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Buch über Therapie mit Tier

Bühler Tier-Therapeut erklärt: Wie die Esel-Tour zu neuem Mut verhilft

Ein Soldat kann plötzlich mit seinem Trauma umgehen, Demenzkranke zeigen Emotion: Zwei von vielen Beispielen, wie Tier-Therapie helfen kann. Rainer Wohlfarth berichtet von erstaunlichen Erfahrungen.

Gassigehen mit Langohr: Bettina Mutschler und Rainer Wohlfarth führen zwei ihrer Esel durch die Reben. In der Regel machen dies die Patienten.
Bettina Mutschler und Rainer Wohlfarth führen zwei ihrer Esel durch die Reben. In der Regel machen dies die Patienten. Foto: Franz Vollmer

Da wäre zum Beispiel jener Bundeswehrsoldat mit posttraumatischer Belastungsstörung und der Phobie vor jedem harmlosen Wald, weil auf gut Deutsch hinter jedem Busch ein Taliban lauern könnte. Kein Flachs und leider auch kein Rotkäppchen-Märchen, aber behandelbar. Kurioserweise mit einem Esel an der Leine. „Für das Tier ist er bereit, seine Angst zu überwinden“, schildert Rainer Wohlfarth, Experte für tiergestützte Therapie mit einer Praxis in Bühl.

Für Wohlfarth ist klar, es muss nicht immer eine Delfintherapie sein. „Mit heimischen Bauernhoftieren kann man oft die gleichen Effekte erzielen“. Zusammen mit seiner Frau Bettina Mutschler hat der 61-jährige Gründer „Ani-Motion“-Instituts in Sasbachwalden seine gesammelten Kenntnisse in einem Buch zusammengefasst. „Wie Tiere uns gesund machen“ heißt das Werk, es ist gerade als Taschenbuch erschienen (btb-Verlag).

„Wir wollten einfach mal zusammenzutragen, welche positiven Wechselwirkungen Tiere auf Menschen haben“, so Wohlfarth – also auch ganz unabhängig vom Therapieeinsatz. Nach etlichen wissenschaftlichen Publikationen und Fachbüchern sei ein gut verständliches Werk heraus gekommen, das mit erstaunlichen Anekdoten und kuriosen Fallbeispielen aufwartet. Dass Gassigehen Blutdruck und Übergewicht senkt, ist sattsam bekannt. Aber wer weiß schon, dass eine Kuh spastische Lähmungen lösen kann, Hühner bei ADHS helfen und schon pure Schnecken-Beobachtung beruhigen kann?

Tiertherapie: Mit einem Esel Grenzen setzen lernen

Es gibt noch viel mehr Positiv-Beispiele. Dazu geben Tiere dem Alltag Struktur, steigern Einfühlungsvermögen und heben das Selbstwertgefühl. Und geht es dem Mensch gut, spart es den Krankenkassen viel Geld. Dieses Potenzial der Tiere nutzt das Duo auch im therapeutischen Alltag. Allerdings ist das tierische Personal begrenzt. Ein Hund und vier Esel sind im Einsatz. Und die Grautiere können uns viel lehren. „Wir lassen oft Patienten gegen den Esel einen Weidenzweig verteidigen, um so dem Gegenüber Grenzen zu setzen.“ Denn die eigenen Bedürfnisse sehen und Nein zu sagen, ist gut für die Psyche.

Wesentlicher Punkt bei der tierischen Interaktion ist nicht zuletzt der behutsame Aufbau von Nähe, immens wichtig etwa im Missbrauchskontext. So berichtet Wohlfarth von einer Patientin, die zehn Jahre lange keine Nähe zugelassen hat und nicht sprach. Hier konnte der vorurteilsfreie, unbelastete Kontakt zum Tier offenbar Kanäle freilegen, die zuvor zugeschüttet waren. Warum ist das so?

„Die Bindung zum Tier ist eine ganz andere Beziehungsebene. Wenn hier etwas aufbricht beim Patienten, hilft uns das extrem weiter“, berichtet der Experte. Gerade Corona habe gezeigt, wie wichtig Berührung sei. „Wir Menschen sind Hauttypen, sind auf Nähe angelegt.“ So werde beim Kuscheln und Streicheln das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das angst- und stressreduzierende Wirkung hat.

Wenn das Reh einen lächeln macht

Allerdings ist Tier nicht gleich Tier. So verträgt auch im Langohr-Quartett nicht jeder einen Angstpatienten. Jedes Tier habe halt seine Vorlieben. So weiß man, dass Hühner nicht Personen mögen, die hektisch oder zappelig sind. Und bei Alpakas müsse man sich die Nähe erst verdienen. Letzteres kann bei Therapien nach Missbrauch hilfreich sein.

Klare Grenzen setzt für die Therapeuten die Tierethik, gerade bei Delfinen fällt das auch mal unter den Tisch. Zwar sehe da vieles nett aus, allerdings komme es immer wieder zu Stressmomenten und auch Beißunfällen. „Das ist nicht ohne, wird aber gerne verschwiegen“, so Wohlfarth. Und bei fünfstelligen Kosten ist der Erfolgsdruck frei nach dem Motto „Das muss ja wirken“ auch nicht zu gering.

Die Tiertherapie sei einen Methode unter vielen, sagt Wohlfahrt, allerdings eine sehr effektive. Sie hilft bei Trauer, stimuliert Demenzpatienten positiv. Eine Möglichkeit ist der Besuchshund. Frappierend für Wohlfahrt jedenfalls auch die positive Fremdeinschätzung. Sobald man nur mit einem Hund auftauche, werde man bei den Patienten als offen, fürsorglich und empathisch eingeschätzt. Aber natürlich gebe es auch Patienten, die wenig bis nichts mit Vierbeinern am Hut haben.

Vorwiegend Erwachsene unter den Tiertherapie-Klienten

Vorwiegend Erwachsene kommen in den Genuss der Tier-Therapie, prinzipiell sei sie aber ab fünf Jahren einsetzbar. Und allein der Blick auf grobmotorische Defizite beim Nachwuchs zeige, „dass wir Tiere und Natur brauchen“, so Wohlfarth, hinzukommt der Kontaktverlust etlicher Menschen zur Natur.

Nature Deficite Disorder, Nichterleben von Natur, nennt sich ein neues Krankheitsbild, das spätestens dann zutage tritt, wenn Kühe in echt für lila und Enten für quietschgelb gehalten werden. „In den USA gibt es viele Kinder, die sind weniger an der frischen Luft als ein Strafgefangener“, bringt es Wohlfarth drastisch auf den Punkt.

Heißt das nun, dass jeder Familie ein Haustier anzuraten sei? „Im Prinzip schon“, so Wohlfarth und lacht. Allerdings müsse einem klar sein, dass man damit eine Lebenspartnerschaft und -verantwortung eingeht. „Dafür muss man bereit sein. Das Tier muss auch in die Umgebung passen.“ Dasselbe gilt für den Büroalltag, wo ebenfalls stressmindernde Effekte möglich sind, aber letztlich zählt auch hier das Tierwohl. „Der Hund muss dafür ausgebildet sein.“

Und dann wäre da noch jener Teenager, der sich nach mehreren Esel-Kontakten plötzlich wieder durch den Wald traute und gar durch Menschenmassen stapfte. „Wie haben sie das gemacht?“, fragte die Mutter. Wohlfarths Antwort: „Ich habe eigentlich gar nichts gemacht.“

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