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„Niemand flüchtet freiwillig“

Autorin M. Zaeri-Esfahani erzählt ihre Geschichte einer Flucht mit Happy End

Am 23. Juni lässt Mehrnousch Zaeri-Esfahani Interessierte im Festsaal des Rathauses Illenau an ihrer Fluchtgeschichte teilhaben. Woran sie sich in Deutschland zunächst gewöhnen musste, hat sie BNN-Redaktionsmitglied Eva-Christin Scheu im Gespräch erzählt.

Eine Frau schaut in die Kamera
Nie die Hoffnung aufgeben - so lautet die Botschaft der Autorin Zaeri-Esfahani an ihre Leser und Zuhörer. Foto: www.bilderlauibe.de

1985 floh die damals elfjährige Mehrnousch Zaeri-Esfahani mit ihrer Familie vor der Willkürherrschaft des damaligen Machthabers Ayatollah Chomeini aus dem Iran.

Über die Türkei und die ehemalige DDR kam sie ein Jahr später in West-Berlin an. Seit 2017 ist die studierte Sozialarbeiterin als freischaffende Autorin und Referentin tätig. Für ihre Bücher „33 Bogen und ein Teehaus“ und „Das Mondmädchen“ wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet.

Die 44-Jährige hält Impulsvorträge zum Thema Integration, spricht mit Schülern über die wichtigen Säulen einer Demokratie und führt Kinder an das Thema Flucht heran.

In ihren Büchern ist von schrecklichen und traurigen, aber auch von glücklichen Erlebnissen während ihrer Flucht die Rede. Was ist Ihnen aus dieser Zeit positiv in Erinnerung geblieben?
Zaeri-Esfahani

Eine Menge. Zunächst allgemein, die vielen Menschen, die uns geholfen haben, ganz besonders einige Lehrer und Lehrerinnen hier in Deutschland. Sie haben uns als Menschen betrachtet. Sie haben uns als starke Individuen behandelt und haben uns etwas zugetraut. Sie haben uns nicht als „arme Flüchtlinge“ bemitleidet. Diese Menschen haben wir bis heute nicht vergessen. Dann gibt es noch einzelne Szenen. Wie etwa der Moment, als wir in einem Reisebus über die Grenze von Iran in die Türkei fuhren und alle Erwachsenen plötzlich wie Verrückte aufgesprungen sind und gejubelt und auf den Sitztischen des Busses getrommelt, gesungen und getanzt haben. Ich verstand, dass sich mein Leben ab sofort und für immer komplett ändern würde. Und dann hielten wir an und kauften in einem Shop an der Grenze vier echte Kinder-Überraschungseier für uns vier Kinder. Das war einer der schönsten Momente in meinem Leben.

Bei der Flucht mit Ihrer Familie waren Sie elf Jahre jung. War es für Sie nachvollziehbar, dass Sie Ihre Heimat aufgeben mussten?
Zaeri-Esfahani

Ja, ich konnte es sehr gut nachvollziehen, und war froh darum. Aber ich war weit davon entfernt zu begreifen, was eine Flucht bedeutet. Dass jedes einzelne Familienmitglied einen sehr hohen Preis bezahlen musste und dass die Flucht über mehrere Generationen auch auf mich und meine Kinder und vielleicht sogar Enkelkinder psychologische Auswirkungen haben würde.

Vom Iran kamen Sie nach West-Berlin – das wird ein großer Kontrast gewesen sein. Woran mussten Sie sich in Deutschland anfänglich erst noch gewöhnen?
Zaeri-Esfahani

In den ersten Jahren kamen uns die Menschen hier sehr kalt und herzlos vor, weil sie auf eine ganz andere Art kommunizieren und auch körperlich viel distanzierter sind als die Menschen in Iran.

Sie tragen den Namen Ihrer Heimat im Nachnamen. Zaeri-Esfahani bedeutet „Pilger aus Isfahan“. Was verbinden Sie mit Ihrer Heimatstadt?
Zaeri-Esfahani

Mit Isfahan verbinde ich in erster Linie meine schönsten Erinnerungen. Dazu gehören die Geschichten meiner Oma, die Musik, die persische Sprache, der Isfahani-Dialekt, die gastfreundlichen Menschen, der Tratsch auf der Gasse, die Wärme, das Sonnenlicht, der Duft der Blumen und das Bunte, insbesondere die reichen Ornamente, die überall zu finden waren.

Der Begriff „Willkommenskultur“ sorgt regelmäßig für kontroverse Diskussionen. Wie haben Sie Ihre ersten Jahre in Deutschland erlebt – fühlten Sie sich willkommen?
Zaeri-Esfahani

Von den meisten Menschen fühlte ich mich gut behandelt. Einige halfen uns, durch ihren unermüdlichen Einsatz, uns hier heimisch zu fühlen, und zu integrieren. Doch die Begegnung mit den Behörden und das jahrelange Asylverfahren, das dazu führte, das wir 14 Jahre lang nur „geduldet“ waren, haben mich als Kind und als Jugendliche sehr belastet. Ich wusste, dass ich hier unerwünscht bin und dass die Behörden alles tun, um meiner Familie und mir Steine in den Weg zu legen, damit wir uns hier nicht integrieren können. Dies war eine schreckliche und meiner Meinung nach wirklich unnötige Erfahrung.

Ihre Erzählstunde richtet sich an Jung und Alt. Wie lässt sich die Geschichte einer Flucht kindgerecht erzählen?
Zaeri-Esfahani

Nichts einfacher als das. Auch Flüchtlinge sind nur Menschen. Die Gefühle, die ein geflüchteter Mensch hat, sind keine anderen als die eines Menschen ohne Fluchterfahrung. Jeder von uns sehnt sich doch nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe, nach einem Ort, wo man angenommen und akzeptiert wird. Jeder kennt doch das Gefühl von Verlust und Trauer. Selbst mit Erstklässlern kann man sehr ernsthaft und trotzdem mit Humor und Freude über diese universalen Gefühle sprechen. Meine Fluchtgeschichte hat außerdem ein Happy-End. So kann das Publikum mit mir durch dick und dünn gehen – am Ende wird alles gut. Ich bin Geschichtenerzählerin und führe die Kinder behutsam auch durch traurige Themen.

Was glauben Sie, jungen Menschen mitgeben zu können?
Zaeri-Esfahani

Durch meine Erzählstunden begreifen junge Menschen, wie wichtig es ist, nie die Hoffnung aufzugeben und das Ziel immer fest im Auge zu behalten, egal was kommt. Außerdem lernen sie in politischer Hinsicht, dass niemand freiwillig oder leichtfertig flüchtet. Dass eine Flucht immer – im Gegensatz zu einer freiwilligen Migration – der allerletzte Ausweg ist. Zudem erleben sie, dass ein Flüchtling genauso ein Mensch ist wie Du und Ich. Der Geflüchtete hat Angst, Hoffnung, Wünsche und Humor. Und der Geflüchtete ist kein hilfsbedürftiges Opfer, das nur weint und leidet. Er hat auch Zukunftsvorstellungen. Er will auch Spaß haben und lachen und er kann auch aktiv sich selbst helfen. Das gilt ganz besonders für Flüchtlingskinder.

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