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Migräne-Liga: Viele falsche Heilsversprechen

Mythen rund um Migräne: Helfen Algen gegen die „Krankheit der Genies“?

Sie leiden regelmäßig an Schmerzattacken, die ihr Leben überschatten. Und sie werden regelmäßig mit Vorurteilen und vermeintlich heißen Tipps für Wunderheilungen konfrontiert: Migräne-Patienten haben mit mehreren Widrigkeiten zu kämpfen.

Quälendes Pochen unter der Schädeldecke: Migräne-Patienten leiden sehr unter den Attacken  – aber auch unter ständigen Ratschlägen von Angehörigen und Außenstehenden.
Quälendes Pochen unter der Schädeldecke: Migräne-Patienten leiden sehr unter den Attacken – aber auch unter ständigen Ratschlägen von Angehörigen und Außenstehenden. Foto: Oliver Killig/dpa

Es gibt zwei Sätze, auf die Migräne-Patienten nach jahrzehntelanger Leidenszeit allergisch reagieren. Sie beginnen mit den Worten „Hast du schon mal ausprobiert…“ und „Ich habe gerade gelesen, dass es gegen Migräne was Neues gibt …“. Ja, die Liste der angeblichen Wundermittelchen ist lang. Mal sind es Pülverchen aus Spirulina-Algen, mal fernöstliche Meditationstechniken – oder ganz simple Vitamin-D-Tabletten.

Und als kürzlich in der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ eine „Migräne-Maske“ vorgestellt wurde, sprang nicht nur der ehemalige Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg als Investor darauf an. So mancher Migräne-Patient bekam nach der Sendung einen Anruf von Angehörigen. Hoffnungsfroh berichteten sie von der weichen Maske, die man mit Kühlpads befüllt und über Augen und Ohren zieht.

Manchmal bedanken sich Migräniker für einen solchen Tipp. Manchmal reagieren sie gereizt: „Glaubst du wirklich, eine Flauschmaske mit Kühlkissen hilft, wenn in meinem Kopf ein Schmerzgewitter tobt?“ Denn unterschwellig steht oft der Vorwurf im Raum, die Patienten seien selbst ein bisschen schuld an ihrer Misere – weil sie zu wenig experimentierten.

„Solche Ratschläge empfinden viele Betroffene als belastend“, sagt Veronika Bäcker, Präsidentin der Deutschen Migräne-Liga aus Landau. „Bei anderen Erkrankungen gibt man auch nicht ständig solche Tipps.“

Es gab schon Fälle, in denen Patienten einen Schlaganfall bekamen.
Veronika Bäcker, Präsidentin der Migräne-Liga, über ruppige Behandlungen

Das eine wahre Wundermittel ist Bäcker jedenfalls noch nicht untergekommen. „Es gibt Einzelfälle, in denen ein Mittel wie beispielsweise Vitamine einem Betroffenen mal deutlich hilft – vielleicht auch wegen des Placebo-Effekts“, sagt sie. „Aber es gibt viele Mythen und falsche Heilsversprechen. Migräne ist komplex. Wir sagen immer: Schaut, was die Wissenschaft sagt.“

Überhaupt nichts hält Bäcker von Augenlaser-Behandlungen gegen Migräne. „Das ist ein pseudowissenschaftliches Erklärungsmodell“, sagt sie entschieden. Die Wirkung von Globuli? „Da setze ich ein großes Fragezeichen dahinter!“

Und vorsichtig sollten Migräniker auch sein, bevor sie sogenannte Atlas-Korrekturen im Wirbelsäulen-Nackenbereich vornehmen ließen. „Da gibt es auch gröbere, ruckartige Methoden“, warnt die Präsidentin der Patientenvereinigung. „Es gab schon Fälle, in denen Patienten einen Schlaganfall bekamen.“

Eine Art Kurzschluss im Gehirn

Als „Unverschämtheit“ bezeichnet Bäcker ein anderes Argument, das Migräne-Patienten zu hören bekommen: Sie wollten krank sein – die quälenden Schmerzattacken seien allein psychisch bedingt.

Als anerkannt gelten hingegen zwei andere Thesen. Erstens: Migräne ist häufig erblich. Zweitens: „Migräne ist so etwas wie ein Kurzschluss des Systems, das den Nervenbotenstoff CGRP ausschüttet.“ So erklärt es Bäcker laiengerecht. In Folge kommt es zu einer Entzündung und zu Schmerzen in der Hirnhaut.

Ja, die monatliche Spritze mit Antikörpern gegen das Eiweiß CGRP hat Bäcker persönlich geholfen – aber diese Therapie wirke eben längst nicht bei allen Patienten, betont sie. Jeder reagiere anders. Auch auf die sogenannten Trigger, die Migräne-Auslöser. Wein, Käse und Schokolade haben da einen schlechten Ruf.

Wein schadet, aber eiskaltes Bier hilft?

Auch Schlafmangel, schlechte Ernährung und Bewegungsmangel sollen die quälenden Schmerzattacken fördern. Leben Migräniker zu ungesund? Aus Angst vor diesem Vorwurf zählen manche Betroffene gerne auf, was alles nicht gegen die Anfälle geholfen hat: „Regelmäßiger Sport? Kein Effekt. Alkoholverzicht? Egal, ob ich trinke oder nicht: Die Migräne-Attacken holen mich regelmäßig ein. Gesunde Ernährung? Null Veränderung.“

Andere Migräniker hingegen schwören: „Rotwein rühre ich überhaupt nicht mehr an.“ Oder: „Sekt büße ich sofort. Und kurze Nächte auch.“ Der nächste wiederum empfiehlt: „Eiskaltes Bier hilft sogar gegen Migräne.“

Extreme Lösung: OP und eine Art Hirnschrittmacher

Linderung bescheren mitunter Akupunktur, Betablocker oder Muskelentspannungsübungen. Einigen Patienten helfen Epilepsie-Medikamente. Sogar eine Art Gehirnschrittmacher können sich Migräne-Patienten operativ einsetzen lassen: Mit elektrischen Nerven-Impulsen mindert er die Attacken.

Allerdings ist solch ein Eingriff höchstens etwas für chronisch Kranke, die kaum noch arbeiten können. Viele andere Patienten schlucken eben alle paar Wochen eine Tablette aus der Medikamentengruppe der Triptane – weil die ihre Migräne „wegbläst“.

Albert Einstein und Salvador Dalí litten an Migräne

Ob es manche Patienten ein bisschen tröstet, dass sie einen Exoten-Status genießen? Sensibel und sehr begabt sollen sie sein. Sogar als „Krankheit der Genies“ wird die Migräne schmeichelhaft bezeichnet. Die Nobelpreisträger Albert Einstein und Marie Curie litten angeblich an Migräne, ebenso Vincent van Gogh.

Salvador Dalí soll seine berühmten zerfließenden Uhren während einer Migräne-Attacke gemalt, Richard Wagner den peinigenden Kopfschmerz sozusagen in seinen Opern vertont haben. „Da ist durchaus etwas dran“, sagt Bäcker. „Oft haben Betroffene ein leistungsfähiges Gehirn, das viel aufnehmen kann. Man spricht manchmal auch vom Ferrari im Gehirn.“

Nehmen Migräniker mehr Farbtöne wahr?

Es kursiert auch die Theorie, dass Migräniker zum Beispiel in der Natur tausende Grün-Nuancen wahrnehmen – viel mehr als Durchschnittsmenschen. Die Migräne wird als „reinigendes Gewitter“ für das übervolle Hirn gedeutet. „Auch ein Ferrari muss mal in die Werkstatt“, sagt die Präsidentin der Migräne-Liga.

Vor ständiger Überlastung sollten sich Migräniker hüten. Allerdings fügt Bäcker hinzu: Keineswegs nur die superbegabten „Überflieger“ seien von Migräne gequält. Es sind sozusagen viele Golfs darunter. Es heißt ja auch: „Volkskrankheit Migräne“.

Link-Tipp

Zahlreiche Informationen sowie Online-Seminare zum Thema Migräne bietet die Deutsche Migräne-Liga unter www.migraeneliga.de.

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