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Internationaler Vergleich bei Technikberufen

Paradox: Mehr Gleichberechtigung heißt auch weniger Ingenieurinnen

Die Werbekampagnen für Mädchen in Männerberufen zeigen in Deutschland nur zögerlich Wirkung: In Ingenieurfächern studieren nur rund ein Viertel Frauen. Weltweit gibt es jedoch „paradoxe“ Entwicklungen.

Zum Themendienst-Bericht von Katja Wallrafen vom 11. Mai 2020: Jungen Frauen fehlt es oft an beruflichen Vorbildern im MINT-Bereich.
Kompliziertes Verhältnis: Frauen meiden in Deutschland immer noch Technikberufe. Ein Experte fürchtet, dass Akademikerinnen kaum vom Digitalisierungs-Boom profitieren. Foto: Rainer Berg / dpa

Es klingt verrückt: Abiturientinnen mit Bestnoten sträuben sich in Deutschland immer noch mehrheitlich, einen der gut bezahlten Jobs in Ingenieurfächern anzusteuern.

Aber im Iran erreichten die Frauen schon vor einigen Jahren eine so deutliche Übermacht von 65 Prozent in MINT-Fächern (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), dass einige Universitäten eine Männerquote einführten.

Länder wie Algerien, Tunesien und die Vereinigten Arabischen Emirate gelten auch nicht gerade als Hort der Emanzipation – doch dort liegen die Quoten weiblicher Ingenieursstudenten bei rund 40 Prozent. Und im angeblich so geschlechtergerechten Norwegen und in Finnland? Da sind es magere 20 Prozent. „Je gleichberechtigter ein Land ist, desto seltener studieren Frauen dort technische Fächer“, auf diesen Nenner bringt es der Soziologe Martin Schröder.

Forscher sprechen vom „Paradox der Gleichberechtigung“

Vom „Paradox der Gleichberechtigung in Wissenschaft, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik“ sprachen die Autoren Gijsbert Stoet und David Geary, die in ihrer gleichnamigen internationalen Studie von 2018 das mysteriöse Missverhältnis aufzeigten und bis heute viele hitzige Diskussionen auslösen.

Während der Marburger Professor Schröder dafür plädiert, die Berufswahl der Frauen als selbstbestimmt zu akzeptieren, quält Gender-Theoretiker die Frage: Warum verstärken sich Geschlechter-Klischees ausgerechnet in gleichberechtigten Gesellschaften?

„Mathematisch-logische Fähigkeiten schreiben schon Grundschulkinder eher Jungen als Mädchen zu“, klagt der Geschlechtsidentitäten-Forscher Yves Jeanrenaud. Er hat für den dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2020 eine Expertise unter dem Titel „MINT. Warum nicht?“ verfasst.

Und er fürchtet, dass die deutschen Akademikerinnen den nächsten großen Boom verpassen: das Geschäft mit der Digitalisierung.

Luxus-Problem: das Sprachtalent der Mädchen

In Deutschland liegt die Frauenquote in Ingenieurfächern bei 26, in Informatik bei 25 Prozent. Dass alle MINT-Fächer zusammen inzwischen auf 34 Prozent kommen, verdanken sie den Lehramtsstudiengängen – dort sind Frauen überrepräsentiert. Angehende Lehrerinnen haben auch durchaus Mut zum Mathe-Studium.

Der Deutsche Ingenieurinnenbund (dib) ist überzeugt: Informatikern und Ingenieuren haftet das lästige Image des hochintelligenten, aber verschrobenen „Nerds“ an. Gefragt sei heute aber die Technik-Managerin mit „kommunikativen und sozialen Fähigkeiten“.

Das Sprachtalent der Mädchen haben Forscher zugleich aber als ihr Luxus-Problem identifiziert: Mädchen seien zwar meist in Mathe mindestens genauso gut wie Jungs – aber eben im Sprachenbereich noch deutlich besser. Das erklärt zum Teil auch die Vorliebe für „typische“ Frauenberufe. „Es besteht hier allerdings noch deutlicher Forschungsbedarf“, räumt Jeanrenaud ein.

Die nächste Generation hat dann schon mehr Rollenvorbilder.
Claudia Goll, Leitern des MINT-Kollegs am KIT

„Wenn es ein Patentrezept gäbe, hätten wir es schon umgesetzt“ sagt auch Claudia Goll, Leiterin des MINT-Kollegs am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). „Es hat sich schon vieles positiv entwickelt, auch das Selbstbewusstsein der jungen Frauen – aber es gibt noch Verbesserungspotenzial“, stellt die promovierte Physikerin fest.

In Fächern wie Maschinenbau und Informatik gebe es heute immerhin deutlich mehr Frauen als zu ihrer eigenen Studienzeit: „Die nächste Generation hat dann schon mehr Rollenvorbilder.“

Goll vermutet, dass junge Frauen Fachbereiche wie Elektrotechnik (bundesweite Frauenquote: 17,5 Prozent) ähnlich scheuten wie junge Männer den Erzieherberuf: „Egal, ob Mann oder Frau – niemand möchte gerne Exot sein“, sagt sie. „Ideal wäre es, wenn man es gar nicht mehr bewerten würde, dass jemand einen eher untypischen Beruf wählt.“

Für Iranerinnen ist das Studium auch Ausweg

Das vermeintliche Frauenwunder in Ländern wie dem Iran taugt kaum als Vorbild. Diverse Forscher sind sich einig: Das Technikstudium verheißt vielen Iranerinnen einen Ausweg aus Armut und Unterdrückung.

Und dass iranische Frauen häufig promovieren, ist auch die Folge ihres Ausschlusses vom Arbeitsmarkt, wie das dib-Magazin „Die Ingenieurin“ schon früh erläuterte: Männer seien im Iran oft gewzungen, bereits nach dem Bachelor-Abschluss schnell Geld zu verdienen.

„Frauen studieren oft weiter und erwerben einen Master-Abschluss oder einen Doktortitel.“ Und in manchen anderen Ländern mit hohen Ingenieurinnen-Quoten sind Technikberufe auch längst nicht so angesehen wie in Deutschland.

Frauen wollen einen gut verdienenden Mann.
Martin Schröder, Soziologie-Professor und Buchautor

Und warum verzichten junge Akademikerinnen in Deutschland so leichtfertig auf satte Ingenieurgehälter? Soziologe Schröder hat da „befremdliche“ Erkenntnisse von der Geschlechterfront. Für sein Buch „Wann sind wir wirklich zufrieden?“ hat er die Daten des Sozioökonomischen Panels, einer Langzeitbefragung mit 85.000 Teilnehmern, ausgewertet.

Ein klares Ergebnis lautet: Frauen sind unzufriedener, wenn sie mehr als ihr Partner verdienen, Männern geht es viel schlechter, wenn sie weniger verdienen als die Partnerin. „Wir können es ärgerlich finden“, schreibt Schröder. „Empirisch zeigt sich trotzdem: Frauen wollen einen gut verdienenden Mann.“

Untersuchungen hätten sogar gezeigt, dass Frauen besonders viel Hausarbeit machen, sobald sie mehr verdienen als der Mann. „Warum? Als Kompensation, um stereotype Geschlechterrollen wiederherzustellen“, erklärt Schröder. „Damit beide trotz des höheren Gehalts der Frau weiterhin das Gefühl haben können, typisch weiblich und typisch männlich zu sein.“

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