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Punk-Pioniere

„The Lennons“ aus Pforzheim: Als löchrige Jeans noch für Protest standen

„The Lennons“ – so heißt eine deutsche Punk-Band, die 1981 in Pforzheim gegründet wurde. Die BNN haben die vier Urgesteine gefragt, wie sie das Lebensgefühl Punk, die Gesellschaft und die Entwicklung der Jugend beurteilen.

Vier Männer mit ihren Instrumenten
1981 gegründet, sind The Lennons aus Pforzheim eine der ältesten Punkrock-Bands aus Deutschland. (Von links) Helmut „Hallo“ Kuntschner, Gerhard „Razzo“ Michaelis, Michael P. Hermann, Michael „Wuschl“ Wurster. Foto: pf

Es ist acht Uhr abends in Pforzheim. Da, wo niemand einen Proberaum vermutet, greifen drei nicht mehr blutjunge Herren zur Gitarre, ein weiterer setzt sich ans Schlagzeug.

Er schlägt den Takt an, dann wird es laut. Begleitet von wilden Gitarrenriffs und furiosen Drums im Vier-Viertel-Takt schmettert Michael Hermann die mehr oder weniger blumigen Textzeilen von Songs wie „Leck mich am Arsch“, „Ein Pfund rohe Rinderleber“ und „Exzesse im Beinhaus“.

Die „Lennons“ proben für ihr wenig besinnliches Weihnachtskonzert im Pforzheimer Rock-Keller Sakrema.

Punk vor „Ärzten“ und „Hosen“

Band-„Papa“ Michael Hermann gründet die Lennons 1981. Zu der Zeit hat man weder „Ärzte“ noch „Hosen“ mit Musik verbunden. In den frühen 80er-Jahren gab es in Pforzheim noch eine lebendige Punk-Szene, die sich jedes Wochenende zu kleinen Festivals im Haus der Jugend versammelte. Oder im Jugendzentrum Schlauch. Oder der „Rumpelkammer“ in Brötzingen.

Früher kamen die Leute noch von weit her nach Pforzheim, auch aus Frankreich.
Michael „Wuschl“ Wurster, Bassist

Erst dieses Jahr haben die Lennons unter dem klanghaften Namen „Fuck“ einen limitierten Longplayer mit Aufnahmen ihres ersten Konzerts im Schlauch veröffentlicht. „Das war im März ’89“, erinnert sich Hermann, „da waren Cover und Plakate noch handgemalt“.

„Und da kamen die Leute noch von weit her nach Pforzheim, auch aus Frankreich“, ergänzt Bassist Michael „Wuschl“ Wurster. „’84 haben da auch die Ärzte gespielt, da hieß Bela B. noch Dirk Felsenheimer.“ Wurster erinnert sich genau, weil er damals im Schlauch seinen Zivildienst gemacht hat.

Vorbilder aus UK und USA

Die Inspiration der Lennons kam vornehmlich aus den USA und Großbritannien. „’79 hab’ ich die Band 999 (ebenfalls Punk-Veteranen, d. Red.) im Marquee Club in London gesehen“, erzählt Hermann. Auf der Bühne des Londoner Konzertsaals standen von 1958 bis 2008 etliche Stars, darunter auch die legendären Sex Pistols. Die Rolling Stones traten dort erstmals unter diesem Namen auf.

Der Name der Lennons ist angelehnt an die US-Punkband „Dead Kennedys“, erklärt Sänger Hermann. „1980 wurde John Lennon erschossen. Dann haben wir noch die Zielscheibe ins ’O’ von unserem Logo genommen, und das hat geholfen“, erklärt er die provokativen Absichten seiner Jugendtage mit einem schmunzeln.

Ohne Show geht nichts

„Udo Lindenberg hat uns dann gezeigt, dass das Ganze auch auf Deutsch geht.“ Und weil sich die Lennons darin einig waren, dass man nicht einfach in der Jeans-Hose ein Lied vorsingen kann, entwirft Hermann mit seiner Band eine „ultra-theatralische Show“.

„Mit viel Blut“, wie Gitarrist Helmut „Hallo“ Kuntschner erläutert. Und der in London angefertigten Hannibal-Lecter-Maske, die Hermann auf der Bühne trägt – „weil’s cool aussieht und das die einzige Maske ist, durch die Mann verständlich singen kann“.

Heute saufen wir lieber erst nach dem Konzert.
Michael P. Hermann, Gitarrist und Sänger

Die Zeiten haben sich geändert: Heute gibt es kein Schlauch mehr, keine Szene, die sich am Marktplatz trifft, wie sich Schlagzeuger Gerhard „Razzo“ Michaelis erinnert. Heute fällt in Hermanns Texten nicht mehr in jedem Satz ein Kraftausdruck. „Und heute saufen wir lieber erst nach dem Konzert“, verrät er. Die Lennons sind ruhiger geworden über die Jahre.

Alle vier gehen oder gingen bis vor Kurzem einer geregelten Arbeit nach, teilweise sogar im Staatsdienst. Die Anarchie, die Sex-Pistols-Frontmann Johnny Rotten 1976 für das Vereinigte Königreich einforderte, ist einer gewissen Seriosität gewichen. „In Deutschland kannst du nicht einfach Punk sein, du brauchst für alles einen Stempel“, muss Razzo bekennen.

Echter Punk ist man im Kopf.
Michael P. Hermann, Gitarrist und Sänger

Auch der Klassenkampf weicht der Altersmilde: „Im Laufe des Lebens lernst du gute Leute und Arschlöcher aus allen Klassen kennen“, sagt Razzo.

„Echter Punk ist man im Kopf“, sagt Hermann. Razzo führt aus: „Punk sein heißt, seinen eigenen Weg gehen, nicht vorgefertigten Strickmustern folgen, gegen die Spießer-Kacke sein: Heirat, Vereine – ganz schlimm – oder Fußball – grässlich – das muss man meiden.“

Sozial und Sozialkritisch

Sozial sein. Auch das ist Punk, finden die Lennons. Seine Mitmenschen wertschätzen, Hilfe anbieten, wenn jemand in Not ist. Die Lennons sind auch aktive Tierschützer, Michael Hermann hat selbst zwei Hunde, die er vor einem unwürdigen Dasein als Streuner auf den Straßen Bulgariens bewahrt hat.

Die Leute müssten doch merken, zusammen geht mehr, stattdessen wird alles immer egoistischer.
Gerhard „Razzo“ Michaelis, Schlagzeuger

Die Gesellschaft sehen sie mehr als früher gezeichnet von der Kluft zwischen Arm und Reich. „Es sind mittlerweile viele alte Menschen um uns rum, alle werden langsam gebrechlich“, sagt Razzo, und bedauert: „Bei den Alten findet gar kein Austausch mit der Jugend mehr statt, jeder kocht sein Süpple.

Wenn ich daran denke, was meine Mutter den Leuten noch alles hätte beibringen können. Die Leute müssten doch merken, zusammen geht mehr, stattdessen wird alles immer egoistischer“.

„Eine alte Frau aus meiner Gegend sammelt jetzt Flaschen, obwohl sie ihr Leben lang gearbeitet hat“, teilt Hermann seine Erfahrungen. „Die Leute können sich heute nichts mehr zurücklegen“, pflichtet „Hallo“ bei, „Es sollte niemand arm werden, der sein Leben lang arbeitet“.

Protest als Mode-Erscheinung

„Punk sein heißt auch, seinen Verstand einzuschalten. Nicht einfach Parolen hinterherschreien“, erklärt Hermann. „Wir haben uns früher die Jeans kaputt gebettelt, die Löcher standen früher für Protest.

Jetzt kaufen die Jungen sie im Laden“. Heute kann man Punk und Modeerscheinung kaum noch auseinanderhalten“, wirft Razzo missmutig ein. „Die Leute kaufen sich ihr Ramones-Shirt bei Tchibo“, zuckt „Hallo“ die Achseln.

„Die Jugend ist heute viel angepasster“, findet Hermann, auch mit Blick auf die Fridays-For-Future-Bewegung: „da ist zu viel Mode dabei“. „Der Widerstand kam früher von unten, hat sich bei den jungen Leuten geregt“, ergänzt Razzo.

„Heute sind die Eltern verhinderte Alt-Revoluzzer, die ihre Kinder dann dazu drängen, ihren Lebenstraum zu leben. Und dann wundern sie sich, wenn die dann später Abteilungsleiter im Supermarkt werden wollen“.

Familientreffen beim „Weihnachtspogo“

Am 25. Dezember um 21 Uhr kommen die Lennons zum „Weihnachtspogo“ ins Sakrema. Wie jedes Jahr seit 2008 freuen sie sich auf das „große Familientreffen“ der Szene.

Da kommen dann auch 60- und 70-jährige Fans. „Unsere Konzerte sind gut besucht“, konstatiert Michael Hermann, und grinst: „Das folgt vielleicht dem Rolling-Stones-Prinzip: Die Leute gucken, ob wir noch da sind.“

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