Skip to main content

Auf dem Fixie durch Karlsruhes Osten

Flott und belastbar: Der Karlsruher Radkurier Julian setzt voll auf sein Spezialrad ohne Leerlauf

Es sind Puristen und absolute Könner, die in der Fahrradstadt Karlsruhe auf Gangschaltung und überhaupt alles verzichten, was am Fahrrad nicht absolut notwendig ist. Fahrradkurier Julian ist so ein Spezialist.

Am 29.03.2022 stehen Radkurier Julian (links) mit seinem Fixie-Fahrrad und sein Chef David Budwasch von der Firma Radkurier Karlsruhe vor der Post in Karlsruhe-Durlach.
Startklar: Vor der Post in Durlach steigt Radkurier Julian (links) auf sein Fixie-Fahrrad. Seinen Chef David Budwasch zieht es zurück in die Zentrale der Firma Radkurier Karlsruhe. Foto: Jörg Donecker

Knapp zehn Kilo wiegt Julians Fahrrad, trotz stabilem Frontgepäckträger lässt es sich federleicht hochheben. Es hat ja auch weder Schutzbleche noch Gangschaltung, kein Ritzel und schon gar nicht Motor und Akku. Julian fährt ein Fixie, ein Fahrrad, dessen Pedale sich dauernd mitdrehen.

Ein Fixie, das ist etwas für Puristen und absolute Könner. Julians Fahrrad mit nur einem starren Gang hat nämlich auch keinen Leerlauf. Bremsgriffe hat der drahtige Vielradler nur aus prinzipiellen Gründen am Lenker montiert: „Als Radkurier habe ich auch eine Vorbildfunktion.“ Zum Stoppen oder Verlangsamen benutzt er sie aber nicht.

Stattdessen arbeitet der Fixie-Fahrer mit den Füßen gegen die Drehbewegung der Pedale. Oder er blockiert mit viel Gefühl das Hinterrad, um seitwärts zu rutschen. Den üblichen Rücktritt, bei dem das belastete Pedal bis zum Stehen still verharrt, gibt es hingegen nicht.

Wenn ein Fahrrad auffallend unauffällig sein kann, ist es dieses. Schlank der schwarze Ledersattel, raffiniert der Mix aus Buchstaben, Signets und einer stilisierten Echse auf dem Diamantrahmen, extrabreit der Lenker. Der Clou, die urtümliche Antriebstechnik, fällt Unkundigen nicht auf.

Beim ersten Tritt in die Pedale aber wird auch Beobachtern klar: Hier regiert das Fahrzeug, der Mensch macht tunlichst mit. Die Pedale drehen bei jeder Radrotation mit, vom Anrollen auf dem ersten Meter bis zum rasend schnellen Tempo. „Man überlegt sich schon die Fußstellung beim Aufsteigen“, erklärt der 28-jährige ehemalige Bahnradfahrer. Beide Füße horizontal, so geht’s glatt.

Der Fahrradkurier startet auf seine Tour durch den Karlsruher Osten in der Gritznerstraße. Postfächer in der Durlacher Post hat er schon geleert. Der Inhalt steckt in zwei blauen Säckchen aus Stoff im froschgrünen, maßgeschneiderten XXL-Rucksack.

Design ist Trumpf auf Karlsruhes Radwegen

Designed by Julian, das könnte auf dem Kuriergepäck stehen, auf dem Trikot, sogar auf der Radlerhose: Neben der Gesäßtasche des ausgebildeten Grafikers leuchtet eine Ziernaht im Grün des Unternehmens Radkurier Karlsruhe.

David Budwasch ist seit zehn Jahren Chef der Kurierfirma. Sein Team, das sind 25 bis 30 fitte Radler, darunter vier Radlerinnen. Sie erledigen Kurierfahrten, liefern Waren und Post, befördern Lasten und Sperrgut bis 100 Kilo, bringen Apotheken-Bestellungen, Dokumente und Güter von Akten bis Zahnersatz. Julian steigt dafür seit 2015 regelmäßig in den Sattel und steuert auch andere Kollegen als Disponent.

Das Fahrrad Fixie reagiert extrem schnell

Akrobatisch schwingt Julian das rechte Bein über den Lenker, und los geht’s zu einem Geschäftsmann in der Marstallstraße. Ein unentschlossener Autofahrer rollt auf Parkplatzsuche überraschend an. Den Radkurier sieht er nicht. So direkt, wie der Fixie-Fahrer das Tempo drosselt, kann kaum ein klassischer Radler reagieren. Fahrer und Fahrrad scheinen eins zu sein.

„Ich liebe dieses Fahrrad, und es liebt mich“, sagt Julian. Bei seinem einzigen Arbeitsunfall als Kurier fuhr er mit einem Rad mit Scheibenbremsen auf einen Pkw auf: „Ich hatte mich zu sehr auf sie verlassen.“

Der plötzlichen Enge entkommt der Radkurier über eine hohe Bordsteinkante. Das Fixie lässt sich unvergleichlich kontrolliert langsam fahren. Der Sprung ist sowieso eine leichte Übung für den 53-Kilo-Mann, der immer in Mühlburg zu Hause war, bis er vor fünf Jahren vom Entenfang in die Südstadt umzog. Sein Fixie hält solche Sätze aus, ohne zu murren. Es ist ein echtes Arbeitstier. Julian gönnt ihm gebrauchte Bauteile aus Japan, mit beachtlichen Resultaten: „Mit meiner Tretkurbel fahre ich seit sieben Jahren.“

Den hinteren Reifen tauscht der Kurierprofi am häufigsten aus. „Der aktuelle ist extrem haltbar, den fahre ich schon seit einem Jahr und er sieht noch gut aus.“ Zu Beginn seiner Radkurierzeit verschliss Julian alle zwei Wochen einen Reifen: „Da war ich noch weniger schonend unterwegs.“ 18 Fahrräder stehen daheim im Stall, neben eigener ordentlicher Werkstatt, und im Kurierrucksack ist Werkzeug immer dabei.

Lautlos durch die Altstadtvon Karlsruhe und die blühende Natur

Ein paar Umdrehungen der Pedalkurbel, schon fädelt sich der Fixie-Fahrer in der Pfinztalstraße gekonnt zwischen die Schienen ein. „Das ist Karlsruhe“, sagt Julian komplett entspannt. Am Rathaus Durlach duftet es nach Brot vom Marktstand mit französischen Spezialitäten.

Kurz verschwindet der Fixie-Fahrer durch die Rathaustür. 25 Kuverts vom Stadtamt Durlach gehen danach mit auf Tour, lautlos hinaus aus der Altstadt, Richtung Hagsfeld. Der Kurier kennt die alten, weißblühenden Birnbäume an der Hubstraße, die krähenden Hähne am Koyweg beim Elfmorgenbruch und überhaupt so ziemlich jede Straße in seiner Heimatstadt.

Fixie-Fahrt ist Meditation und Kult

Das Unterwegssein mit dem Fixie genießt der 28-Jährige wie eine Meditation, und er braucht es auch fürs Wohlbefinden: „Auf diesem Fahrrad bin ich permanent gefordert, mit den Beinen und im Kopf.“ Nach einer langen Wochenendausfahrt per Rennrad vergisst er montags manchmal, dass die Pedale seines Lieblingsfahrzeugs niemals ruhen. „Dann verpasst mir mein Rad kurz einen Tritt.“

Das Fixie ist Lebenseinstellung, und es ist Kult. Radkuriere sind eine kreative Szene, man trifft sich weltweit, real und virtuell. Gefeiert wird die Einfachheit. Die bewusste Wahl der Farbkomposition, des Sattels oder der Laufräder gibt der eigenen Persönlichkeit, Einstellung und Überzeugung Ausdruck: Reduktion aufs Minimum für höchste Authentizität und Intensität.

Auch Julian fasziniert die direkte, pure Kraftübertragung, die Wechselwirkung zwischen Fahrer, Rad und Untergrund. Ein gedanklicher Irrtum begegnet ihm immer wieder: „Die Leute denken, dass ich als Profi doch sicher ein Fahrrad mit Motor habe.“ Das kommt für ihn gar nicht infrage. Der Trend zum E-Bike missfällt ihm allgemein: „Ich bedaure Menschen, die ihr Fahrzeug, ob Fahrrad oder Auto, nicht beherrschen können.“

Dann tritt der Kurier an, lautlos und unglaublich schnell, pfeift kurz zum Abschied, zieht eine Linkskurve unter einer über und über rosafarben blühenden Magnolie bei der Schule am Weinweg und ist weg.

nach oben Zurück zum Seitenanfang