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Vater mit zwei Kindern.

Nach eineinhalb Jahren

Das erste Wiedersehen mit den Kindern: David will nie mehr ins Gefängnis

Ein Papa wird zu einer Gefängnis-Strafe verurteilt. Fast eineinhalb Jahre vergehen, bis David seine Kinder besuchen darf. Für zwei Tage und eine Nacht. Es sind ganz besondere Stunden.
von Linda Roth
5 Minuten
von Linda Roth
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David steht vor der Haustür und drückt die Klingel. Kurz Stille, dann ein Summen. Er öffnet, läuft die Treppen hinauf. Auf der Schwelle zur Wohnung stehen seine Kinder, strahlen, springen ihm in die Arme.

Papa ist zu Hause.

Am 13. November 2020 war David das letzte Mal hier. Es war ein Freitag, an den er sich noch genau erinnert, von dem er erzählen wird, als würde er ihn noch einmal erleben. Der Tag: ein Neuanfang, ein Ende oder Wendepunkt in Davids Leben, es kommt auf die Perspektive an.

Davids Geschichte ist auch die seiner Familie. Zum Schutz der Kinder nennen wir die echten Namen und Orte nicht.

13. November 2020

Es ist früh am Morgen an diesem Novembertag. Davids Freundin muss zur Arbeit, die Kinder müssen in den Kindergarten und zur Schule. David verabschiedet sich von ihnen, umarmt sie länger als an jedem anderen Tag.

Dann ist er alleine, fängt an, seine Tasche zu packen, legt Klamotten und Erinnerungen hinein. Geht auf den Balkon, raucht einen letzten Joint. Bläst den Rauch der Novembersonne entgegen. Jetzt muss auch er los.

David schlüpft in seine Schuhe, in die Jacke, greift nach der Tasche, ein letzter Blick nach hinten, dann zieht auch er die Haustüre hinter sich zu. Es ist der Tag seines Haftantritts.

Zuhause

Mehr als eineinhalb Jahre sind seitdem vergangen. David sitzt in der Küche seiner Wohnung und fühlt sich wie ein Gast. Fragt: „Kann ich etwas trinken“. Bekommt als Antwort: „Du weißt, wo alles steht“.

Er schaut sich um. Die Wände haben einen frischen Anstrich, seine Freundin hat neu dekoriert. In den Kinderzimmern hängen Fotos von David über den Betten. Sein Sohn und seine Tochter weichen ihm nicht von der Seite.

Papa ist wieder da, denken die Kinder. Papa muss auch wieder gehen, weiß David, wischt den Gedanken weg, will die Zeit nur genießen. Zwei Tage, dazwischen eine Nacht, darf er bleiben. Dann ist die Besuchszeit vorbei.

Auf dem Weg ins Gefängnis

David ist auf dem Weg zu seinem Vater, nach dem letzten Joint noch einen letzten Döner essen, bevor er am 13. November 2020 an der Pforte der JVA klingeln, durch die schwere Eisentüre treten und nicht mehr zurückblicken wird.

„Sei jetzt ein Mann“, hat seine Freundin am Abend davor zu ihm gesagt. Auf keinen Fall soll die Polizei ihn vor den Augen seiner Kinder abholen. Denn die war schon einmal bei ihnen zu Hause, weil er damals den gesetzten Hafttermin verstreichen ließ. Sie klopften an die Tür, schauten durch die Fenster. David versteckte sich damals. Die Polizei ging wieder. Aber sie würden erneut kommen und dann nur mit ihm wieder gehen.

Deshalb wird er an diesem 13. November 2020 in Haft gehen, gezwungenermaßen freiwillig.

Zuhause

David steht in der Küche und klopft Fleisch. Schnitzel mit Pommes, sein Lieblingsessen, bereitet er für sich und die Kinder zu.

Seine Freundin bleibt nicht zum Essen. Sie muss zur Arbeit und wird die Nacht bei einer Freundin verbringen. Ihre Arme waren bei der Begrüßung nicht so weit geöffnet, wie die der Kinder.

Die Justizvollzugsanstalt

Die JVA ist ein denkmalgeschützter Klinkerbau, wenige Gehminuten von dort entfernt, wo David seine frühe Kindheit verbrachte. Viele Male lief er vorbei, jetzt geht er hinein. Eine letzte Umarmung seines Vaters. Dann meldet er sich zum Haftantritt. Leert die Taschen, bekommt einen Waschbeutel. Ein Beamter bringt ihn in die Zelle. Die Türe fällt ins Schloss.

David schmeißt sich auf das Bett und weint.

Zuhause

Mit seinen Kindern sitzt David am Küchentisch, sie essen, unterhalten sich, machen Quatsch. Alles scheint wie immer zu sein.

Draußen dämmert der Tag. Die Kinder haben sich gewünscht, mit Papa zusammen in einem Bett zu schlafen, deshalb richten sie sich ein Schlaflager im Wohnzimmer. Die Kinder rangeln miteinander, wer näher an Papa liegen darf. Dann kuscheln sie sich beide an ihn, schauen einen Film und schlafen gemeinsam ein.

In der Justizvollzugsanstalt

In seiner Zelle liegt David auf dem Bett und schaut „NTV“. Das macht er den ganzen Tag und jeden Tag. Für ihn sind alle gleich. Immer die selben Bilder von der Corona-Krise, von der Lage im Ukraine-Krieg. Auch in der Welt da draußen scheinen die Tage sich zu gleichen.

Er hat Schuld. Natürlich hat nur er Schuld. Er war es, der ein Doppelleben führte. Sich vormittags mit seinen Kumpels am Platz traf, wo sie schon als Jugendliche abhingen. Während seine Freundin arbeitete und die Kinder im Kindergarten und der Schule waren, zockte er Sportwetten, kiffte und machte Geschäfte.

Es hätte ewig so weitergehen können. Doch im Februar 2020 hielt ihn die Polizei bei einer Fahrzeugkontrolle an. Ein Zufall.

Die Polizisten ließen seine Daten durch das System laufen, sahen, dass der Mann im teuren Sportwagen auf Bewährung war. Die Polizisten fanden in seiner Tasche zehn Gramm Koks.

David ist 32 Jahre alt. Es ist nicht seine erste Haftstrafe, aber die erste, seitdem er Vater ist. Die letzten Male saß er nur seine Lebenszeit ab. Jetzt sitzt er auch die seiner Kinder mit ab.

Zuhause

Es ist der nächste Morgen. David steht mit den Kindern im Badezimmer und putzt mit ihnen Zähne, hilft beim Anziehen, kämmt seiner Tochter die Haare. Dann macht er Frühstück, während die Kinder um ihn herumwuseln. Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, seine Freundin ist wieder zu Hause.

Ihr Kommen läutet sein Gehen ein, so war es abgemacht.

In der Justizvollzugsanstalt

Im Gefängnis hört David vom „Eltern-Kind-Projekt“ des „Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg“. Das Projekt ist die einzige Chance für ihn seine Kinder zu sehen, wenn auch nur auf dem Bildschirm eines Laptops, der hinter Glas steht. In der JVA herrschen strenge Corona-Regeln, eine davon: keine Besuche.

Einmal im Monat sieht David aus der Ferne seinen Kindern für eine Stunde beim Spielen zu, hört, wie sie singen und von ihrem Alltag erzählen, der nicht mehr seiner ist.

Sie fragen ihn: „Wo bist du, Papa?“ Bekommen als Antwort: „Im Krankenhaus“. Warum sie ihn denn nicht besuchen können, fragen die beiden weiter. „Wegen Corona“, sagt David. Eine Antwort, die sie oft zu hören bekommen, deshalb geben sie sich damit zufrieden.

Zuhause

Dass David seine Kinder sehen kann, hat er besonders seiner Freundin zu verdanken. Wie sie die Zeit als alleinerziehende Mutter und Frau, deren Partner im Gefängnis ist, erlebt, darüber möchte sie nicht sprechen. Selbst David weiß nicht, wie sie das alles hinbekommt.

Er rechnet ihr hoch an, dass sie immer den Kontakt zwischen ihm und den Kindern unterstützt hat, damit er für sie nicht zu einem Fremden wird.

Ein guter Vater und gleichzeitig ein Gangster zu sein, das geht nicht. Gute Väter sind bei ihren Kindern. Gangster früher oder später im Gefängnis. Diese Erkenntnis ist Davids Gamechanger. Er will da raus und nie mehr dahin zurück. Es soll das letzte Mal gewesen sein, dass die Sonne im Schachbrettmuster sein Körper bräunt, weil ihre Strahlen durch Gitterstäbe hindurch scheinen.

„Sinn des Lebens“, ist Davids Antwort auf die Frage, was es für ihn bedeutet, Papa zu sein. Er hat erst gemerkt, was er hatte, als es nicht mehr da war.

Eine Chance

Nach 15 Monaten im Gefängnis bekommt David die Chance, für den Rest seiner Haftzeit eine Drogentherapie in einer Klinik zu machen. Er führt sich dort gut und bekommt deshalb nach einiger Zeit das erste Mal Ausgang über Nacht.

Zurück in die Drogentherapie

Aber jetzt muss David wirklich los. Wenn er nicht pünktlich zurück in der Klinik ist, gilt die Therapie als abgebrochen und er muss zurück ins Gefängnis, so sind die Regeln.

Davids Tochter versucht sich ihre Schuhe anzuziehen. Sie will mit ihrem Papa mit. Die Vierjährige kann nicht verstehen, warum er wieder gehen muss, will nicht verstehen, dass sie nicht mit ihm gehen kann.

David kämpft mit der Situation, mit sich, gegen die Tränen, die bei ihm aufsteigen, während sie seiner Tochter schon über die Wangen laufen. Ihr Weinen und ihre Rufe nach Papa hört er bis auf die Straße. Und er hört sie auch noch, da sitzt er schon längst im Zug.

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