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Großer Widerhall im Netz

Bürgermeister-Wutbrief aus Willstätt: „Manchmal hat man den Eindruck, dass es sich die Politik zu leicht macht“

Bürgermeister, Vater, Jurist: Aus drei Perspektiven seziert der Willstätter Bürgermeister Christian Huber die Corona-Politik von Land und Bund. Online gibt es für die Politikschelte viel Beifall.

Schild an einer Tür eines Klassenzimmers.
Wutbrief nach Stuttgart: Vor allem der Kurs des Landes bei den Schulöffnungen missfällt dem Willstätter Bürgermeister Christian Huber. Er hat den Brief an den Ministerpräsidenten online gestellt und bekam viel Beifall. Foto: Robert Michael/dpa

Porträtbild von Bürgermeister Christian Huber
Christian Huber, Bürgermeister Willstätt Foto: Ulrike Klumpp

Es war eine lange Wutrede. Der Willstätter Bürgermeister Christian Huber (parteilos) hat in einem sehr ausführlichen Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann seinem Ärger über die Corona-Beschränkungen im Südwesten Luft gemacht.

Im Mittelpunkt steht dabei die anhaltende Schließung der Schulen. Das Thema brennt den Menschen unter den Nägeln: In den sozialen Medien hat der offene Brief enormen Widerhall gefunden.

Mit Huber sprach ABB-Redakteur Frank Löhnig.

Sie haben mit Ihrem Schreiben an den Ministerpräsidenten einen Nerv getroffen. Gibt es schon eine Reaktion aus Stuttgart?
Huber

Nein, das habe ich so schnell auch nicht erwartet. Der Brief war zunächst als persönliche Meinungsäußerung eines Bürgermeisters gedacht, der gerade versucht, vieles auf den Weg zu bringen, um einen vernünftigen Start der Schulen nach den Osterferien zu erreichen. Er wurde inzwischen mehr als 800 Mal geteilt. Dass er eine so große Resonanz finden würde, hätte ich nicht gedacht.

Das Thema Schulöffnungen, das sie in den Mittelpunkt rücken, ist aber heikel. Schulen und Kindergärten galten zuletzt durchaus als Drehscheiben der Pandemie.
Huber

Wir haben ganz viele Verteilzentren der Pandemie, nämlich alle Orte, an denen vergleichsweise viele Menschen unkontrolliert zusammenkommen. Da fallen mir Arbeitsplätze ein, private Feiern, Gottesdienste oder eben auch die Schulen. Allerdings habe ich mir die Frage gestellt, wo wir die Möglichkeit haben, eine unkontrollierte Verbreitung des Erregers zu unterbinden, und ich sehe die Chance, dass wir die Situation an den Schulen sehr gut in den Griff bekommen können. Es gibt eine Fülle von Instrumenten – die Impfung der Lehrer, die Maskenpflicht, auch regelmäßiges Lüften, oder eben die Teststrategien für Schüler. Ich kann nicht ausschließen, dass eine Infektion von außen in die Schulen kommt, aber ich kann verhindern, dass daraus zig oder hunderte von Fällen werden. Wir werden die Pandemie nicht so schnell in den Griff bekommen, und deshalb müssen wir als Gesellschaft begreifen, dass es mehr mögliche Antworten auf diese Herausforderung gibt als die, alles zuzumachen. Es gibt durchaus Wege, zu so etwas wie Normalität zurückzukehren.

Diese Hoffnung gab es vor knapp einem Jahr auch, und dann kam Corona nach dem Sommer mit Macht wieder. Müssen die Kommunen als Schulträger sich nicht vorwerfen lassen, monatelang untätig geblieben zu sein, statt die Kitas und Schulen auf diese Situation vorzubereiten?
Huber

Das ist eine ganz schwierige Frage. In den Kitas haben die Kommunen eine bessere Handhabe als bei den Schulen, weil sie da nicht nur die Gebäude bereitstellen, sondern auch den Betrieb organisieren. Entsprechend haben wir in Willstätt in unseren Kindergärten die Organisation so umgekrempelt, dass mögliche Infektionen immer auf eine Gruppe begrenzt bleiben. Wir hatten früher eine gewollte Durchmischung bei der Einteilung der Gruppen und der Zuteilung der Erzieherinnen. Jetzt haben wir Cluster gebildet. Das verhindert, dass bei einem Infektionsfall die ganze Einrichtung geschlossen werden muss. Wir hatten auch wenige Fälle, die durch Selbsttests der Eltern aufgefallen sind. Da haben wir als Kommune noch vor dem Gesundheitsamt eine strikte Quarantäne angeordnet, weil wir die Tragweite eines solchen Ereignisses natürlich als erste mitbekommen.

Bei den Schulen ist es schwieriger?
Huber

Wir haben auch da überlegt, was wir tun können, doch wir wussten ja nicht, wo die Politik hinsteuert. So hätten wir Lüfter kaufen können, bei mehreren 1.000 Euro pro Stück und 40 Klassenzimmern keine ganz billige Option. Doch was nützt uns das, wenn wir die Schulen dann doch zumachen müssen? Dann belüften wir leere Klassenzimmer.

Als man gerade glaubte, das Virus halbwegs verstanden zu haben, kamen die Mutanten. Was ändert sich dadurch für die Kommunen?
Huber

Das Ziel muss weiter sein, eine gewisse Normalität sicher zu stellen. Ich habe selbst zwei Kinder, denen geht es vergleichsweise gut, weil sie wenigstens einander haben. Ich kann mir nur ausmalen, wie das in anderen Familien ist, wie dort die Kinder leiden. Ich höre immer öfter von Verhaltensauffälligkeiten, zum Beispiel von Zwangshandlungen wie dem ständigen Händewaschen. Unsere Gesellschaft entwickelt sich da in eine Richtung, die durchaus beängstigend ist. Was zum Beispiel machen die Jugendlichen durch, die gerade auf dem Weg zum Abitur sind und nun ausgebremst werden?

Wie sollte es weitergehen?
Huber

Das Problem wird sein, die richtige Mischung zu finden. Impfungen, Abstand, Tests sind die Stichworte, auch wenn man sich über die Tests streiten kann, da sie immer nur eine kurze Momentaufnahme sind. Oder Veranstaltungen wie unseren Gottesdienst zu Ostern, im Freien, mit Maske, Besucherdatenerfassung, Fiebermessung, Testungen und Abstand. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Ansteckungsrisiko da nahe bei null war. Und wir sollten mal über das Thema Datenschutz reden. Wenn Menschen sterben, muss man sich schon fragen, warum eine App nicht Bewegungsdaten und Begegnungen – anonym und verschlüsselt – erfasst. Das gäbe dem Gesundheitsamt einen wichtigen Vorsprung vor dem Virus.

Und dann wieder alles öffnen?
Huber

Der Lockdown muss die Ultima Ratio sein, das sage ich als Mensch, als Vater und als Jurist. Manchmal hat man den Eindruck, dass es sich die Politik zu leicht macht und das für sie einfachste Mittel wählt, den Lockdown eben. Und sie sagt den Menschen nicht die ganze Wahrheit. Was zum Beispiel ist von einem „Brückenlockdown“ von wenigen Wochen zu halten? Ehrlicher wäre doch, angesichts der Impfgeschwindigkeit, zu sagen, dass die Brücke bis in den Herbst reichen müsste. Stattdessen haben wir eine Corona-Verordnung, die wöchentlich fortgeschrieben wird, das ist Stückwerk. Es stört mich schon seit geraumer Zeit, dass sich daraus keine wirkliche Perspektive für die kommenden Monate ergibt.

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