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50.000 Menschen

Rammsteins Feuer-Show in Stuttgart: Menschen riefen bei der Feuerwehr an

Rammstein ist für seine große Feuer-Show bekannt – doch die hat in Stuttgart manchen Bürger irritiert. Rückblick auf ein denkwürdiges und groß angelegtes Konzert.

Feuer in alle Richtungen: Sänger Till Lindemann ließ sich zum Pyrotechniker ausbilden.
Feuer in alle Richtungen: Sänger Till Lindemann ließ sich zum Pyrotechniker ausbilden. Foto: Sebastian Raviol

Wenn Rammstein kommt, brennt es. 90 Trucks rücken an, 1.350 Tonnen Material, eine 60 Meter breite und bis zu 36 Meter hohe Bühne. Dann steht die Kulisse, die einer wüsten Industrielandschaft gleichkommt. Zu Rammsteins Liedern gehören Feuer, Feuerwerk, Knall.

Beim Konzert am Freitagabend zogen Rauchschwaden über den Cannstatter Wasen. Mehrere Bürger haben irritiert den Notruf gewählt, wie die Feuerwehr Stuttgart auf Anfrage unserer Redaktion bestätigt.

Es ist diese Art von Show, die am Freitag und Samstag je 50.000 Menschen auf den Wasen lockte. Die international erfolgreichste deutsche Band hat sich seit ihrer Gründung 1994 immer weiter entwickelt: textlich, musikalisch, feuernd.

Die Frage ist, wann so eine Band an ihrem Höhepunkt angekommen ist. Eine größere Dimension als bei dieser Tour ist kaum vorstellbar. Vor allem aber gibt es immer wieder Gerüchte, die Bandmitglieder um Sänger Till Lindemann (59), die Gitarristen Paul Landers (57) und Richard Kruspe (54), Bassist Oliver Riedel (51), Schlagzeuger Christoph Schneider (56) und Keyboarder „Flake“ (55) möchten nicht als Rock-Opas enden und rechtzeitig aufhören.

Und so war das Konzert am Freitag in Stuttgart ein außergewöhnliches. Es könnte die letzte Station der Band in Baden-Württemberg gewesen sein. In jedem Fall war es die letzte Station dieser Tour im Südwesten, die nun nach Hamburg, Europa und Nordamerika führt.

Zu Beginn in Stuttgart auf dem Cannstatter Wasen zwei Lieder aus der Rammstein-DNA

Der Cannstatter Wasen also. „Nimm lieber zwei Packungen“, sagt eine Mitarbeiterin am Eingang und deutet auf die kostenlosen Ohrstöpsel. Kann nicht schaden. Vor dem Konzert ruft eine Frau: „Wir wollen die alten Männer nochmal tanzen sehen.“

Die alten Männer liefern. Es ist für Bands immer ein schmaler Grat: Wie viele Songs aus dem neuen Album spielen wir beim Konzert? Meist wollen die Fans doch die Klassiker hören. Rammstein führt in Stuttgart mit Feuerwerksmusik von Georg Friedrich Händel und zwei Songs vom neuen Album „Zeit“ ein: Zu „Armee der Tristen“ rollt Frontmann Lindemann sein „R“ ins Mikro: „Reih dich ein, wir wollen zusammen traurig sein.“

Es folgt mit „Zick Zack“ Kritik am gesellschaftlichen Schönheitswahn („Wer schön sein will, der muss auch leiden, aus- und weg- und abschneiden“). Zwei Lieder, brachial, kompromisslos, direkt aus der Rammstein-DNA, die die Frage, wie viel Neues es denn sein darf, schnell abhakten.

Feuer frei: Aufwendige Pyrotechnik ist einer der Hauptmerkmale der Rammstein-Show. Die Band verbraucht pro Auftritt etwa 1.000 Liter Treibstoff, wie ein Verantwortlicher einmal erklärte.
Aufwendige Pyrotechnik ist einer der Hauptmerkmale der Rammstein-Show. Die Band verbraucht pro Auftritt wohl etwa 1.000 Liter Treibstoff. Foto: Sebastian Raviol

Ein möglicher Abschied, dieser Elefant steht nun mal im Raum. Rammstein ignoriert ihn nicht, die Band führt ihn durch den Porzellanladen. Im Album „Zeit“ gehen sie auf viele Facetten der Vergänglichkeit ein. Eine Mischung aus nachdenklich, tieftraurig und dann plötzlich wuchtig. Gefühle, die auch live funktionieren.

Beim Lied „Zeit“ bekommen die Fans den vollen Zwiespalt zu hören: „Wenn unsre Zeit gekommen ist, dann ist es Zeit zu geh’n, aufhör’n, wenn’s am schönsten ist, die Uhren bleiben steh’n“. Aber auch: „Augenblick verweile doch, ich bin noch nicht bereit“. Rammstein lässt das lyrische Ich Abschiednehmen. Die Fans kennen das Spiel mit dem Unklaren, mit der Provokation. Und doch endet die Band in Stuttgart mit einem emotionalen Schlussmoment.

Rammstein-Sänger Lindemann setzt in Stuttgart einen ungewohnt emotionalen Schlussmoment

Doch vorher gibt es noch Klassiker („Du hast“, „Ich will“, „Sonne“) – und Show. Es sind nicht unbedingt gesangliche Höchstleistungen Lindemanns, die die Fans vor die Bühnen holen. Es ist die Wucht ihrer Auftritte. Frontmann Lindemann schiebt einen Kinderwagen auf die Bühne, der weitaus größer ist als er selbst.

Dann singt er davon, wie er einer Puppe den Kopf abreißt und setzt den Wagen mit einem Feuerwerfer in Flammen. Im Wahnsinn fühlen sie sich wohl. Bei dem Lied „Puppe“ geht es um eine Frau, die sich in der eigenen Wohnung prostituiert – Lindemann in der Rolle des Geschwisterchens, das alles mitbekommt und leidet.

Den emotionalen Schlussmoment setzen das Lied „Adieu“ („Ein letzes Lied, ein letzter Kuss, kein Wunder wird geschehen“) und Abschiedsworte, die die Fans so nicht gewohnt sind. Stuttgart, das war großartig, brummt Lindemann ins Mikrofon, er wiederholt es gar nochmal, und klopft sich auf die linke Brust.

Dann fahren die sechs Bandmitglieder mit einer Empore zwanzig Meter in die Höhe, verschwinden hinter einer Leinwand. Es ertönt ein letzter Knall. Die Frage nach der Zukunft nehmen die Fans mit nach Hause. Rammstein lebt Melancholie.

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