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Nicole und Max

Transgender Familienvater aus Rastatt sagt: „Ich bin eine Frau“

Max N. ist Vater, verheiratet und angesehen. Sein Leben lang ist er zwiegespalten. Heute, mit 58 Jahren weiß er: „Ich bin eine Frau.“ Als Transgender lebt er eine Monsterlüge.

Max N. verändert als Nicole sein Äußeres. Dabei greift er momentan noch auf Perücken zurück. Aktuell lässt er seine Haare wachsen.
Max N. verändert als Nicole sein Äußeres. Dabei greift er momentan noch auf Perücken zurück. Aktuell lässt er seine Haare wachsen. Foto: Daniel Karmann/dpa

Es ist nur ein Blick in den Spiegel. In diesem Moment verändert sich für Max N. alles. Sein ganzes bisheriges Leben implodiert. Er sieht in seinem Spiegelbild eine Frau. Zu diesem Zeitpunkt ist Max N. 45 Jahre alt, verheiratet und Vater – ein gestandener Mann.

Max N. möchte lieber anonym bleiben. Es ist kein Selbstzweck. Zu viel steht für seine Familie und ihn auf dem Spiel. Er ist mit einem Penis auf die Welt gekommen. Schon als Kind fühlte er sich anders. Heute, mit 58 Jahren weiß er: „Ich bin eine Frau.“ Und lebt damit eine „Monsterlüge“.

Transgender: Max N. aus Rastatt erscheint als Mann

Der Händedruck von Max N. ist fest, die Handflächen weich und sanft. Seine Stimme ist rau und tief, der Körper stämmig. Seine Haare sind etwas länger gewachsen, die Ohrläppchen zieren kastanienfarbene Creolen. Er trägt weite Jeans, eine schwarze Fleecejacke mit einem Hemd drunter. Er nennt es den Männer-Schlabber-Look. Max N., der Transgender, erscheint als Mann.

„Der Moment vor dem Spiegel war brutal“, erzählt er. Er habe sein wahres Ich gesehen. „Ich sah sie, die weibliche Version von mir“. Von da an dauerte es aber nochmal zehn Jahre, bis er sich und seiner Ehefrau mit 55 Jahren endgültig eingesteht: „Ich bin eine Frau.“

Deadname und er/sie

Ein Deadname ist der Name einer Trans-Person vor ihrer Transition. Viele Transgender-Menschen, die sich outen, empfinden den abgelegten Namen als unangenehm und bevorzugen daher, dass man nur noch den neuen Namen verwendet, auch wenn es um die Vergangenheit geht.

Für Max N. spielt Deadnaming aber keine Rolle. Er bleibt im Alltag weiterhin Max N. „Wenn ich ausbreche, bin ich Nicole“, sagt er.

Auch im Hinblick auf die Personal-Pronomen gibt es für Max N. eine klare Trennung. Im Alltag ist Max N. „er“. Auch beim Gespräch mit dieser Redaktion tritt Max N. als „er“ auf. Bricht er aus und ist Nicole, ist das „sie“-Pronomen angebracht.

Sein ganzes Leben kämpft er damit. Max N. wächst behütet in Baden-Baden auf. Mit sechs Jahren zieht seine Familie in einen Ort im Landkreis Rastatt. Dann wird er eingeschult. Seine Mitschüler grenzen „den Fremden“ aus. Sie hänseln ihn. Max N., eher der weiche Typ, sucht damals die Nähe zu Mädchen. „Bei den Jungs musste man Ellbogen haben.“

Ich war neidisch auf die Kleidung der Mädels.
Max N., Familienvater und Transgender

Sein Vater, der Kampfsportler, hat dafür wenig Verständnis. Zeitlebens will Max N. seinem Vater imponieren und gefallen. In ihm schlummert aber etwas Unbekanntes. Max N. hat seine erste Berührungen mit Feinstrumpfhosen im Grundschulalter. Ihm gefällt das Gefühl sie zu tragen.

Mitte der 1970er Jahre zieht er heimlich die Kleider seiner Mutter und seiner Schwester an. „Ich hab mir damals gar keine Gedanken gemacht.“ Doch es schwang aber auch immer ein ungutes Gefühl mit. Es war das Gefühl des Ertappt-werdens. „Ich war neidisch auf die Kleidung der Mädels.“

Max N. geht den klassischen Weg eines Mannes. Er ist unerbittlich, vor allem zu sich selbst. Er baut sich eine maskuline Fassade auf. Mit zwölf Jahren macht er schließlich seine erste Erfahrung mit Alkohol. Es ist ein Wendepunkt in seinem Leben.

„Alkohol hat von da an eine große Rolle in meinem Leben gespielt.“ Als er davon erzählt wippt er nervös auf seinem Stuhl, knetet seine Hände. Der Weg führt in die Katastrophe. Er wird schließlich Komatrinker: zwei Flaschen Whiskey und einen Kasten Bier am Tag. Er ist Bauarbeiter. „Da war saufen legitimiert.“ Er habe erkannt, was er gut könne. „Mit 25 Halben Bier habe ich jeden unter den Tisch gesoffen.“

Max N. war plötzlich wer. Er stand in der Hackordnung ganz oben. Das geht nicht lange gut. Mit 21 Jahren ist er komplett kaputt. Von seinem Vater erhält er keine Hilfe. Max N. macht eine Therapie. Seitdem ist er trocken. Mittlerweile ist ihm das alles unangenehm.

Er wäre lieber zum Ballett als in den Sportverein

Heute führt Max N. den extensiven Alkoholkonsum auf seine innere Zerrissenheit zurück. „Irgendwas war in mir. Ich durfte es nicht leben, konnte es nicht leben.“ Er sei nicht der Mensch gewesen, der er wirklich war. „Bei der Geburt wurde mir das Geschlecht zugewiesen. So läuft das dann im Leben.“

So auch die Wahl seines Hobbys – Dorfsportverein: Wettkampf, raues Miteinander, Ellbogen. „Ich hätte zwar lieber Ballett gemacht, aber das hätte mein Vater damals nicht akzeptiert.“

Schließlich krempelt er nach der Therapie sein Leben komplett um. Max N. wagt den Neustart. Er lernt eine Frau kennen, heiratet. Kinder kommen. Max N. macht Karriere, bekleidet Führungspositionen. „Ich musste ja meinem Vater was beweisen.“ Max N. ist beruflich und privat angesehen. Es ist die perfekte Fassade. Seine Transgender-Identität ist da nur ein Nebenkriegsschauplatz.

Die Ehefrau reagiert cool

In seinen Dreißigern merkt Max N., dass etwas nicht stimmt. „Ich fühlte mich extrem zu Frauenkleidern hingezogen.“ Er zieht sich heimlich die Kleidung seiner Frau an. Dann beichtet er seiner Frau: „Du, ich trage gerne Strumpfhosen.“ Sie reagiert cool, akzeptiert es. Er geht einen Schritt weiter: Kauft sich eigene Frauenkleider, Perücken, schminkt sich. Sie arbeitet Schicht. Er geht als Frau abends heimlich auf die Straße.

„Danach hatte ich ein unheimlich schlechtes Gewissen.“ Er schmeißt die Perücken, Accessoires und Damenkleidung in den Müll. Der Mitdreißiger ist nahe einer Depression. „Das Whiskey-Regal im Supermarkt war plötzlich wieder attraktiv.“ Max N. entschließt sich, nochmal einen Entzug zu machen. Es sei schwierig gewesen, es dem Arzt zu verklickern. Trotzdem: Er bekommt eine sechswöchige Therapie.

Als Nicole habe ich einen anderen Bezug zu mir.
Max N., Familienvater und Transgender

Dort sieht sich Max N. im Spiegel dann als Frau. Er überlegt sich, wie er mit der Erkenntnis umgeht. Es sei brutal. „Aus meinem alten Leben komme ich nicht raus.“ Komplett rüber in das weibliche Leben komme er ebenfalls nicht. Auch für seine Frau ist die Erkenntnis brutal. „Sie dachte, sie verliert mich als Mann komplett“. Er sei immer noch der gleiche Mensch, nur sein Aussehen ändere sich. „Als Nicole habe ich einen anderen Bezug zu mir.“ Nicole gebe Max N. mehr Selbstbewusstsein.

Brustprothesen aus Silikon im offenen BH sind am 17.02.2016 in einem Spezial-Geschäft in Schwaig bei Nürnberg (Bayern) an einer Schaufensterpuppe zu sehen zu sehen. Das Geschäft hat sich auf Transvestiten und Transexuelle spezialisiert und verkauft Brustprothesen, Perücken und Highheels in Übergröße. Foto: Daniel Karmann/dpa (zu dpa-Korr: "Brüste für den Mann - das Geschäft mit der Heimlichkeit" vom 10.03.2016) ++ +++ dpa-Bildfunk +++
Brustprothesen aus Silikon im offenen BH in einem Spezial-Geschäft in Schwaig bei Nürnberg (Bayern). Foto: Daniel Karmann / dpa

Seine Ehefrau und er reden miteinander. „Ich werde in meinem Alter keine Operation und keine Hormontherapie machen.“ Es werde keine komplette Transformation geben. Seine Ehefrau akzeptiert Nicole, Max’ weibliches Ich.

Sie gehen zusammen einkaufen und in den Urlaub. „Meine Frau ist die beste Verbündete“, sagt Max N. kichernd. Er ist als Frau voll ausstaffiert. Er besitzt Abendkleider, zieht sich zwölf Zentimeter hohe Stöckelschuhe an und kann darauf sogar laufen. „Dazu gehört auch ein gewisser Ehrgeiz“. Wenn Max N. von Nicole spricht, wird er femininer. Er gestikuliert, neigt seinen Kopf im Gespräch, wirft die Augen nach oben.

Georgine Kellermann ist ein Vorbild

„Es muss auch nicht die komplette Verwandlung sein, wenn ich Nicole werde.“ Wenn er einen Kapuzenpulli, eine Leggings und vielleicht einen Lippenstift in rot tragen könne, sei er schon in einer anderen Welt. Inzwischen tritt Max N. beruflich kürzer, um sich mehr Freiheiten nehmen zu können. „Es ist auch mal Wimperntusche drauf, wenn ich arbeiten gehe.“

Für Max N. sind Menschen wie Georgine Kellermann Vorbilder. Als WDR-Studioleiter outete sich Kellermann mit 62 Jahren als Transgender.

„Ich weiß, was dazugehört, was sie gemacht hat.“ Sie stünde in der Öffentlichkeit und müsse viele Anfeindungen aushalten. Solche Menschen gäben im Kraft. „Ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde, da bin ich ganz ehrlich.“

Der beste Kumpel stirbt an Krebs

Max N. entscheidet sich für den Mittelweg. Er ist gleichzeitig Mann und Frau, buchstäblich ein Transgender. Er entscheidet sich für eine Monsterlüge. Nur eine handvoll Menschen in seinem Umfeld wissen Bescheid.

Seine Kinder gehören nicht dazu. Seine Mutter und Schwester sind auch nicht eingeweiht. Sein Vater ist gestorben. „Meinen besten Kumpel wollte ich einweihen. Der ist dann aber leider an Krebs gestorben.“ Max N. bereut es noch bis heute zutiefst, sich vor ihm nicht geoutet zu haben.

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