werden weniger, während die Zahl der Abnehmer wächst.

Eine Entwicklung, die auch an der Tafel der Caritas nicht spurlos vorbei geht. „Die Discounter disponieren immer besser ihre Lebensmittel“, erklärt Vorstandsvorsitzende Stemann-Fuchs. Um keine Lebensmittel zu verschwenden, sei das sinnvoll.

300 Kunden täglich bei der Bruchsaler Tafel

Das Nachsehen haben die Tafeln und ihre Kunden: Im nördlichen Landkreis haben in den sechs Tafeln 6.415 Personen eine Einkaufsberechtigung. Vor Corona waren es weniger 5.000 Menschen. Zu Spitzenzeiten kommen täglich 300 Kunden zur Bruchsaler Tafel.

Die steigenden Energiepreise treffen die Wohlfahrtsverbände selbst. „Ein echtes Problem“, sagt Fettig-Durst von der Diakonie, denn die Beratungen wolle man nicht zurückfahren. Bei der AWO wurden deshalb Mitarbeiter sensibilisiert und Einspartipps abgefragt. Nach und nach werde die Autoflotte, landkreisweit sind das 120 Fahrzeuge, auf Elektrofahrzeuge umgestellt, berichtet Krämer. Bei der Erweiterung des AWO-Seniorenzentrums Bundschuh in Untergrombach sind außerdem E-Ladestationen geplant.

Beim Bau des neuen Seniorenzentrums St. Anton der Caritas in Bruchsal wurde ebenfalls Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Fünf Plätze sind laut Stemann-Fuchs für E-Autos vorgesehen. Auch bei der Tafel wird zunehmend Wert auf E-Mobilität gelegt.

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