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Eine Zeichnung zeigt am 11.09.2017 in Berlin im Madame Tussauds beim «1. Symposium gegen Cybermobbing und für einen sicheren Umgang mit sozialen Medien» das Thema Cybermobbing. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa ++ +++ dpa-Bildfunk +++

Psycho-Attacken

Junge Erwachsene sind besonders von Mobbing betroffen

Von Hänseleien auf dem Pausenhof bis zum Verschicken peinlicher Filmchen an die Arbeitskollegen – Ausmaß und Umfang von Mobbing und Cybermobbing nehmen einer aktuellen Studie zufolge rapide zu. 50 Prozent der 18- bis 24-Jährigen haben es schon erlebt.
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Hört der Terror denn nie auf, hat Ben sich oft gefragt. Schon in der Grundschule war der heute 20-Jährige häufig Opfer von Mobbing-Attacken. „Ich wurde gehänselt und einmal sogar im Klo eingeschlossen“, erzählt er.

Nach dem Wechsel auf die Realschule wurde es ein wenig besser. Doch in der Ausbildung kam alles zurück: „Die Sau ist genauso fett wie Du“, kommentierte jemand unter dem Foto eines Glücksschweinchens, das Ben auf seinem Facebook-Profil gepostet hatte.

Im Betrieb fühlte sich der junge Mann zunehmend ausgeschlossen. Irgendwann bekam er mit, dass die Auszubildenden eine eigene Whatsapp-Gruppe haben. Alle waren drin. Außer ihm.

Netzwerk aus Pädagogen verfolgt Thema sehr genau

Geschichten wie die von Ben kennt Uwe Leest vom Bündnis gegen Cybermobbing zuhauf. Seit zehn Jahren verfolgt das von ihm geleitete Netzwerk aus Pädagogen, Medizinern, Eltern, Juristen und Forschern das Thema sehr genau. Alle drei Jahre erstellt der Verband mit Sitz in Karlsruhe eine Studie, die die Entwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht, beobachtet und beschreibt.

Dabei geht es längst nicht mehr nur um das klassische Mobbing. In der digitaler werdenden Welt spielt auch das Cybermobbing mittels Smartphone und Computer eine immer größere Rolle. Hier zeigt die Kurve immer schneller und immer steiler nach oben.

Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest.
Der Vorstandsvorsitzende des Bündnisses gegen Cybermobbing, Uwe Leest. Foto: Hannibal Hanschke picture alliance / dpa

In den vergangenen drei Jahren stieg die Zahl derer, die zum Opfer von Cyber-Mobbing-Attacken wurden, im Vergleich zu den drei Jahren davor um 25 Prozent. Beim klassischen Mobbing gab es im selben Vergleichszeitraum eine Zunahme um 8,3 Prozent.

Die Dynamik beim Anstieg des digitalen Mobbings bereitet Uwe Leest besonders viele Sorgen. „In den vergangenen zehn Jahren ist das von einem Phänomen zu einem Problem geworden“, sagte er bei der Vorstellung der jüngsten Studie am Donnerstag in Karlsruhe. Man muss kein Experte sein, um zu verstehen, warum das Netz für die Täter so attraktiv ist: Sie können anonym bleiben. Die Hemmschwellen sind damit niedriger und die Barrieren auch. Kurze Nachrichten, Videos und Bilder sind mit einem Klick versendet.

Junge Erwachsene sind am meisten betroffen

Aber auch ganz allgemein nehmen Ausmaß und Umfang von Mobbing aller Arten rapide zu. Betroffen sind nicht nur junge Schülerinnen und Schüler. Im Gegenteil – die Studie zeigt, dass auch immer mehr Erwachsene zum Opfer werden.

32,6 Prozent aller befragten Deutschen zwischen 18 und 65 Jahren gaben an, schon mindestens einmal im Leben Opfer von klassischem Mobbing geworden zu sein. Hochgerechnet auf die Bevölkerung ergibt das eine Zahl von 17 Millionen Menschen.

Besonders hart trifft es Frauen und Männer zwischen 18 und 24 Jahren. Dabei handele es sich laut Uwe Leest eindeutig um die „Generation Smartphone“. „Die treten jetzt ins Arbeitsleben ein und nehmen ihr Verhalten aus der Schule direkt mit.“

Übergriffe prägen die Arbeitswelt

Die Übergriffe prägten inzwischen auch sehr stark die Arbeitswelt: Fast die Hälfte aller Mobbingattacken in Deutschland findet laut Studie dort statt. Besonders häufig sind Menschen betroffen, die in Sozialen Berufen tätig sind. Aber nicht nur.

Die Folgen für die Unternehmen bleiben nicht aus. „Die Kündigungsbereitschaft von Mobbing-Opfern ist um 40 Prozent höher als bei Nicht-Opfern“, zitierte Leest aus der Untersuchung. Auch wiesen Opfer von Mobbing und Cybermobbing jährlich fast doppelt so viele Krankheitstage auf.

Die bringen ihr Verhalten aus der Schule direkt in die Arbeitswelt.
Uwe Leest von Bündnis gegen Cybermobbing

Durch Mobbing entstehe der deutschen Wirtschaft durch Produktionsausfallkosten im Krankheitsfall jährlich ein direkter Schaden von knapp acht Milliarden Euro. „Die indirekten Schäden dürften aber noch um ein Vielfaches höher liegen“, vermutet der Mobbing-Experte.

Mehr Cybermobbing wegen Corona

Die Covid19-Pandemie begünstigte die Entwicklung von Cybermobbing. Auch das habe die Untersuchung bewiesen. Eltern konnten aufgrund der Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen nicht zur Arbeit gehen oder wurden aufgrund schwierig zu organisierender Kinderbetreuung von ihren Vorgesetzten oder Kollegen unter Druck gesetzt.

Beschäftigte, die während Pandemie nicht im Homeoffice waren, sondern im Betrieb blieben, waren deutlich stärker von Cybermobbing betroffen, wenn sie in ihrer Wahrnehmung mehr als ihre Kolleginnen und Kollegen leisten.

Unternehmen haben Cybermobbing-Problematik nicht ausreichend realisiert

Nach Ansicht der großen Mehrheit der Befragten haben die Unternehmen die Mobbing- und Cybermobbing-Problematik noch nicht ausreichend realisiert. In weniger als einem Drittel aller Unternehmen sind Strukturen etabliert, um der Problemlage entgegenzuwirken.

Nach Vorstellung der Zahlen zog Uwe Leest ein ernüchterndes Fazit: „Das Problem entwickelt sich weiter und die Prognose ist nicht gut.“ Er appellierte an Unternehmen, das Thema und ihre Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeiterin ernst zu nehmen. „Die Stärkung des Betriebsklimas muss im Vordergrund stehen“, sagte er. Hilfreich könne es außerdem sein, wenn alle Mitarbeiter sich durch die Unterschrift einer Sozialcharta zu einem gewaltfreien und respektvollen Umgang untereinander verpflichteten.

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