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Noten der umstrittenen Klausur liegen vor

Wie schlecht ist das Mathe-Abi im Land ausgefallen?

Sofort nach der Abi-Klausur in Mathematik protestierten Prüflinge in Baden-Württemberg - weil die Aufgaben „zu schwierig” waren. Die Noten überraschen nun so manchen.

Corona-Schutzmaske mit aufgesticktem Schriftzug „Abi 2020” liegt auf einem Tisch.
Schwierige Rahmenbedingungen, zu schwierige Mathe-Aufgaben? Viele Prüflinge und ihre Eltern beschwerten sich über die Abitur-Klausur im Corona-Krisenjahr. Verwirrend und zu anspruchsvoll seien die Aufgaben gewesen. Von ihren Noten sind manche Abiturienten nun schwer enttäuscht, andere positiv überrascht. Foto: Rolf Vennenbernd

Harte Kritik hagelte es nach dem schriftlichen Mathe-Abitur im Mai: „Viel zu schwer“ und „unfair“ sei die Klausur im Corona-Krisenjahr, so schimpften viele Prüflinge. Vor allem Analysis, darunter die sogenannte „Palmen-Aufgabe“, hatte etliche von ihnen verwirrt oder gar verzweifeln lassen.

Tausende unterzeichneten eine Online-Petition und forderten einen Notenbonus, noch ehe die Lehrer mit dem Korrigieren begonnen hatten. Eltern protestierten bei Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU).

Nun haben die Abiturienten ihre Ergebnisse erhalten. Sind die Mathe-Noten wirklich so schlecht ausgefallen? Eine landesweite Statistik gibt es noch nicht. Die Antworten der Abiturienten und ihre Gefühlslagen sind höchst unterschiedlich, wie eine Stichproben-Umfrage der Badischen Neuesten Nachrichten in der Region ergab.

Eine freudige Überraschung erlebte zum Beispiel Franziska. Satte 13 Notenpunkte hat sie geerntet – das entspricht einer Eins minus. Sie hat sich damit im vermeintlichen Katastrophen-Abi sogar noch ein bisschen verbessert. „Ich hatte in Mathe im Schnitt zwölf Punkte, mit dem Anspruch bin ich in die Prüfung, ich habe recht viel gelernt und geübt vorher, habe mich sicher gefühlt“, erzählt die junge Frau.

„Von der berühmt-berüchtigten Palmen-Aufgabe war ich dann sehr überrascht und habe Zeitprobleme bekommen.“ Die Abi-Klausuren früherer Jahrgänge habe sie beim Üben dagegen immer zügig gelöst, betont Franziska und bestätigt damit den Ausnahmecharakter der diesjährigen Prüfung - auch wenn das Ganze für sie gut ausgegangen ist.

Ein ganzer Karlsruher Mathe-Kurs ist „abgerutscht”

Niedergeschmettert kamen hingegen die Karlsruher Abiturienten Florian und Lena (Namen geändert) von der Noten-Bekanntgabe nach Hause. Nur für ein „schwach Ausreichend“ mit vier Notenpunkten und ein „Befriedigend“mit acht Notenpunkten hat es gereicht – das bedeutet ein Abrutschen von drei bis vier Notenpunkten.

„Normalerweise schreibe ich immer elf oder zwölf Punkte“, sagt Lena. Die Prüfungssituation sei einfach komisch gewesen.Und die Aufgaben seien von den Standard-Übungen im Unterricht abgewichen. Andere Prüflinge aus dem Raum Karlsruhe berichten, ihr ganzer Mathe-Kurs sei „um mindestens drei Notenpunkte abgeschmiert“.

Maries Klausur-Ergebnis lautet: fünf Notenpunkte, Ausreichend– aber sie ist trotzdem bester Laune. Ähnlich wie ihre Freundinnen, die teilweise weniger Punkte einheimsten. „Viele von uns dachten nach der schwierigen Klausur, wir hätten null oder höchstens einen Punkt“, erzählt Marie fröhlich. „Wir waren am Prüfungstag wirklich empört. Nun ist es besser ausgefallen als befürchtet.“

Eltern protestierten - der Sohn erntet die Note 1,0 im Mathe-Abitur

Eine spezielle Gefühlslage herrscht bei einer Familie im BNN-Verbreitungsgebiet, die die Protestaktionen gegen das „unfaire“ Mathe-Abi inbrünstig unterstützt hatte – und deren Sprössling nun 14 Notenpunkte nach Hause brachte: eine glatte 1,0. „Ja, zufrieden ist er jetzt schon“, verkünden die Erziehungsberechtigten des Mathe-Cracks.

Wer ist nun repräsentativ fürs Abitur 2020? Die stabilen Einser-Schüler, die Enttäuschten oder Gelassenen? Bewegen sich die Abweichungen im Bereich des Normalen - oder gibt es nun erst recht einen Grund, nach einem Notenbonus zu rufen? Bremen und Sachsen haben bei ihrem Mathe-Abi die Korrekturen ja nach oben angepasst.

Das Stuttgarter Kultusministerium allerdings sieht aktuell keine Auffälligkeiten. „Wir haben uns einen ersten Überblick verschafft: Bislang deutet alles darauf hin, dass sich der Schnitt des Mathematikabiturs im üblichen Rahmen der vergangenen Jahre bewegen wird“, teilt Eisenmanns Sprecherin auf BNN-Anfrage mit. „Es liegen uns und den Schulbehörden auch keinerlei Problemanzeigen vor.“ Zugleich verweist sie darauf, dass die Endnoten der Abiturienten ja erst nach dem mündlichen Abitur, das am 20. Juli beginnt, vorliegen.

Lehrer: Der Spielraum ist bei der Abitur-Korrektur gering

Die ganze Notenskala deckte der Kurs eines nordbadischen Mathematik-Lehrers ab, wie er im BNN-Gespräch berichtet: „Ich musste einmal null Punkte verteilen, aber durfte einmal auch 15 Notenpunkte geben.“ Im Vergleich mit den Zeugnisnoten sei der Durchschnitt des Mathe-Abis etwas schlechter ausgefallen. „Mein Kurs war um zwei Notenpunkte besser eingereicht“, sagt er. „Aber das ist eine übliche Abweichung, denn im Zeugnis zählen auch mündliche Noten und Zusatzleistungen.“

Schlechte Mathe-Schüler nützten häufig die Chance, mit einem Zusatzreferat ihre Mathe-Zeugnisnote aufzubessern. Das diesjährige Mathe-Abi liege an seiner Schule „völlig im Rahmen“, beteuert der Oberstufen-Lehrer.

Und wie es mit dem häufig zitierten „pädagogischen Spielraum“ aussieht, den die Lehrer laut Ministerin Eisenmann nutzen sollten? Der sei in Mathe sehr klein, sagt der Profi: „Die Gesamtpunkte für eine Aufgabe sind klar vorgegeben, daran können wir nichts ändern. Wir können nur Teilaspekte anders gewichten.“

Ein Beispiel: Statt vier Punkte gleichmäßig auf vier Teilaspekte zu verteilen, könnten zwei Teile mit je 1,5 Punkten und zwei andere mit jeweils 0,5 Punkten bewertet werden. Wenn Basiswissen dann höher honoriert werde als schwierige Aspekte, komme dies den Schwächeren zugute: „Das ergibt aber maximal zwei Notenpunkte mehr, selbst wenn wir sehr positiv bewerten.“

Elternbeirat: Kritik am alten Kurssystem

Dass das Land noch nachträglich einen Bonus verteilt, daran glaubt Matthias Hutter nicht. Der Philippsburger Elternbeiratsvorsitzende hatte für sein Gymnasium im Mai einen Protestbrief an Eisenmann mitinitiiert. „Ich gehe davon aus, das Ding ist gelaufen“, sagt er.

Die Ministerin hat ihm erst vor wenigen Tagen geantwortet. Eines ihrer Kernargumente: Das Mathe-Abi sei zum Teil mit Wissen aus der zehnten Klasse zu lösen gewesen. Hutter steht immer noch zur Kritik am Abi, selbst wenn sich bestätigen sollte, dass das Endergebnis nicht dramatisch ist.

Dass sogar sehr gute Mathe-Schüler bei der Prüfung verunsichert waren, liegt für ihn auch in einem Systemfehler begründet. „Alle Schüler saßen im selben Kurs, gute und schlechte“, gibt Hutter zu bedenken. „Mitunter werden sie in der Prüfung erstmals mit Aufgaben in der Stärke konfrontiert.“ Beim nächsten Abitur-Jahrgang sieht das anders aus: Für diese Schüler gilt wieder das Leistungskurs-Prinzip. Die Mathe-Talente können sich dann eher unter Gleichgesinnten ausleben.

Ab 2021 leben faule Abiturienten gefährlicher

Und noch etwas ändert sich: Weniger begabte und faule Abiturienten leben gefährlicher. Wer in einem Prüfungsfach null Punkte holt,fällt durchs Abi. Das ist auch einer 18-Jährigen aus dem Raum Karlsruhe bewusst, die in der aktuellen Abi-Klausur ein „Mangelhaft“ mit nur einem Notenpunkt erreichte. Ihrer jüngeren Schwester erklärte sie daraufhin: „Du musst besser aufpassen. Du darfst nicht riskieren, dass du auf null Punkte rutschst.“

Was manche Eltern und Außenstehende vermutlich nicht wissen: Um überhaupt einen Notenpunkt zu ergattern, müssen die Schüler gut ein Sechstel der Mathe-Aufgaben richtig lösen. 60 Aufgabenpunkte kann man maximal bei einer Abi-Klausur erreichen – erst ab 11 Punkten gibt es überhaupt einen Notenpunkt.

Umgekehrt ist an der Spitze der Notentabelle immer ein Puffer eingebaut: Für 51 von 60 Klausurpunkten gibt es noch eine Eins minus (13 Notenpunkte). Daher konnten sich sehr gute Schüler notfalls auch leisten, dass sie an der „Palmen-Aufgabe“, bei der es um eine Integralrechnung ging, scheiterten.

Gelassen kommentiert die Mutter das Ein-Punkte-„Mangelhaft“ ihrer Tochter: „Sie ist in anderen Fächern so gut, dass wir das entspannt sehen.“ Mathe sei nie die große Stärke des Nachwuchses gewesen. Ob es an der Klausur lag oder an der Tagesform der Abiturientin, dass nicht zumindest eine Ehren-Vier drin war? Da will die Familie gar nicht mehr nachkarten.

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