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Blick ins Jahr 2030

Zukunftsforscher: Corona wird die große Wende bringen

Die Corona-Pandemie sei der „Eröffner“ einer neuen historischen Phase, in der sich das entschleunigte Leben der Menschen viel mehr im Einklang mit der Umwelt befinden werde, glaubt der Gründer des Zukunftsinstituts in Frankfurt.

Vergleicht den Verbrennermotor im Jahr 2030 mit dem Dreirad: Trendforscher und Autor Matthias Horx sagt der Welt eine neue Mobilität mit Elektroantrieb und Brennstoffzelle voraus.
Vergleicht den Verbrennermotor im Jahr 2030 mit dem Dreirad: Trendforscher und Autor Matthias Horx sagt der Welt eine neue Mobilität mit Elektroantrieb und Brennstoffzelle voraus. Foto: Gregor Fischer picture alliance/dpa

Nach der Corona-Pandemie wird es weltweit eine großen Wende hin zu einer „Ökologisierung“ des Lebensstils geben, ist der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx überzeugt.

Im Interview mit unserem Redaktionsmitglied Alexei Makartsev wirft der Begründer des Frankfurter Zukunftsinstituts einen Blick ins Jahr 2030. 

Horx glaubt, dass sich das Berufsleben, Freizeit, Ernährung und Mobilität bis zum Ende des Jahrzehnts teils erheblich wandeln werden. 

Corona hat binnen eines Jahres unser Leben auf den Kopf gestellt, den Alltag entschleunigt, die Umgangs- und Arbeitsformen verändert, Freizeitinteressen verschoben und manche Werte auf den Prüfstand gestellt. Kommt in Zukunft die „Normalität“ der Vergangenheit aus der Vor-Pandemie-Zeit zurück oder haben wir sie verloren?
Matthias Horx

Solche Ereignisse sind wie echte Krisen im privaten Leben: Sie verändern uns grundlegend und auf Dauer, entweder in Richtung Elend oder in Richtung Neuerfindung. Wir sind mitten in einem Veränderungsprozess, der die ganze Gesellschaft, die Wertsysteme, die gesellschaftlichen „Verhältnisse“, auch die Alltagsformen umpflügt. Solche Veränderungen können auch in einem fruchtbaren Sinne sein, und so empfinden es viele Menschen. Kurz gesagt: Wir sind alle in Bewegung in eine neue Welt.

Welche wichtigen, pandemiebedingten Veränderungen, die für uns heute neu und ungewohnt sind, werden unser Leben im Jahr 2030 selbstverständlich begleiten?
Horx

Wir sind durch Corona in einem neuen pandemischen Zeitalter aufgewacht. Das heißt nicht, dass es dauernd Lockdowns und neue Keime geben wird, und wir in Ganzkörpermasken herumlaufen. Aber die Realität ist: Wir kommen aus der Natur nicht raus. Wir stehen in diesem Jahrzehnt vor einer großen Wende, vor einer generellen Ökologisierung unseres Lebensstils, die vielleicht die größte Herausforderung der Menschheit ist. Corona war der „Eröffner“ dieser historischen Phase, in der sich unsere Zivilisation entflechten und bis zu einem gewissen Teil auch entschleunigen muss.

Die Pandemie hat Arbeitnehmern wie Unternehmen gezeigt, dass man nicht unbedingt ins Büro gehen muss, um seine beruflichen Aufgaben zu erfüllen. Welchen Stellenwert und produktiven Anteil wird die Arbeit im Homeoffice in zehn Jahren für uns haben, deren Durchbruch sich abzeichnet?
Horx

In zehn Jahren werden wir in einer postindustriellen Arbeitswelt leben, in der die zwei großen Achsen unserer heutigen Arbeitskultur - Präsenz und Stundenlohn und 8-Stunden-Tag - keine große Rolle mehr spielen. Die Tendenz dazu war ja auch schon vor Corona da. Das heißt nicht, dass wir „alle immer“ im Homeoffice arbeiten werden, das geht schon deshalb nicht, weil es auch viele Arbeitsformen gibt, die nicht per Bildschirm funktionieren. Es wird vielmehr eine Vielzahl von Arbeitskombinationen und eine noch größere Vielfalt von Berufen und Arbeitsbiografien geben.

Es wird heute noch viel über die technologischen Grenzen der beruflichen Leistungsfähigkeit geklagt, weil die Technik nicht mitspielt oder die Leitungen zu langsam sind. Wie wird die Digitalisierung unsere Arbeitswelt in diesem Jahrzehnt noch verändern?
Horx

Die „Verflüssigung“ von Arbeit ist nicht ausschließlich von Leitungsproblemen abhängig. Der Autoverkehr fließt ja auch, obwohl es Baustellen und Staus gibt. Sie ist eine Frage des intelligenten Designs.

Heute gibt es weder Kino noch Theater, Barbesuche, Diskos oder Museen. Manches wird nach der Corona-Entbehrungszeit wiederkommen, dennoch: Könnten sich unsere Freizeitinteressen bis 2030 so stark verändern, dass wir staunend auf dieses Jahr zurückblicken werden?
Horx

Schon aus heutiger Sicht erscheinen ja „Freizeitaktivitäten“ als ziemlich absurd, die wir früher als selbstverständlich erachteten. Après-Ski-Saufen zum Beispiel. Oder permanentes Clubbing. Pandemien haben immer die „Sitten und Gebräuche“ verändert, im Sinne von mehr „Vornehmheit“. Vorsicht plus Stil.

In wenigen anderen Bereichen hat sich zuletzt so viel getan wie in der Raumfahrt. Schon vor Jahren gab es Diskussionen über touristische Ausflüge in den Erdorbit und Forschungsreisen auf andere Planeten. Wird das Leben von Menschen außerhalb der Erde in zehn Jahren normal sein?
Horx

Nein, das ist ein sehr, sehr großer Schritt, der noch längere Zeit beanspruchen wird. Vielleicht Ende dieses Jahrhunderts. Aber menschliches Leben auf anderen Planeten ist auch keine Lösung für die Hausaufgaben, die wir „irdisch“ zu machen haben. Wenn man wissen will, wie das aussieht, empfehle ich die tolle Science-Fiction-Serie „Expanse“ bei Amazon Prime. Da wird ein Szenario geschildert, wie die Menschheit die inneren Planeten besiedelt.

Die E-Fahrzeuge werden immer populärer, wird der Benziner in zehn Jahren auf der Straße ein Exot sein?
Horx

Allerdings, weil der Verbrennungsmotor angesichts der schnellen Veränderungen der E- Mobilität dann ziemlich alt aussehen wird. So, als würde man mit einem Dreirad herumfahren. Es wird dann allerdings schon Brennstoffzellenautos in größerer Anzahl geben.

Es ist ein Jahrhundertprojekt, im Kampf gegen den Klimawandel die Erwärmung der Erde abzubremsen. Wo werden wir in zehn Jahren stehen?
Horx

In zehn Jahren wird sich entschieden haben, ob wir das schaffen. Und wir werden es schaffen.

Fitnesstracker und Apps, die Schlafqualität messen, sind im Trend. Gesundheitsdaten werden gesammelt, ausgewertet und gehandelt. Wird es dazu führen, dass wir in Zukunft in der Masse gesünder und länger leben werden?
Horx

Dazu braucht es zusätzlich noch gewaltige Veränderungen in der Mentalität unserer Lebensweise. Gesundes Leben ist immer noch das Privileg einer - wenn auch großen - Minderheit. Mit Apps und Trackern lässt sich das nicht lösen, nur mit höherer Bildung.

Das Essen auf dem Teller soll heute für viele bio, regional, nachhaltig und gesund sein. Wird Fastfood und Tiefkühlkost bis 2030 aus unseren Küchen verschwinden – oder wird die Bequemlichkeit Widerstand leisten?
Horx

Beides. Aber die Richtung, die jetzt in der Corona-Krise sichtbar wird - weniger Fleisch, mehr Bio, mehr Bewusstsein - wird sich weiter verstärken.

Natürlichkeit gehört zum heutigen Schönheitsideal. Gleichzeitig gibt es aber viele Möglichkeiten, das natürliche Altern äußerlich aufzuhalten. Die Schönheitsindustrie verspricht mit Cremes Wunder für die Haut. Was wird im Jahr 2030 als schön gelten?
Horx

Meine These ist, dass diese sehr übertriebenen Hoffnungen, die wir in Bezug auf die Wirksamkeit von Konsumprodukten hatten, sich mit Corona als das erwiesen haben, was sie sind: Illusionen. Das heißt nicht, dass manche Menschen nicht immer noch diesen Illusionen anhängen werden. Aber es ist nicht mehr so wichtig. Viele Menschen sind heute mit Existenziellerem beschäftigt.

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