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„Musik ist Leben“

Der Karlsruher Komponist Wolfgang Rihm wird 70

Wolfgang Rihm ist einer der größten Komponisten der Neuen Musik. Die Vielfalt seiner Werke ist gewaltig. So manches Stück schneiderte er Künstlern geradezu auf den Leib; als Lehrer prägte er viele inzwischen ebenfalls bekannte Komponisten.

Wolfgang Rihm
Großer Künstler mit Spieltrieb: Wolfgang Rihm zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart und wird am Sonntag 70 Jahre alt. 1952 kam er in Karlsruhe zur Welt und blieb seiner Geburtsstadt stets treu. Foto: Uli Deck/dpa

„Komponieren, das ist eigentlich ganz einfach, man muss nur die Töne weglassen, die einem nicht gefallen“, sagt Wolfgang Rihm, in Anlehnung an Claude Débussy. Doch Rihm ist keiner, der es sich einfach macht.

Eine Komposition sei ein neues Kunstgebilde, wie eine Skulptur, schrieb er einmal in einem Essay: „Ich bin ein Bildhauer, der das Material in die Hand nimmt und es zum Leben bringen muss.“

Am kommenden Sonntag, 13. März, wird Wolfgang Rihm 70 Jahre alt. 1952 kam er in Karlsruhe zur Welt und blieb seiner Geburtsstadt stets treu. Er zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Gegenwart. Sein Werk widerspricht der Vorstellung, dass Neue Musik von vornherein eine Zumutung sein müsse: Es ist zugänglich wie bewegend, mitunter düster und aggressiv, sehr komplex und sagenhaft vielseitig.

Sein Oeuvre ist ein schier unglaubliches Universum, das an die 600 Werke umfasst. Opern und große Orchesterwerke gehören ebenso dazu wie Kammermusik etwa für Violine und Klavier, Konzerte für Trompete, Horn, Cello sowie Musiktheater und Vokalstücke.

Jedes Werk hat ganz eigene Aussagekraft

Jedes einzelne Werk habe seine ganz eigene Aussagekraft, würdigte ihn der Dirigent und Pianist Christoph Eschenbach 2005 in einer Filmdokumentation. „Es ist nie etwas, das an der Oberfläche bleibt, es geht immer gleich in die Tiefe, in die Aussagekraft.“ Zugleich gebe es bei Rihm alle Kompositionselemente, die man sich nur vorstellen könne – von dramatischen zu ganz lyrischen Stücken. „Wolfgang Rihm ist einmalig, weil er eine ganz eigene Sprache hat – und sich in dieser Sprache immer wieder verwandelt“, sagt Eschenbach.

Schon mit elf Jahren macht Rihm die ersten Kompositionsversuche. Später studiert er, noch als Schüler, Komposition an der Hochschule für Musik (HfM) in Karlsruhe bei Eugen Werner Velte und geht dann nach Köln, um bei Karlheinz Stockhausen zu lernen.

Auch Wolfgang Fortner prägt sein späteres Schaffen, ebenso wie Luigi Nono. Rihm saugt alles auf und schreibt und schreibt. 1985 wird er Nachfolger seines einstigen Lehrers Velte als Professor für Komposition an der Karlsruher Musikhochschule. Als diese 2013 erweitert wurde, wurde ein großer Konzertsaal nach Rihm benannt.

Seinen Durchbruch feiert Rihm 1974 auf den Donaueschinger Musiktagen mit der Uraufführung des Orchesterstückes „Morphonie“. Spätestens jetzt kennt ihn jeder. Heute ist Rihm längst mit Preisen, Ruhm und Bewunderung überhäuft. Als 2017 die Hamburger Elbphilharmionie eröffnet wurde, gehörte eine Rihm-Uraufführung zum Programm.

Zu seinem 60. Geburtstag ehrte ihn seine Heimatstadt, indem sie die alle zwei Jahre stattfindenden Europäischen Kulturtage komplett ins Zeichen seines Schaffens stellte – eine Verbeugung sowohl vor dem großen Sohn der Stadt als auch vor der internationalen Strahlkraft seines Werks.

Die Begegnung mit der eigenen Endlichkeit ist mir seit frühester Jugend nichts Fremdes.
Wolfgang Rihm, Komponist

Vor Jahren bereits schwer erkrankt, zeigt sich Rihm lange schon mit einem Gehstock. Man sieht ihn mit einem um den Hals geschlungenen Schal seine Schüler begrüßen oder Ehrungen entgegennehmen. Bescheiden tritt er auf, sanft, ruhig. Und trotz der Krankheit lebensfroh. „Die Begegnung mit der eigenen Endlichkeit ist mir seit frühester Jugend nichts Fremdes“, sagt er.

„Musik ist ja selbst ein Phänomen, das vergeht. Jeder Ton vergeht. Jeder Mensch, der Musik schafft, geht mit dem Tod um, der zum Leben gehört.“

Sein Ruf ist nicht nur als Komponist legendär, sondern auch als Lehrer. „Er strahlt mit seiner beeindruckenden Künstlerpersönlichkeit von Karlsruhe aus in alle Himmelsrichtungen“, sagt Ulrich Wagner, Chordirektor am Badischen Staatstheater Karlsruhe.

HfM-Rektor Hartmut Höll nennt ihn eine wegbereitende und prägende, aber nie stilistisch einengende Künstlerpersönlichkeit. „Dank seiner unbeirrbaren Eigenständigkeit, seiner schier universalen Bildung und Weltoffenheit erschließt er nicht nur seinen Studierenden, sondern auch einem breiten Publikum neue Horizonte der Musik und verhandelt in seiner Musik existenzielle Fragen des Menschseins.“

Erfolgreiche Schülerinnen und Schüler

Zu Rihms Schülerinnen und Schülern gehören Größen wie die 2019 mit dem Internationalen Siemens-Musikpreis ausgezeichnete Rebecca Saunders, der 2021 das Karlsruher Festival „ZeitGenuss“ gewidmet war, die mit dem Siemens-Förderpreis ausgezeichneten Markus Hechtle und Márton Illés sowie der ebenfalls vielfach ausgezeichnete Jörg Widmann.

Rihm selbst hat zum eigenen Werk ein unprätentiöses Verhältnis, ein sich stets wandelndes. Manchmal sehe er die Qualität eines Stückes deutlich, dann wieder vernehme er nichts. „Es gibt Phasen, wo ich aus eben diesem Grund lange keine eigenen Stücke anhöre.“ Überhaupt „definiert“ er Musik für sich nicht, „denn ich bin ja an der Arbeit, sie hervorzubringen“, sagt er.

Jenseits der eigenen Kompositionen bedeute ihm bestehende und entstehende Musik sehr viel: „Schließlich ist sie meine Atmosphäre, die mich mit geistigem Sauerstoff versorgt.“

Service

Geburtstagskonzert mit dem SWR-Symphonieorchester am Donnerstag, 17. März, 20 Uhr, im Karlsruher Kulturzentrum Tollhaus.

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