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Stefan Scherer ist „Tatort“-Forscher

Karlsruher Forscher haben untersucht, mit welchen Motiven Frauen im „Tatort“ morden

Es ist nicht nur der Klassiker Eifersucht: In mehr als 50 Jahren Tatort werden die Täterinnen vielschichtiger – und zahlreicher. Der Karlsruher Wissenschaftler Stefan Scherer klärt auf.

Portrait Stefan Scherer, Professor für Neuere Deutsche Literatur am KIT

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Genau hingeschaut: Der Karlsruher Germanistikprofessor Stefan Scherer hat die TV-Krimeireihe „Tatort“ wissenschaftlich analysiert. Foto: Martin Lober/KIT

Sonntagabends flimmern Mord und Totschlag über deutsche Bildschirme: Der „Tatort“ der ARD liefert seit mehr als 50 Jahren Spannung, Spurensuche und nach 90 Sendeminuten die Aufklärung eines Kapitalverbrechens. Aber nicht nur das: Die Sendereihe, die von den unterschiedlichen ARD-Anstalten produziert wird, widmet sich auch immer wieder aktuellen Themen.

Sie liefert damit auch ein Zeitbild der (west)deutschen Gegenwart von 1970 bis heute, ist sich der Karlsruher Tatort-Experte Stefan Scherer mit seinen Mitstreitern einig.

Gemeinsam mit Claudia Stockinger und Christian Hißnauer hat der Germanistikprofessor des KIT die Sendereihe wissenschaftlich analysiert. Daher weiß er auch vieles über die Täterinnen – obwohl sie nicht im Fokus der Untersuchung standen.

Nach einem Jahr „Tatort“ gibt erstmals eine Frau einen tödlichen Schuss ab

Etwa ein Jahr, nachdem die Reihe mit „Taxi nach Leipzig“ 1970 startete, lassen die Tatort-Macher erstmals eine Frau zur Pistole greifen und einen tödlichen Schuss abgeben. Erika Pluhar spielt in der elften Folge „Der Richter in Weiß“ , die im Oktober 1971 ausgestrahlt wird, die Ehefrau eines angesehenen Hamburger Chefarztes. Sie gerät schnell in den Verdacht, „im Eifersuchtswahn, aber aus Notwehr“, wie es Scherer formuliert, ihren Gatten getötet zu haben.

Nach Kommissar Trimmels Ermittlungen war es dann aber doch nicht das klassische weibliche Motiv Eifersucht, das im Tatort immer wieder eine Rolle spielt, sondern schlicht Habgier. In den Tatorten der 1970er Jahren ist dies gemäß der KIT-Untersuchung das Hauptmotiv: 24 Prozent der Fälle sind so begründet, egal ob von Täter oder Täterin begangen.

Beziehungstaten, die meist durch Eifersucht ausgelöst wurden, machen 13,5 Prozent der „Tatort“-Fälle der 1970er aus. Aber sie sind ein Dauerbrenner: In den 2000er Jahren stehen Beziehungstaten mit 15,7 Prozent an erster Stelle.

Bluttat einer Lehrerin führt zu Ermittlungen am Mummelsee

Die nächste mordende Frau ist lange nicht im Fokus des – erstmals agierenden – Baden-Badener Hauptkommissars Gerber vom SWF. In „Cherchez la Femme oder die Geister vom Mummelsee“ von 1973 muss er in einer Reisegruppe ermitteln, die im Schwarzwald unterwegs ist.

Am Ende findet er heraus, dass eine biedere Lehrerin eine Mitreisende in den See gestoßen hat und später auch den Reiseleiter erstochen hat. Ihr Motiv: Sie wollte verhindern, dass ihr Techtelmechtel mit dem Reiseleiter publik wurde, weil sie ihren Beamtinnenstatus in Gefahr sah.

Anteil der Frauen unter den „Tatort“-Tätern steigt über die Jahrzehnte langsam

Besonders groß ist der Anteil an Täterinnen im ersten Tatort-Jahrzehnt nicht: Nur 19,2 Prozent der Delikte gehen auf das Konto von Frauen, so die Studie von Scherer und seinen Kollegen.

Damit sind es aber noch mehr als in den Folgen der 1980er Jahre, als unter anderem Götz George als handfester Hauptkommissar Horst Schimanski zur Kultfigur wird: Da werden nur noch 13,2 Prozent der Taten von Frauen begangen.

Auf 14,4 Prozent steigt ihr Anteil in den 1990er Jahren nur wenig an. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 sind es mit 25,1 Prozent gut ein Viertel. Grundsätzlich sei für die Geschichten das Geschlecht der Person, die die Tat begeht, aber eher egal, meint Christian Hißnauer, der unter anderem die Zahlen erhoben hat.

Neue Motive: Frauen morden nun auch für die Karriere

Die Untersuchung ist seit 2013 abgeschlossen – fachkundige und interessierte Zuschauer sind Scherer und seine Kollegen freilich weiterhin. „Aus dem Bauch heraus“ schätzt Hißnauer den Anteil der weiblichen Täter heute auf rund 40 Prozent.

Ihre Motive seien vielfältiger geworden, es gehe eben nun nicht mehr vor allem um den klassischen Eifersuchtsmord, sondern auch mal ums Morden für die Karriere. So auch in der jüngsten SWR-Produktion „Videobeweis“ mit Ursina Lardi als vielschichtige Täterin – für Scherer definitiv ein Tatort, der im Gedächtnis bleiben wird.

Kim Tramell (Ursina Lardi) steht im Mittelpunkt der Ermittlungen der Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller, l) und Sebastian Bootz (Felix Klare) im SWR-Tatort "Videobeweis", der am 1. Januar 2022 in der ARD ausgestrahlt wurde.
Mörderin im Tatort: Ursina Lardi spielte in der jüngsten SWR-Produktion „Videobeweis“ die Täterin, die den Ermittlern Thorsten Lannert (Richy Müller, l) und Sebastian Bootz (Felix Klare) viel zu denken gibt. Foto: Benoit Linder picture alliance/dpa/SWR

Besonders bewegt hat seiner Erinnerung nach auch „Frau Bu lacht“ von 1995 mit den Ermittlern Leitmayr und Batic, die die Täterin nach Thailand fliehen lassen. Der Hintergrund: Der von ihr erschossene Ehemann hatte sich immer wieder an ihrer kleinen Tochter vergangen.

Auch in „Dinge, die noch zu tun sind“ (2012) lassen die Berliner Kommissare eine Mörderin unbehelligt, erinnert sich Scherer. Sie ist schwer krank und hat im Drogenmilieu mehrere Täter mit einer Überdosis ins Jenseits befördert, um ihre Töchter zu schützen.

Bestens in Erinnerung ist der Tatort-Fangemeinde eine sehr junge Täterin: Nastassja Kinski als Schülerin Sina im Tatort-Klassiker „Reifezeugnis“ von 1977.

ARCHIV - Nastassja Kinski als Schülerin Sina und Christian Quadflieg als Lehrer Helmut Fichte in einer Szene des «Tatort»-Krimis «Reifezeugnis» (Filmszene von 1977).
Unvergessen: Nastassja Kinski im „Tatort“-Klassiker „Reifezeugnis als Täterin die eine Liebesbeziehung mit ihrem Lehrer (Christian Quadflieg) hat. Foto: dpa

Sie erschlägt einen Mitschüler, der von ihrem Verhältnis zu ihrem Lehrer weiß und sie erpresst. Eines ihrer Motive ist also der Schutz eines persönlichen Geheimnisses – das in mehr als 50 Jahren Tatort von den Drehbuchschreibern immer wieder bemüht wird. Für Täterinnen ebenso wie für Täter.

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