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Visionen für den Karlsruher Einzelhandel

„Online-Handel dürfte vielen im Jahr 2030 zu anonym sein“

Verfolgt man die rasanten Wachstumsraten des Online-Handels, könnte man meinen: 2030 werden von den Geschäften in den Innenstädten in der Region nicht mehr viele übrig sein. Doch Branchenfachleute wollen nicht schwarzmalen.

Modehaus Schöpf
Eine Institution in Karlsruhe: Das Modehaus Carl Schöpf hat schon viele Krisenzeiten überlebt. Dessen Eigentümerin ist davon überzeugt, dass im Jahr 2030 wieder mehr inhabergeführte Fachgeschäfte in der Kaiserstraße zu finden sein werden. Der Online-Handel sei auf Dauer vielen Kunden zu anonym. Foto: Jörg Donecker/jodo

Das Modehaus Carl Schöpf in Karlsruhe ist eine Institution. 1899 gegründet, hat die Inhaberfamilie zwei Weltkriege erlebt. Melitta Büchner-Schöpf, der auch die Immobilie in der Kaiserstraße gehört, musste sich zuletzt zehn Jahre lang mit den Auswirkungen der U-Strab-Baustelle auf ihr Geschäft herumschlagen. Derzeit trifft auch sie die Corona-Pandemie hart.

Die leidenschaftliche Einzelhändlerin ist jedoch zuversichtlich, dass es ihr Modehaus auch Ende dieses Jahrzehnts noch gibt. „Ich hoffe das“, sagt sie. Ihr Haus sei als Anbieter für festliche Mode bekannt. „Die wird man auch im Jahr 2030 noch brauchen.“

Die lässt sich freilich auch per Mausklick kaufen: Amazon, Zalando, Otto, MyTheresa – doch Büchner-Schöpf glaubt fest daran, dass es bereits jetzt eine Gegenbewegung zu dieser anonymen Online-Handels-Welt gibt. „Ich habe den Eindruck, dass die Leute immer mehr Interesse haben, mit Menschen zu kommunizieren und Kontakt zu haben“, sagt sie. Ihre Zukunftsvision: Im Jahr 2030 wird es wieder mehr inhabergeführte Fachgeschäfte in der Kaiserstraße geben und weniger Filialisten.

Melitta Büchner-Schöpf (Modehaus Schöpf)
Sieht Chancen: Melitta Büchner-Schöpf rechnet mit einer Renaissance des inhabergeführten Einzelhandels in der Region. Foto: Prinz

Ist dies bloßes Wunschdenken? Mitnichten, meint auch Zukunftsforscherin Theresa Schleicher, die mit Matthias Horx, dem Gründer des Zukunftsinstituts, arbeitet. Amazon, Zalando und Co hätten selbst gemerkt, dass „online allein nicht reicht“. Deshalb kooperieren solche Onliner bereits jetzt mit regionalen Händlern – und sei es mit Abholstationen, von denen beide Partner profitierten.

Festliche Garderobe wird man auch im Jahr 2030 noch brauchen.
Melitta Büchner-Schöpf, Eigentümerin des Modehauses Carl Schöpf

Die Einkaufswelt in der 1-a-Lage einer 300.000-Einwohner-Stadt wie Karlsruhe dürfte natürlich auch im Jahr 2030 komplett anders aussehen als die in Kürnbach, Karlsbad, Kappelrodeck oder Keltern. Für kleinere Kommunen mit Großstadtnähe prognostiziert Lena Knopf vom Handels-Forschungsinstitut EHI sogenannte „Mixed used“-Lösungen. Das heißt: Kitas, Ärzte, Apotheken, Mode- und Lebensmittelhändler beispielsweise schließen sich zusammen und decken – auch mit Online-Lieferungen – mehrere Dörfer und Kleinstädte ab.

Modeberatung auch per Videokonferenz

Steffen Jost ist mit einer seiner regionalen Modefilialen auch in Bruchsal vertreten. An dem Standort könne er schon jetzt nicht meckern, sagt Jost, der auch Präsident des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels (BTE) ist. 2030, so seine Vision, sollte es dort grüner sein und neben dem Einzelhandel sollte viel Gastronomie die Menschen in die Innenstadt locken. „Das Einkaufen hat ja auch etwas mit Freizeitgestaltung zu tun“, unterstreicht Jost. Trotz des Corona-Rückschlags „haben wir fest vor, dass es uns in Bruchsal auch im Jahr 2030 noch gibt“ – auch wegen des Services, den seine Mannschaft dem Kunden biete, habe man gute Karten.

Was laut Jost nicht heißt, dass alles weiterläuft wie gehabt. „Digitales wird vermehrt Einzug in die Geschäfte halten“, blickt er ins Jahr 2030. Eines seiner konkreten Beispiele: Wer keine Zeit hat, in die Stadt zu kommen, macht mit seiner Lieblingsverkäuferin einen Termin aus. Per Videokonferenz berät sie aus der Ferne – die ausgesuchte Kleidung wird zum Kunden nach Hause geliefert oder der lässt sie abholen.

„Handel ist Wandel“ heißt eine Redewendung der Branche. Petra Lorenz, Präsidentin des Handelsverbandes Nordbaden, sieht mit ihrem Geschäftsführer Swen Rubel denn auch die Geschäftsleute zu Veränderungen gezwungen. „Man kann in einem Schuhgeschäft auch – zumindest zeitlich begrenzt – ein Fish Spa oder Pediküre anbieten“, sprechen sie kuriose Shop-Konzepte an.

Lorenz, die in Karlsruhe ein Fachgeschäft rund um Koffer und Taschen betreibt, sieht da so manche ausländische Metropole als Vorbild. Soll heißen: Sie setzt darauf, dass die Flaniermeilen auch in der Technologieregion im Jahr 2030 mehr Erlebnis, Abwechslung sowie Individualität bieten.

Das Einkaufen hat ja auch etwas mit Freizeitgestaltung zu tun.
Steffen Jost, BTE-Präsident und Modegeschäft-Inhaber

Aktuell sinken die Mietpreise, auch weil Filialisten viele ihrer Läden in 1-a-Lagen dicht machen oder verkleinern. Das bedeutet eine Chance für Fachgeschäfte, die keiner Kette angehören. Aber auch Discounter wie Aldi und Lidl kehren zunehmend in die Innenstädte zurück – siehe Karlsruhe.

Discounter sind bekanntlich ein Kundenmagnet. Solche brauchen die meisten Einzelhändler in ihrer Nachbarschaft mehr denn je. Früher haben diese Aufgaben die Warenhäuser perfekt erfüllt. Anno dazumal gab es in der Region neben Karstadt aber eben auch noch Horten, Hertie, Schneider, um einige Beispiele zu nennen.

Horst Lenk, ein Urgestein des Einzelhandels in der Region, hat schon viele Kollegen kommen und gehen gesehen. Nach seinem 78. Lebensjahr hat er sein Pforzheimer Modehaus Lenk an seine Tochter übergeben. „Ich gehe davon aus, dass es das Geschäft auch im Jahr 2030 noch gibt“, sagt der Ehrenpräsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg. „In Pforzheim wird sich der Einzelhandel bis dahin mit Sicherheit stark verändert haben“, prognostiziert Lenk.

Horst Lenk
Einkaufen als Erlebnis: Der Pforzheimer Horst Lenk ist Ehrenpräsident des Handelsverbandes Baden-Württemberg. Foto: Andrea Fabry

Es könne durchaus sein, dass die Gastronomie dort stärker vertreten sein wird. „Aber eines ist klar, und das ist auch wissenschaftlich erforscht worden, die Modeeinzelhändler sind die wichtigsten Geschäfte in einer Innenstadt.“ Der Modeeinzelhandel werde auch im Jahr 2030 die Menschen zum Flanieren einladen – bei mehr Einkaufserlebnissen in der City, wie Lenk hofft. „Das normale Verkaufen, wie es früher der Fall war, ist längst vorbei. Es geht um Emotionen. Die Menschen suchen Erlebnisse“, sagt Lenk. Die Pforzheimer Innenstadt werde in neun Jahren mit Sicherheit „bunter sein als heute“.

Ein Kind der Region ist auch Kai Hudetz. Er ist in Waldbronn aufgewachsen und leitet das Institut für Handelsforschung (IFH) in Köln. Durch den rasant wachsenden Onlinehandel sind die Besucherfrequenzen in den Innenstädten bereits seit Jahren gesunken, erinnert er. Die Corona-Krise habe dies nochmals beschleunigt. Während der Onlinehandel 2020 um mehr als 20 Prozent gewachsen ist, sank die Besucherfrequenz in den Haupteinkaufsstraßen Kölns um 37 Prozent. „Auch in der Karlsruher Innenstadt rund um die Kaiserstraße war und ist sicherlich ein ähnlicher Einbruch zu verzeichnen“, sagt Hudetz.

Bequeme Nahversorgungskonzepte in kleineren Städten

Wenn die Pandemie vorbei ist, werde sich das Konsumverhalten sicherlich wieder ein Stück weit normalisieren. „Aber die ,gute, alte Zeit‘ kommt auch für den Einzelhandel nicht mehr zurück“, ist Hudetz überzeugt.

 Kai Hudetz
Handel bleibt Wandel: Der aus Waldbronn stammende IFH-Chef Kai Hudetz sieht mit Blick auf 2030 enorme Herausforderungen. Foto: IFH

Was bedeutet das für die Technologieregion Karlsruhe mit Blick aufs Jahr 2030? „Während in den kleineren Städten vor allem bequeme Nahversorgungskonzepte vorherrschen werden, gilt es für die Karlsruher Innenstadt, einen attraktiven Mix aus Handel, Gastronomie, Kultur, Sport und Dienstleistungen zu finden, der die Menschen zum Stadtbummel bewegt.“ Hudetz sagt, der Handel müsse als Teil der Freizeitgestaltung gesehen und konsequent weiterentwickelt werden. Für ihn sind das „schöne Zeiten für uns Konsumenten und Konsumentinnen, herausfordernde für den Einzelhandel“.

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