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Cornelius-Bundschuh im Interview

Wann sollte die Gesellschaft der Corona-Verstorbenen gedenken, Herr Landesbischof?

Der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh erklärt im Interview, was in der Krise Mut macht und was die Kirchen in Baden-Württemberg planen, um der Corona-Verstorbenen zu gedenken.

Der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh möchte angesichts von Sparzwängen verstärkt auf Kooperationen setzen – auch mit der katholischen Kirche.
Der evangelische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh möchte angesichts von Sparzwängen verstärkt auf Kooperationen setzen – auch mit der katholischen Kirche. Foto: ARTIS - Uli Deck

Die evangelische Landeskirche Baden muss deutlich sparen.

Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh strebt daher neue Kooperationen an – mit Katholiken und Württembergern etwa.

Im Interview mit Redakteur Sebastian Raviol spricht Cornelius-Bundschuh außerdem darüber, welche Pläne die Kirchen in Baden-Württemberg für ein gesellschaftliches Gedenken an die Corona-Verstorbenen haben.

Ein Kommunikationsberater riet der Landeskirche zuletzt, nicht so defensiv zu denken. Wie offensiv gehen Sie das Jahr 2021 an?
Cornelius-Bundschuh

Ich bin skeptisch, ob das angesichts mancher aufgeregter lauter Debatten die richtigen Kategorien sind. Ich persönlich und wir als Kirche gehen zuversichtlich und realistisch in das Jahr 2021. Entscheidend wird sein: Behalten die Menschen Vertrauen für einen Weg in der Krise, der niemanden zurücklassen wird? Dazu können wir als Kirche vor Ort viel beitragen.

Schon vor der Pandemie haben Sie überlegt, wie Sie Ihre Mitglieder erreichen können. Wie schwer ist das nun in der Corona-Krise mit ausfallenden Gottesdiensten geworden?
Cornelius-Bundschuh

Es ist sehr, sehr viel schwerer geworden. Aber ich empfinde uns nicht als defensiv. Ich habe in meinen sieben Jahren als Landesbischof noch nie so viele Interviews gegeben wie in den letzten Monaten. Wir fragen, was die Menschen brauchen. Viele saßen zum ersten Mal in ihrem Leben mit einem unserer Handzettel zu Hause und haben die Weihnachtsgeschichte gelesen. Und wir hoffen, dass es irgendwann wieder reale Kontakte gibt.

Manche Menschen bringt die Kontaktlosigkeit mehr und mehr an emotionale Grenzen. Was macht uns Mut?
Cornelius-Bundschuh

Viele Menschen erleben, wie bedrohlich diese Pandemie ist und denken: Wir können nichts machen. Diese Anspannung zehrt an den Menschen. Wir sagen: Geht mit uns mit, Gott gibt uns Kraft in dieser Situation. Wir schauen nicht nur auf uns, sondern auf andere. Und natürlich: Wo in Altersheimen schon geimpft wurde, gibt es auch ein Gefühl der Entspannung. Es gibt viele Möglichkeiten, den Menschen zu sagen: Ich kann darauf vertrauen, dass es besser wird.

Die Pandemie ist noch lange nicht zu Ende. Wann sollten wir als Gesellschaft unsere Trauer über die Verstorbenen zum Ausdruck bringen?
Cornelius-Bundschuh

Wir Kirchen denken in Baden-Württemberg darüber nach, ob die Passionszeit vor Ostern geeignet für einen gemeinsamen Gedenkgottesdienst ist. Wir haben auch am vergangenen Volkstrauertag (Anm. d. Red.: November) versucht, das aufzunehmen. Das ist ein wichtiger Punkt für uns. Viele, die uns mangelnde Offensive vorwerfen, übersehen auch, wie wir die Menschen in der Krise begleiten.

Wie sieht das kirchliche Angebot in der Krise konkret aus?
Cornelius-Bundschuh

Lebensbejahende und nahe am Menschen stehende Begleitung ist nicht so leicht zu vermitteln. Wir machen Seelsorge in den Gemeinden, in Altersheimen, in Kliniken, unterstützen durch unsere Kitas. Die Telefonseelsorge wird sehr viel genutzt. Aber diese Dinge sind nicht plakativ in einer Sendung wie „Hart aber fair“ darzustellen. Trauernde Angehörige wollen nicht, dass die Beerdigung gefilmt wird. Das ist nichts, was man an die große Glocke hängen kann.

Registrieren die Menschen diese kirchlichen Aktivitäten denn ausreichend?
Cornelius-Bundschuh

Viele Menschen in den Gemeinden sehen diese Begleitung. Meine Frau hatte als Gemeindepfarrerin noch nie so viele Besuche am Zaun oder Gespräche am Telefon, die Leute sind extrem dankbar dafür. Ich bekomme auch viele Briefe, die Dankbarkeit ausdrücken. Manche schreiben: Wenn ich meinen Pfarrer im Livestream-Gottesdienst sehe, macht mir das Mut.

Das dürften dann nicht die Menschen sein, die sich von der Kirche distanziert haben.
Cornelius-Bundschuh

Natürlich haben wir nicht mehr die Konstellation, dass Menschen aus Konvention selbstverständlich zur Kirche gehören. Aber Corona ist etwas, was Menschen zum Nachdenken bringt. Kontrollverlust und grundlegende Verunsicherung führt zur Frage: Was trägt mich durchs Leben? Gibt es da nur immer mehr, besser und schöner? Manche Menschen verstehen jetzt besser, was wir mit Demut meinen, mit der Kraft, unsere Verletzlichkeit und Endlichkeit anzunehmen. Das ermöglicht der Glaube, das macht uns frei!

Die Kirche selbst befindet sich in einer Krise. Sie erklärten, die Zahl der Eintritte bei der badischen Landeskirche verdoppeln zu wollen. Im Jahr 2018 traten 1.200 Menschen ein, im Jahr 2019 waren 1.300. Müssen Sie einsehen, dass es mit dem Verdoppeln schwierig wird?
Cornelius-Bundschuh

Ja, das muss man so sehen. Es gibt eine Tendenz in der Gesellschaft, Menschen, die sagen: Kirche soll es geben – aber mit mir hat das nichts zu tun, es wird auch ohne mich weitergehen. Man muss diesen Menschen deutlich machen, dass das nicht so ist. Wir werden in Baden-Württemberg nur Religionsunterricht an Schulen oder Seelsorge vor Ort haben, wenn Menschen mitmachen. Auf der anderen Seite müssen wir mehr nachfragen. Es gibt Menschen, die in einer Vesperkirche helfen, aber kein Mitglied sind. Oder Ehen, in denen ein Partner nicht Kirchenmitglied ist. Da müssen wir ein Stück offensiver werden.

Strukturell wollen Sie auch anpacken und mehr mit der württembergischen Landeskirche zusammenarbeiten. Für manche Mitglieder ist das ein emotionales Thema.
Cornelius-Bundschuh

Das stimmt. Ich gehe davon aus, dass wir relativ bald deutlich mehr Kooperation haben werden. Viele verstehen sich als Badener, da geht es nicht nur um Fußball, den KSC und den VfB. Es gibt unterschiedliche Prägungen und Mentalitäten. Warum soll es das nicht weitergeben. Aber wir können die Zusammenarbeit mit Württemberg viel stärker vorantreiben.

Welche Bereiche meinen Sie damit?
Cornelius-Bundschuh

Den gesamten Bereich der Verwaltung, auch die Diakonie. Da möchte ich Mut machen. Das gilt auch für die Katholiken in der Erzdiözese – ich denke da an gemeinsame Pfarrbüros. Oder ein Haus, das von Sportverein, Tanzverein und Kirchengemeinde zusammen genutzt wird und dann auch nicht Gemeindehaus heißen muss. Wir werden bis 2030 etwa 30 Prozent weniger Geld haben. Solche Kooperationen könnten uns finanziell deutlich entlasten, um weiter für die Menschen da zu sein und zugleich den Glauben vor Ort stärken. Ich halte das Wort Kooperation für einen Schlüsselbegriff.

Wie lange dauert es dann, bis der Schlüsselbegriff „Fusion“ fällt?
Cornelius-Bundschuh

Das halte ich nicht für ein Teufelswort und auch nicht für das Unwort des Jahres. Wenn das Wort Fusion aber dazu führt, dass wir nur über Unterschiede der Landeskirchen reden, dann spreche ich lieber über Kooperationen. Wann das im nächsten Schritt zur evangelischen Kirchen Baden-Württemberg führt, kann ich nicht sagen. Aber es wird vermutlich nicht 200 Jahre dauern.

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