Skip to main content

„Salzburger Stier“

Spitze Hörner für spitze Zungen: Radio-Oscar fürs Kabarett im Tollhaus Karlsruhe verliehen

Nach langer Pause endlich wieder Live-Kabarett: An zwei Abenden im Tollhaus Karlsruhe wurde der „Salzburger Stier“ als Kabarettpreis der deutschsprachigen Radiosender an die Preisträger 2020 und 2021 überreicht.

Mann auf der Bühne im Tollhaus
Keine Scheu vor Schmerz im Scherz zeigt Moritz Neumeier auch im Tollhaus Karlsruhe. Dort wurde der als „Radio-Oscar“ geltende Kabarettpreises „Salzburger Stier“ an zwei Abenden an die dies- und letztjährigen Gewinner überreicht. Foto: Bernadette Fink

Der Salzburger Stier sei der erste Preis, der ihn wirklich stolz mache, sagt Moritz Neumeier bei der Preisträgergala im Karlsruher Tollhaus. Warum? „Weil er mir von Leuten verliehen wird, die bislang große Probleme damit hatten, das zu senden, was ich bei ihren Veranstaltungen sage.“

Der Salzburger Stier gilt als „Radio-Oscar“ fürs Kabarett, denn er ist der renommierteste Kabarettpreis deutschsprachiger Radiosender. Bei Radioveranstaltungen sei er schon mehrfach aufgetreten, so Neumeier, aber aus der Aufzeichnung meist herausgeschnitten worden.

Und er gibt zu: „Wenn man von dem, was ich sage, den Humor abzieht, dann ist es einfach eine Aneinanderreihung furchtbarer Sachen.“ Da der Humor aber nicht weggestrichen ist, kann Neumeier erfreut kommentieren: „Ich liebe das Geräusch, wenn niemand lachen will, einige es aber doch müssen.“

Ich liebe das Geräusch, wenn niemand lachen will, einige es aber doch müssen.
Moritz Neumeier, Kabarettist

Möglich war dieses Geräusch, weil die seit langem anvisierte Preisgala, die 2020 komplett ausfallen musste, nun tatsächlich vor Publikum stattfinden konnte. Dass dies bei der 40. Vergabe des Preises möglich war, freute auch Moderatorin Nessi Tausendschön.

Sie streute mit ihrer Band kleine Songperlen zwischen die Auftritte und bewies, dass sie auch 21 Jahre nach ihrer eigenen Stier-Prämierung zur Spitze der Szene gehört.

„Salzburger Stier“ in Karlsruhe: Lachtränen im Publikum

Während bei Neumeier manches tatsächlich weh tut - etwa wenn er einen hinterrücks mit dem Thema des Kindesmissbrauchs in der katholischen Kirche konfrontiert -, bleibt bei der Schweizer Preisträgerin Sarah Stoll alles schön verdaulich. Sogar wenn sie die Entwicklung ihres Magen-Darm-Infekts auf einem Baritonhorn vertont.

Der österreichische Preisträger Thomas Stipsits hingegen schaut zwar so unschuldig drein, als rufe er gerade mit geheucheltem Mitleid „Is’ kaputt, gell?“ zu dem Nachbarn, dessen Swimmingpoolpumpe bei brütender Hitze versagt.

Aber mit den hinterfotzigen Alltagsszenen aus seinem Heimatdorf Stinatz, für das er als topmodern quasselnder Touristikbotschafter wirbt („wir in Österreich setten den Trend“), entlockt er dem auf Abstand gesetzten Publikum tatsächlich Lachtränen.

Auch Eröffnungsabend der Preisverleihung im Tollhaus Karlsruhe überzeugt

Nachzuhören sind Stoll und Stipsits am 28. August und am 4. September ab 23 Uhr auf SWR2 (der Beitrag von Neumeier wurde bereits am Auftrittsabend gesendet).

Am 7. und 14. August wird jeweils ab 23 Uhr der Eröffnungsabend mit den Preisträgern von 2020 gesendet. Auch dieser zeigt: Das oft totgesagte Kabarett lebt. Der Wiener Florian Scheuba zelebriert Varianten des Satzes „Warum eine Lüge keine Meinung ist“. Er lässt Trump politisch korrekt beschreiben: „charakterlich herausgefordert“ statt „Oarschloch“. Er lässt den österreichischen Bundeskanzler in Originalzitaten sich um Kopf und Kragen reden. „Anscheinend ist das im Regierungsprogramm, aber ich kenn’ mich da nicht im Detail aus.“

Der Titel von Sarah Bosettis Buch „Ich habe nichts gegen Frauen, Du Schlampe“ lässt ahnen, was ihr täglich an Hass entgegen schlägt. „Ich habe einen Ordner für die Mails, den ich ‚Gauland‘ genannt habe“, sagt sie und straft die frauenhassenden, menschenverachtenden Klemmbrüder in ihren daraus geformten Gedichten mit eiskalter Liebe.

Schmaler Grat zwischen Comedy und Kabarett

Die beiden für 2020 prämierten Schweizer kommen aus sehr unterschiedlichen Traditionen: der 35-jährige Poetry-Slammer Renato Kaiser und der 70-jährige Joachim Rittmeyer, Empfänger des „Ehrenstiers“. Kaiser untersucht Wörter wie Fleischvogel (zu deutsch Rindsroulade) und Sextäter auf ihren toxischen Inhalt und balanciert dabei geschickt auf dem schmalen Grat zwischen Comedy und Kabarett.

Rittmeyer dagegen kitzelt aus seinen Figuren die höchstmögliche Absurdität heraus. So gibt er einen Dichter zwischen Größenwahn und Trotteligkeit, der eine Lesung nutzt, um eine Privatfehde mit einer verflossenen Geliebten zu Ende zu bringen - gespielt mit einem traumwandlerischem Gespür für Timing.

nach oben Zurück zum Seitenanfang