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Landeskongress Gesundheit

Wie muss unser Gesundheitssystem in Zeiten des Klimawandels aussehen?

Die Klimakrise betrifft unser Gesundheitssystem in doppelter Hinsicht: Zum einen beeinflusst die Erderwärmung negativ das Wohlergehen der Menschen. Zum anderen sind Kliniken, Ärzte und Arzneimittelhersteller selbst für einen großen Teil der klimaschädlichen Emissionen verantwortlich.

Als Faktor für Klimaveränderungen oft unterschätzt: Einrichtungen des Gesundheitswesens wie das Klinikum Karlsruhe haben oft große ökologische Fußabdrücke.
Als Faktor für Klimaveränderungen oft unterschätzt: Einrichtungen des Gesundheitswesens wie große Krankenhäuser (hier Klinikum Karlsruhe) haben oft auch große ökologische Fußabdrücke. Foto: pr/Klinikum Karlsruhe

Die Corona-Pandemie hat das Problem des Klimawandels zuletzt etwas in den Hintergrund gerückt. Vielen Medizinern macht das große Sorgen. Sie argumentieren, dass sich die Erderwärmung und Zerstörung der Natur zur größten gesundheitlichen Bedrohung des 21. Jahrhunderts entwickeln und dass dagegen im Unterschied zu Sars-CoV-2 keine Impfungen oder Pillen helfen werden.

Der Landeskongress Gesundheit Baden-Württemberg griff am Freitag diese Problematik auf. Die teils digitale und prominent besetzte Tagung appellierte an die Ärzteschaft, zur schwersten Herausforderung der Menschheit klar Stellung zu beziehen und damit „Mutter Erde auf der Intensivstation“ zu helfen.

Die globale Klimakrise betrifft das Gesundheitssystem in doppelter Hinsicht: Zum einen sind ihre Auswirkungen auf das Wohlergehen der Menschen bereits heute im ärztlichen Behandlungsalltag spürbar. Zum anderen ist der Gesundheitssektor als eine der größten Branchen für einen Teil der klimaschädlichen Emissionen selbst verantwortlich.

Defizite bei der Energieeffizienz von Kliniken

Nach Angaben des Ravensburger Finanzexperten Jan-Marc Hodek beträgt die Energiebilanz eines durchschnittlichen Krankenhauses in Deutschland eine Million Euro im Jahr. Pro Krankenbett sei so viel Energie notwendig wie für mehrere Privathäuser, rechnete der Gesundheitsökonom auf dem Landeskongress vor. Die Politik investiere viel zu wenig in die Energieeffizienz der Kliniken, kritisierte Hodek. „Baden-Württemberg stellt 450 Millionen Euro an Fördermitteln bereit, man braucht aber das Doppelte davon“, sagte er.

Ein anderer Aspekt der schlechten Ökobilanz der Gesundheit in Deutschland sei die medizinische Überversorgung, hieß es auf der Online-Tagung. „Die Medikamente machen beispielsweise 20 Prozent der CO2-Emissionen im Gesundheitswesen aus“, sagte Alina Herrmann, Ärztin und Forscherin am Universitätsklinikum Heidelberg. „Es wird zu viel verschrieben, später müssen dann die ungenutzten Arzneimittel jedoch entsorgt werden. Wir sollten daher diskutieren, ob das sinnvoll ist.“

Mediziner warnen vor Überversorgung

Ein großes Einsparpotenzial gebe es auch bei der modernen Diagnostik, die bei zu vielen Behandlungen eingefordert werde. Den wenigsten Patienten sei dabei klar, dass eine Magnetresonanztomographie (MRT) zwischen 200 und 300 Kilogramm CO2 erzeuge, stellte Herrmann klar. Die Ärzte sollten darüber besser informieren und sich mehr Zeit für Beratungsgespräche nehmen, findet sie.

Die Hitze-Beraterin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlägt Alarm: Die häufiger auftretenden Hitzewellen in Deutschland forderten jeweils 5.000 bis 7.000 Todesfälle, zudem gebe es in dem wärmeren Klima eine Verschiebung der Allergie-Saison: „Die Symptome treten teilweise schon im Januar auf.“

Mit jeder Art, die stirbt, machen wir ein Loch in das Netz des Lebens, das uns trägt.
Eckart von Hirschhausen, Arzt, Buchautor und Kabarettist

Vor einem „medizinischen Klima-Notfall“ warnte auf dem Kongress der bekannte Arzt, Buchautor und Kabarettist Eckart von Hirschhausen. „Man hat oft gedacht: Das ist alles weit weg. Aber Deutschland gehört zu den durch die Erderwärmung am stärksten betroffenen Ländern“, sagte der Fachmann. „Die Haut unserer Erde – die Atmosphäre – ist eine ganz feine Struktur, die man mit dem Auto in fünf Minuten durchqueren könnte. Es ist ein Verbrechen, sie weiter als Mülldeponie zu missbrauchen“.

Bekannte Kinderlieder wie „Alle Vögel sind schon da“ und „Summ, Bienchen“ hätten keinen Sinn mehr, weil der Mensch die Natur zerstöre, beklagt von Hirschhausen. „Mit jeder Art, die stirbt, machen wir ein Loch in das Netz des Lebens, das uns trägt.“ Die Menschheit habe nur noch zehn Jahre Zeit, um die „nächsten 10.000 Jahre für unsere Nachkommen erträglich zu machen“, stellte der Arzt fest und rief seinen Kollegen zu: „Macht den Mund auf!“

Die Zoonosen werden zunehmen

Mit Blick auf die Corona-Pandemie beschäftigte sich der Landeskongress intensiv mit Zoonosen-Infektionskrankheiten, die von Tier zu Mensch und umgekehrt übertragen werden. Die Evolutionsökologin Simone Sommer sieht einen klaren Zusammenhang zwischen immer tieferen Eingriffen in die Lebensräume der Tiere und der Zunahme an solchen Erkrankungen. „Das Problem ist menschgemacht.“ Etwa 30 Prozent der zoonosischen Virenausbrüche seien auf Entwaldung zurückzuführen, sagte sie, wobei die potenziell gefährlichsten Wirtstiere die Fledermäuse seien.

Sie stehen wohl auch hinter dem globalen Ausbruch von Sars-CoV-2: Laut Robert Beyer vom Potsdamer Institut für Klimaforschung legen die gesammelten genetischen Daten diese Vermutung nahe. In der Grenzregion zwischen Myanmar, Laos und China lebten heute 40 Fledermausarten mehr als früher, berichtete der Wissenschaftler. „Das ist durch den Klimawandel bedingt, der die globale Artenverteilung verändert. Dadurch überschneiden sich zunehmend die Verteilungsgebiete, was die Übertragung von Pathogenen erleichtert“. Beyer rechnet mit einem starken Anstieg der Zahl der neuen Säugetierkontakte in Asien und Afrika bis 2070. Das werde zu mehr Zoonosen führen, sagt er voraus.

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