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Stipendium für 19-Jährige

Sechs Jahre nach Flucht aus dem Iran: Sabiha Razawi aus Rastatt wird zum „Talent im Land“

Die gebürtige Iranerin Sabiha Razawi steht nach nur sechs Jahren in Deutschland kurz vor ihrem Abitur. Nachdem sie zahlreiche Herausforderungen bewältigt hat, will sie nun Großes erreichen. Jetzt wird sie für diesen Lebensweg ausgezeichnet.

Eine junge Frau
Sprach vor sechs Jahren kein Wort Deutsch: Sabiha Razawi besucht die Handelslehranstalt in Rastatt und legt voraussichtlich 2023 ihr Abitur ab. Foto: Holger Siebnich

Sabiha Razawi sitzt kerzengerade auf ihrem Stuhl. Die zierliche Frau lächelt und beginnt leise, von ihrem Leben zu erzählen.

Die Stimme der 19-Jährigen ist zurückhaltend, aber ihre Sätze sind wohlformuliert. Dabei sprach sie bis vor sechs Jahren kein einziges Wort Deutsch.

Trotz junger Jahre liegt ein bewegtes Leben hinter ihr, das sie mit Bravour gemeistert hat. Dafür wird sie an diesem Freitag ausgezeichnet.

Schwieriger Start in der neuen Heimat

Ihre Eltern stammen aus Afghanistan und flüchteten vor dem Krieg ins Nachbarland Iran. Dort kam Razawi zur Welt. Die Familie hatte es schwer. Dem Vater war es teilweise nicht erlaubt, zu arbeiten.

Als Razawi 13 wurde, hatte sie mehr als zwei Jahre lang keine Schule mehr besucht. Im August 2015 entschloss sich die Familie, ihr Glück in Deutschland zu suchen.

Dort steht Razawi sechs Jahre später kurz vor dem Abitur. Für diese besondere Lebensgeschichte erhält sie nun vom Programm „Talent im Land“, das von der Baden-Württemberg-Stiftung getragen wird, ein Stipendium.

Damit wird die Rastatterin in vielerlei Hinsicht gefördert, um aus ihren Träumen irgendwann Realität machen zu können.

Razawi tat sich in ihrer neuen Heimat anfangs schwer, mit anderen Leuten zu reden und vertraute ihren Deutsch-Kenntnissen nicht: „Ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen.“ Zwei Monate nach ihrer Ankunft begann sie einen einjährigen Sprachkurs. Ab 2016 besuchte sie die Karlschule in der achten Klasse.

Empfehlung der Freundin als Initialzündung

Dort erkannten die Lehrer schnell ihr Talent und empfahlen nach nicht einmal einem Jahr, dass sie probeweise an die August-Renner-Realschule wechselt. Dort fand sie sich gleich gut zurecht, da ihre Sprachkenntnisse mit der Zeit immer besser wurden: „Es wurde einfacher, Freunde zu finden.“

Im vergangenen Jahr machte Razawi dort ihre Mittlere Reife. Inzwischen ist sie im zweiten Jahr an der Handelslehranstalt in Rastatt. Voraussichtlich hat Razawi 2023 ihr Abitur in der Tasche.

Auf „Talent im Land“ machte sie eine Freundin aufmerksam. Das Stipendienprogramm will begabte Schülerinnen und Schüler mit einem besonderen persönlichen Hintergrund fördern, der sie vor Herausforderungen stellt.

Damit wollen die Initiatoren verhindern, dass die Bildungsmöglichkeiten der jungen Menschen von der wirtschaftlichen und sozialen Lage ihrer Familie abhängen.

Das Angebot umfasst eine monatliche finanzielle Förderung für Bildungsausgaben, ein Seminar- und Workshop-Angebot und eine individuelle Beratung und Begleitung durch die Mitarbeiter des „Talent im Land“-Programms.

Ich wusste nicht, was ich über mich schreiben sollte.
Sabiha Razawi, Stipendiatin

Zuerst entschied sich Razawi gegen eine Bewerbung, da sie nicht davon ausging, das Stipendium zu bekommen: „Ich wusste nicht, was ich über mich schreiben sollte, ich habe kein besonderes Talent.“ Letztlich ließ sie sich doch von ihrer Freundin überzeugen.

Nach einem persönlichen Gespräch mit den Verantwortlichen des Programms bekam sie kurz darauf eine Zusage und wird an diesem Freitag feierlich in das Stipendienprogramm „Talent im Land“ aufgenommen.

Im September trafen sich die 53 Stipendiatinnenen und Stipendiaten erstmals über ein Wochenende. „Das hat mir viel Spaß gemacht“, sagt Razawi. Es sei interessant gewesen, die persönlichen Geschichten anderer zu hören.

Der Rastatterin fiel es auch ziemlich leicht, mit anderen ins Gespräch zu kommen: „Ich habe direkt jemanden kennengelernt, der wie ich gerne fotografiert.“

Dolmetscher für die Familie

Ein weiteres Hobby der Schülerin ist das Theaterspielen. Razawi war bis vor drei Jahren beim Phoenixtheater in Rastatt aktiv. Obwohl sie es aus zeitlichen Gründen nicht mehr schafft, sich im Verein zu engagieren, blieb sie ihrem Hobby treu und wählte in der Schule einen Seminarkurs, der sich um das Theater dreht.

In ihrer Familie muss Razawi oft dolmetschen, da es ihren Eltern nach wie vor schwerfällt, korrekt deutsch zu sprechen: „Es hat sich deutlich gebessert, aber ich muss beispielsweise immer noch Formulare ausfüllen.“

Nach ihrem Abitur will die Stipendiatin Architektur studieren. „Als wir im Kunstunterricht perspektivisch zeichnen sollten, wusste ich direkt, dass mir das liegt.“

Die gebürtige Iranerin blickt zufrieden auf die sechs Jahre in Deutschland zurück. Nur eines würde sie rückblickend anders machen: „Ich würde jemandem in einer ähnlichen Situation raten, sich zu vertrauen und keine Angst davor zu haben, vor anderen zu sprechen.“

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