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90 Gebiete werden untersucht

So soll das Endlager für den Atommüll gefunden werden

Ab dem Jahr 2050 soll deutscher Atommüll in einem Endlager verwahrt sein - und das gesichert für eine Million Jahre. Ein Bericht zeigt nun, welche Gegenden geologisch, ganz grundsätzlich, in Frage kämen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Es wird ein Endlager für insgesamt 1.900 Castoren gesucht.
Es wird ein Endlager für insgesamt 1.900 Castoren gesucht. Foto: Andreas Endermann dpa-avis

Für eine Gemeinde mit nicht einmal 1.000 Einwohnern ist Gorleben sehr bekannt. Gorleben steht für große Emotionen und eine dramatisch gescheiterte Suche nach einem Endlager für deutschen Atommüll. Im zweiten Anlauf soll nun alles besser werden.

90 Gebiete in Deutschland haben nach Erkenntnissen der Bundesgesellschaft für Endlagerung günstige geologische Voraussetzungen für ein Atommüll-Endlager. Der Salzstock Gorleben ist nicht darunter. Untersucht werden sollen nun auch Gebiete in Baden-Württemberg.

Warum braucht es ein Endlager?

In den Anfangsjahren der Atomkraft machten sich die Experten kaum Gedanken um die dauerhafte Entsorgung des Atommülls. Das Entsorgen im Meer wurde verboten, danach machten verschiedene Ansätze die Runde. Warum nicht den radioaktiven Müll ins Eis der Arktis einschmelzen oder ins All schießen? Gegenargumente waren für Ansatz 1 (Erderwärmung) und Ansatz 2 (Kosten, Risiko) schnell gefunden. Also wird ein Endlager gesucht: In Deutschland sollen 27.000 Kubikmeter aus 1.900 Castoren mehrere hundert Meter unter der Erde für eine Million Jahre sicher und durch Gestein geschützt lagern können. Es gilt, in diesem Zeitraum eventuelle Erdbeben, Meteoriten und Eiszeiten zu bedenken. Und künftige Generationen sollten 500 Jahre lang Zugriff auf die eingelagerten Behälter haben, falls es eine neue bessere Technologie zur Entsorgung der Stoffe gibt. Eine der Fragen ist, wie man das Wissen um den Standort an künftige Generationen sicher weitergibt.

Warum ist die erste Endlager-Suche gescheitert?

Am ersten Versuch mit Gorleben haften Enttäuschungen, eine der größten Protestkundgebungen Deutschlands und ein Untersuchungsausschuss. 1977 nennt der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht die Gemeinde als vorläufigen Standort für ein Endlager. Der Salzstock soll erkundet werden. Sechs Jahre darauf entscheidet der Bundestag, nur diesen Salzstock zu untersuchen. Nach großen Protesten werden die Erkundungsarbeiten für zehn Jahre ausgesetzt und 2013 endgültig abgebrochen. Ein Untersuchungsausschuss im Bundestag soll aufklären, ob die Entscheidung für Gorleben politisch motiviert war - die Parteien sind über das Ergebnis zerstritten. 2017 tritt ein neues Gesetz für die Endlager-Suche in Kraft. Der Standort soll nun ergebnisoffen gesucht werden, infrage kommen Regionen mit Steinsalz, Tongestein und Kristallingestein.

Wie sieht nun der zweite Versuch aus?

Die neue Suche soll nachvollziehbar und transparent sein. Die Verantwortlichen versprechen: Die Suche beginne wieder bei Null, die Landkarte sei weiß. Unter anderem beteiligt sind für Erkundungsarbeiten die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), für Öffentlichkeitsbeteiligung das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) und als Aufsicht ein Nationales Begleitgremium (NBG). „Der Vorgang ist weltweit einmalig”, sagt Base-Präsident Wolfram König. Es gibt festgelegte Kriterien, wonach Regionen als Standort infrage kommen oder ausgeschlossen werden. Welche das sind, zeigt ein Zwischenbericht, der am Montag vorgestellt wurde. Berücksichtigt man die Überlagerung einiger Gebiete, ist laut Bericht in Deutschland ein Anteil von 54 Prozent der Landesfläche als Teilgebiet ausgewiesen. Teilgebiete liegen etwa in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, aber auch in den ostdeutschen Ländern. Eine Vorfestlegung auf einen Standort ist damit aber noch längst nicht verbunden. Im zweiten Schritt wird die Suche engmaschiger: Gebiete werden übertägig erkundet, es folgen Erkundungsbohrungen und seismische Messungen. Immer mehr Standorte sollen so ausgeschlossen werden, ehe an mindestens zwei verbleibenden Orten Erkundungsbergwerke errichtet werden. Am Ende schlägt das BASE einen Standort vor, der Bundestag entscheidet. Während des laufenden Verfahrens gibt es Regionalkonferenzen, Bürger können Stellungnahmen einbringen und das Verfahren gerichtlich prüfen lassen.

Bis wann soll es eine Lösung geben?

Ein erster wichtiger Meilenstein wurde am Montag erreicht. Ein mehrere hundert Seiten starker Zwischenbericht zeigt, welche Regionen aufgrund ihrer geologischen Bedingungen ausscheiden und welche günstige geologische Voraussetzungen haben. Von Oktober diesen Jahres bis Juni 2021 gibt es dann vier Fachkonferenzen mit Bürgern, Wissenschaftlern, Vertretern aus Kommunen und Organisationen. Nach und nach werden Regionen ausgeschlossen, am Ende entscheidet der Bundestag. Bis zum Jahr 2031 soll der Standort fest stehen, bis 2050 das Endlager bezogen werden können. Den zeitlichen Rahmen bezeichnete aber selbst Base-Präsident als „sehr, sehr ehrgeiziges Ziel”.

Wer kommt für die Kosten auf?

Es gibt einen „Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung”. Die Energieversorger RWE, Eon, EnBW und Vattenfall haben um die 24 Milliarden Euro an den Fonds überwiesen und die Verantwortung für die Endlagerung damit an den Staat übertragen. Das Wirtschaftsministerium nannte mal 169 Milliarden Euro als Kostenrahmen für Zwischen- und Endlagerung. Durch Anlagen soll der Fonds anwachsen, war aufgrund von Negativzinsen aber schon um 71 Millionen Euro geschrumpft.

Was sagen Kritiker zum Such-Prozess?

„Dieses Verfahren wird seinen Ansprüchen nicht gerecht”, kritisiert Umweltaktivist Jochen Stay. Er sieht „die Gefahr, dass die Suche an die Wand gefahren wird” und fordert mehr Rechte für Betroffene. Die vorgesehenen Möglichkeiten der Öffentlichkeit halten Stay und die Anti-Atom-Organisation „ausgestrahlt” für eine Schein-Beteiligung. „Für die Menschen wird es nicht nachvollziehbar sein, warum ihr Ort in Frage kommt”, kündigt Angela Wolff von „ausgestrahlt” an. Zudem gebe es große Datenlücken bei der Bewertung der Regionen. „Da können Standorte ausscheiden, die besser geeignet wären als andere.” Spielräume könnten politisch genutzt werden. Vereinfacht gesagt, sehen die Kritiker die Gefahr eines zweiten Gorleben-Eklats. Auch aus der Politik gibt es Kritik. So kritisiert die FDP das Verfahren als intransparent. „Das ist eine Überraschungstüte“, sagte der baden-württembergische Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Was passiert mit den Zwischenlagern?

Zwischenlager sind aus Sicherheitsgründen nur für den Übergang gedacht, bis ein Endlager gefunden ist. Es gibt zentrale Zwischenlager in Gorleben und Ahaus, zudem dezentrale Zwischenlager. Dazu zählen die zwölf Lager, die an AKW-Standorte angegliedert sind – etwa in Philippsburg. Da frühestmöglich 2050 ein Endlager bezogen wird und alle Fristen der Zwischenlager zuvor auslaufen, wird es absehbar Verlängerungen geben müssen.

Welche Rolle spielt Philippsburg dabei?

In Philippsburg ist der Frust groß. „Mit dem Zwischenlager haben wir eine Last zu tragen. Das ist uns ganz anders versprochen worden“, sagt Bürgermeister Stefan Martus. Als Produktionsstandort hätte Philippsburg nicht auch Zwischenlager werden sollen, sagt er. Wenn man jetzt das Zwischenlager Philippsburg – bislang befristet bis 2047 – verlängert, breche man erneut ein Versprechen. Er klingt frustriert und möchte nicht einmal ausschließen, dass die Wahl für ein Endlager auf Philippsburg fällt: „Ich werde immer Hallo-Wach sein und würde nie etwas ausschließen.“

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