Skip to main content

Nach Gerichtsurteil

Teilschließung der Rastatter Notfallpraxis: Ärztevorstand spricht von „Katastrophe“

Bis auf Weiteres ist die Notdienstzentrale des ärztlichen Bereitschaftsdiensts in Rastatt werktags nicht mehr besetzt. Ärzteschaft und Klinikum bereitet das Sorgen.

Blick auf Fenster mit Beschriftung „Notdienstzentrale. Ärztlicher Bereitschaftsdienst“
Werktags verwaist: Die Notfallpraxis des ärztlichen Bereitschaftsdiensts hat nur noch an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen geöffnet. Die Kassenärztliche Vereinigung greift nach einem Gerichtsurteil nicht mehr auf sogenannte Pool-Ärzte zurück. Foto: Daniel Melcher

Jürgen Schönit, Vorsitzender der Rastatter Ärzteschaft, findet klare Worte: Die Teilschließung der hiesigen Notfallpraxis in Rastatt „ist definitiv eine Katastrophe. Das wird massive Einschränkungen für die Bevölkerung geben.“ Am Vorabend hatte die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) mitgeteilt, den ärztlichen Bereitschaftsdienst ab sofort einzuschränken.

Acht Notfallpraxen im Land werden komplett geschlossen, sechs zum Teil, darunter auch die in Rastatt. Werktags an Abenden oder in der Nacht bleiben die Türen dort für Patienten geschlossen, nur noch an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen ist die Praxis besetzt, jeweils von 10 bis 20 Uhr.

Keine Änderungen bei Kinder-, Augen- und HNO-Notfalldiensten

Hintergrund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts, wonach sogenannte Pool-Ärzte, die dort Dienst tun, nicht als freiberuflich, sondern sozialversicherungspflichtig einzustufen seien. Konkret verhandelt wurde der Fall eines Zahnarzts, das Urteil ist laut KVBW aber übertragbar. Damit sei das System nicht haltbar, so die KVBW, die sofort die „Notbremse“ zog.

Das heißt: Landesweit werden 3.000 Pool-Ärzte aus dem Notfalldienst rausgenommen, bisher hatten sie 40 Prozent der Dienste oder dringenden Hausbesuche übernommen. Keine Änderungen gibt es laut KVBW bei Kinder-, Augen- und HNO-Notfallpraxen.

Das System habe gut funktioniert, betont der Rastatter Arzt Schönit. Nur mit den Pool-Ärzten könne die Notfallpraxis auch überleben, betont Schönit. Vor vielen Jahren war sie installiert worden, um die niedergelassenen Ärzte zu entlasten. Diese seien ansonsten vor, während und nach Notdienstnächten „36 Stunden am Stück“ bei der Arbeit. Bei ohnehin regulär schon „60 bis 70 Stunden“ Dienst in der Woche, so Schönit. Das widerspreche allen Vorgaben des normalen Arbeitsrechts.

In Rastatt und Umgebung müsse man nun überlegen, wie man weitermache, sagt der Ärztechef und weist darauf hin, dass viele niedergelassenen Kollegen schon über 60, teilweise 70 Jahre alt sind.

Blick auf Schild mit Öffnungszeiten.
Eingeschränkt: Werktags bleiben die Türen der Notdienstzentrale in der Engelstraße 39 bis auf Weiteres für Patienten geschlossen. Foto: Daniel Melcher

Der Notfallplan der KVBW sieht zunächst vor, alle niedergelassenen Ärzte zum Dienst einzuteilen. Durch die gleichzeitig drastisch reduzierte Öffnungszeit der Notdienstzentrale gibt es dabei werktäglich erst mal keine Versorgung direkt vor Ort mehr. KVBW-Vorstand Doris Reinhardt sagt: „Wir haben darauf geachtet, dass die Patientinnen und Patienten weiterhin gut versorgt sind und die Möglichkeit haben, innerhalb vertretbarer Zeit benachbarte Notfallpraxen zu erreichen.“ Die Erreichbarkeit des Bereitschaftsdienstes über die Rufnummer 116117 sei gewährleistet.

Schönit und der Medizinische Geschäftsführer des Klinikums Mittelbaden, Thomas Iber, sagen indes andere Patientenströme voraus: in Richtung Zentrale Notaufnahme (ZNA) des Klinikums Mittelbaden. Die liegt in Rastatt in direkter Nachbarschaft zur ärztlichen Notfallpraxis in der Engelstraße 29.

Ärzte rechnen mit Zustrom in die Zentrale Notaufnahme des Klinikums

Auch im Klinikum ist man „in tiefer Sorge, was die Versorgungssicherheit der Menschen in Mittelbaden anbelangt“, wie Iber im Gespräch mit dieser Redaktion bestätigt. Die KVBW habe einen gesetzlichen Versorgungsauftrag, der nicht mehr wahrgenommen werde. Dass die Menschen die nächstgelegenen Notfallpraxen in Baden-Baden, Ettlingen oder Karlsruhe aufsuchen, die an Werktagabenden weiter geöffnet sind, hält er für eine eher theoretische Annahme. „Die Menschen werden einen kürzeren Weg gehen“ – und der führt eben direkt in die ZNA.

Dort ist die Lage in der Regel aber schon angestrengt. Im Jahr 2022 haben rund 14.900 Patienten die Rastatter Notaufnahme des Klinikums aufgesucht (plus 25.300 in Baden-Baden und 4.400 in Bühl). Im vergangenen Dezember hatte das Klinikum Alarm geschlagen und gebeten, nur in einem „echten Notfall“ den Rettungsdienst zu rufen oder die Zentralen Notaufnahmen aufzusuchen. Dort war es zu der Zeit nicht nur rappelvoll, sondern das Klinikum überbelegt und das krankheitsbedingt reduzierte Personal am Limit.

Am Ende geht es gemeinsam um die Patienten.
Thomas Iber
Medizinischer Geschäftsführer Klinikum Mittelbaden

Jetzt geht man wieder auf die kalte Jahreszeit zu und kommt in eine „anstrengende Phase“. Man müsse nun noch stärker darauf achten, dass dringliche Notfälle nicht untergehen und werde wohl Schilder aufstellen, die um Verständnis werben, wenn die Wartezeiten länger werden, so Iber. Man befinde sich in enger Abstimmung mit der niedergelassenen Ärzteschaft vor Ort. „Am Ende geht es gemeinsam um die Patienten.“

Notbremse gilt „mindestens drei Monate“

Derweil könne der Wegfall der Pool-Ärztinnen und Pool-Ärzte „nicht auf die Schnelle kompensiert werden“, schreibt die KVBW. Die Einschränkung der Struktur im ärztlichen Bereitschaftsdienst nennt sie indes „vorübergehend“. Wie lange das dauert, ist jedoch ungewiss. „Mindestens drei Monate“, heißt es. Man hoffe auf „eine praktikable Lösung durch die Politik“.

So auch Jürgen Schönit, der in dem Fall sogar „absolutes Politikversagen“ sieht. Notärzte seien zum Teil freiberuflich tätig, sogar die Impfärzte zu Corona-Zeiten waren es. Warum soll das nicht auch für Pool-Ärzte im Bereitschaftsdienst der Notfallpraxen gelten, fragt er. Die Politik habe den Kopf in den Sand gesteckt und dürfe das Thema nun nicht mehr länger aussitzen.

nach oben Zurück zum Seitenanfang