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Bergmanns Industriewerke

1898 rollen erste Lastwagen: Wiege des Nutzfahrzeugbaus von Daimler-Benz liegt in Gaggenau

Zwei entscheidende Geburtshelfer brachten die Nutzfahrzeuge nach Gaggenau: Der Baden-Badener Ingenieur Joseph Vollmer und der aus Wien stammende Autodidakt Franz Knecht. Wie kam es damals dazu?

Ansicht der „Bergmanns Industriewerke“ in einem Fahrzeugkatalog von 1898 mit Inanspruchnahme künstlerischer Freiheiten, denn auf dem Gelände des späteren Lastwagen- und Unimog-Versuchs hatten zwischen Kanal und Hauptstraße so viele Gebäude keinen Platz.
Ansicht der „Bergmanns Industriewerke“ in einem Fahrzeugkatalog von 1898 mit Inanspruchnahme künstlerischer Freiheiten, denn auf dem Gelände hatten zwischen Kanal und Hauptstraße so viele Gebäude keinen Platz. Foto: Repro Michael Wessel

Auf das Jahr 1898 wird ein Prospektblatt der Bergmanns Industriewerke Gaggenau datiert, auf dem mit der Marke „Orient-Express“ neben neun verschiedenen Personenwagen auch erstmals ein Lastwagen und ein Lieferwagen abgebildet sind.

Es ist heute schwer nachvollziehbar, wie diese umfangreiche Fahrzeugpalette angeboten werden konnte. Waren doch hier die ersten Automobile 1895, somit erst drei Jahre zuvor, gebaut worden. Hinzu kommt, dass dies in den vielen kleinen Werkstätten erfolgte, die der Fabrikant Theodor Bergmann schon ab 1889 durch seinen Bruder Josef auf Ottenauer Gemarkung hatte errichten lassen.

„Bergmanns Vereinigte Hüttenwerke“ mit breitem Angebot

Darin wurde aber bereits ein extrem breites Produktionsprogramm unter anderem mit Haushaltswaren, Emaille-Artikeln, Kühlschränken, elektrischen Apparaten, Waffen und Automaten gefertigt. Der Volksmund sprach spöttelnd von „Bergmanns Vereinigten Hüttenwerken“.

Und obwohl bekanntlich Gottlieb Daimler und Carl Benz 1886 das Automobil erfanden und bereits kurz danach auch Lieferwagen, Lastwagen und Busse anboten, gilt das Gaggenauer Mercedes-Benz-Werk der Daimler Truck AG als deren Wiege des Nutzfahrzeugbaus.

Dafür hatten die Gaggenauer zwei entscheidende Geburtshelfer: Ab 1894 den Baden-Badener Ingenieur Joseph Vollmer und nach ihm den aus Wien stammenden Autodidakten Franz Knecht.

Joseph Vollmer: Junger Ingenieur mit Talent aus Baden-Baden

Der Unternehmer Theodor Bergmann erkannte 1894 das besondere Talent des erst 23-jährigen Baden-Badener Ingenieurs Joseph Vollmer und beauftragte ihn mit der Konstruktion eines Automobils, dessen Produktion im Folgejahr begann.

Von da an wurden 200 der etwa 350 erzeugten Fahrzeuge nach England geliefert. Der älteste erhalten gebliebene „Orient-Express“-Personenwagen hat die Fahrgestell-Nummer 104 und steht heute im Unimog-Museum Gaggenau.

In einem Prospekt von Bergmanns Industriewerken Gaggenau taucht 1898, also vor 125 Jahren, erstmals ein Lastwagen auf.
In einem Prospekt von Bergmanns Industriewerken Gaggenau taucht 1898, also vor 125 Jahren, erstmals ein Lastwagen auf. Foto: Mercedes-Benz

Wie die meisten Personenwagen auf dem Sammelprospekt von 1898 hat der Lastwagen noch die Kutschenform. Der liegende Einzylindermotor leistete acht PS und die Nutzlast wurde mit immerhin 1.500 Kilo angegeben. Der Lastwagen hatte, wie alle von Vollmer konstruierten Fahrzeuge, ein Riemengetriebe. Bei diesem wird die Geschwindigkeit durch das Verschieben eines Riemens auf einer Spannrolle verändert.

Dabei sah der Lastwagen auf den ersten Blick so aus, als hätte man einem Kutschwagen lediglich einen Motor verpasst. Die auftretenden Belastungen durch den Motorbetrieb erforderten jedoch eine aufwendige Neukonstruktion.

Joseph Vollmer schied zwar zum Jahresende 1897 bei Bergmann aus, aber die Gaggenauer zehrten noch mehrere Jahre von seinen genialen Ideen. Daher kann man feststellen, dass die beiden ersten Last- und Lieferwagen den Gaggenauern von Vollmer in die Wiege gelegt wurden.

Begegnung auf der Weltaussstellung in Paris

Entscheidend für die Weiterentwicklung des Automobilbaus in Gaggenau waren dann zwei Begegnungen von Theodor Bergmann auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900, auf der der Gaggenauer Industrielle übrigens auch selbst ausstellte: Der mit ihm eng befreundete Schokoladenfabrikant Gustav Stollwerck machte Bergmann mit dem Unternehmer Georg Wiß bekannt, der von den auf der Ausstellung vorgestellten Entwicklungen auf dem Automobilsektor überwältigt war.

Daher konnte ihn Bergmann bei dieser Gelegenheit spontan dafür gewinnen, in sein Gaggenauer Unternehmen als Teilhaber einzusteigen. Und so besuchten sie weitere Ausstellungsstände gemeinsam.

Am Stand eines französischen Automobilherstellers lernten die beiden neuen Geschäftspartner Franz Knecht kennen, dessen Biografie und Referenzen sie beeindruckte. Knecht hatten nach einer Mechaniker-Ausbildung in seiner Heimatstadt Wien mehrere Wanderjahre durch Deutschland, Frankreich und die Schweiz geführt. Fünf und acht Jahre war er dann bei zwei Maschinenbaufirmen tätig.

In der Freizeit hat Franz Knecht sein erstes Automobil gebaut

In der Freizeit baute er sich in den Jahren 1897 und 1898 sein erstes eigenes Automobil – interessanterweise wie Vollmers „Orient-Express“ mit Riemengetriebe. Sein selbst gebautes Fahrzeug war dann wohl ausschlaggebend, um mit 39 Jahren Technischer Leiter einer Automobilfabrik in der Nähe von Paris zu werden.

Das Ergebnis des Gesprächs war, dass Franz Knecht zum 1. November 1901 nach Gaggenau wechselte, um dort für drei Jahre zunächst als Obermeister „die selbständige und verantwortungsvolle Leitung der Motorenwagenabteilung“ zu übernehmen. Somit war aus der Rückschau der zweite Geburtshelfer gefunden.

Die Konkurrenz auf dem Automobilsektor war Anfang der 1900er Jahre groß und so mussten Bergmann und Wiß im Jahr 1904 die Mitarbeiter vor die Wahl stellen, entweder den Automobilbau einzustellen oder auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten. Auch die Mitarbeiter der anderen Abteilungen verzichteten auf Geld, um die Automobilproduktion aufrechtzuerhalten.

Mit Omnibussen besonders erfolgreich

Als Georg Wiß im Einvernehmen mit Theodor Bergmann 1905 den Automobilbau als eigenständige „Süddeutsche Automobilfabrik GmbH“ ausgründete, war es Franz Knecht, der seinen Chef davon überzeugte, dass sie sich auf Lastwagen, Omnibusse und Sonderfahrzeuge spezialisieren mussten, um sich am Markt behaupten zu können.

Besonders erfolgreich waren die Gaggenauer dann beim Bau von Omnibussen. Die Städte Köln, München und Wien zählten zu ihren ersten wichtigen Kunden. So ganz nebenbei auch Gernsbach.

Seit 1911 arbeiten Gaggenauer „im Benz“

Auf den kleinen Wettbewerber wurden Benz & Cie. Mannheim schnell aufmerksam und so sicherten sie sich deren Knowhow bereits zum November 1907 durch eine vollständige Übernahme der GmbH bei Weiterführung des gut eingeführten Namens bis Ende 1910. Seit 1911 arbeiten die Gaggenauer „im Benz“.

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