Skip to main content

Vorgaben von Bund und Land

Warum dem Ortenaukreis 1,4 Milliarden nicht reichen - Warnruf nach Stuttgart

Landrat Frank Scherer spielt nicht mehr mit: Bei der Vorlage des 1,4 Milliarden schweren Doppelhaushalts für den Ortenaukreis kündigt er an, benötigte Stellen nicht zu schaffen. Ein Warnruf nach Stuttgart.

Betten in Halle
Steigende Sozialkosten: Die Zuwanderung von Flüchtlingen setzt Kreise und Kommunen unter finanziellen Druck. 88 neue Stellen schafft der Ortenaukreis gerade. Hier das Ankunftszentrum in der Messe Offenburg. Foto: Heike Spannagel

1,4 Milliarden Euro schwer ist der kommende Doppelhaushalt des Ortenaukreises. Zu wenig, um alle Aufgaben zu erfüllen, die in den vergangenen Jahren draufgepackt wurden, klagt Landrat Frank Scherer. Er kündigte bei der Einbringung des Zahlenwerks einen ungewöhnlichen Schritt an. Einen, der fast schon nach zivilem Ungehorsam klingt, auch wenn der Landrat formal nur umsetzt, was ihm aufgegeben wurde. Scherer formulierte dazu einen dringlichen Weckruf an die Politik.

Es ist eine Geste, aber eine bedeutsame: Statt der geplanten 23,4 zusätzlichen Stellen für die Umsetzung des neuen Bundesteilhabegesetzes schafft man nur 14. Genau so viele, wie das Land bereit ist, zu bezahlen. Es geht um 850.000 Euro jedes Jahr.

Der Kreis wehrt sich damit gegen das Prinzip, in Berlin oder Stuttgart zu beschließen und es dann die kommunale Seite ausbaden zu lassen. Vor zwei Jahren noch, so der Landrat am Dienstag vor dem Kreistag, hätte man die fehlenden 9,4 Stellen wohl selbst bezahlt.

Bund und Land bestellen, Ortenaukreis muss zahlen

Das heißt nicht, dass am Personal gespart werden wird, im Gegenteil. 88 neue Stellen müssen im Landratsamt besetzt werden, um die neuerliche Flüchtlingskrise zu bewältigen, weitere 79 entstehen im Sozialbereich, gut zwei Drittel davon, um Vorgaben des Bundes oder des Landes umzusetzen.

Die Liste ist lang: das Bundesteilhabegesetz, das Bundeswohngeldgesetz, Änderungen im Sozialen Entschädigungsrecht, die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, das Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Jugendstrafverfahren oder das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz.

Dass es unter dem Strich „nur“ um 113 neue Stellen geht, liegt daran, dass man die wegen Corona geschaffenen Kapazitäten wieder zurückfahren kann. Hier werden 54 Mitarbeiter nicht mehr gebraucht.

Der jetzt vorliegende Doppelhaushalt für die Jahre 2023 und 2024 sei „der schwierigste meiner bisherigen Amtszeit“, sagt der Landrat, der Kreise und Kommunen zunehmend unter Druck sieht. Das „ungebremste Draufsatteln bei Standards, Rechtsansprüchen und staatlichen Leistungszusagen“ müsse endgültig vorbei sein.

Appell an das Land

So laute ein gemeinsamer Appell von Kommunalpolitik und Wirtschaft an den Ministerpräsidenten. Man benötige jetzt ein „Entfesselungspaket“, das Staat, Wirtschaft und Gesellschaft aus einem überregulierten Gesetzesrahmen befreit. Der Kreis habe seine Hausaufgaben gemacht, beispielsweise durch den Abbau von mehr als 1.000 internen Verwaltungsvorschriften im Jahr 2010. Dies helfe aber nichts, wenn durch Gesetze immer wieder kompliziertere Abläufe und neue Standards vorgegeben würden.

Der Kreis sieht sich vor einer Fülle von Herausforderungen, angefangen mit massiven Kostensteigerungen bei der Energie über enorm wachsende Sozialkosten, die durch den Zuzug von Flüchtlingen weiter getrieben werden, bis hin zu einer erwarteten Rezession, die das Defizit im Sozialbereich wieder verschärfen wird.

„Es wird Qualitätsverluste und Einschränkungen geben.
Frank Scherer, Landrat

Dagegen waren die von uns damals aufgrund von Corona als schwierig empfundenen Rahmenbedingungen für den noch laufenden Haushalt ein Kinderspiel“, so Scherer. „Es wird Qualitätsverluste und Einschränkungen geben“, kündigte der Landrat an.

Kreisumlage bleibt stabil

Scherer will im laufenden Doppelhaushalt die Kreisumlage stabil halten und ist bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen. Das Landratsamt legt bei dem seit 2008 verfolgten Kurs der Entschuldung – von damals knapp 50 auf jetzt noch sieben Millionen Euro – eine Vollbremsung hin. 2024 werden die Verbindlichkeiten wieder bei knapp 25 Millionen Euro stehen.

Das liegt auch am Sozialbereich. In den wirtschaftlich fetten Jahren waren die Sozialkosten zwar immer höher als die von den Kommunen gezahlte Kreisumlage, doch beide Kurven liefen parallel nebeneinander her. Es tat also nicht so weh. Das wird sich bereits im laufenden Jahr ändern: Bis 2024, so die Prognose der Verwaltung, werden 204 Millionen Euro Kreisumlage knapp 275 Millionen an Sozialaufwendungen gegenüber stehen. Denn hier kennen die Zahlen nur eine Richtung: Nach oben, mit einer Verdoppelung, grob gerechnet, alle zehn Jahre.

nach oben Zurück zum Seitenanfang