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Erschütternde Fotos

Ukrainerinnen berichten beim Karlsruher „Fest“ vom Leben im Krieg

„Das Fest“ in der Karlsruher Günther-Klotz-Anlage ist eine fröhliche Party. Doch auch das Leid in der Ukraine ist Thema.

Über die Lage in der Ukraine informieren beim „Fest“ in Karlsruhe (von links) Anastasia Parafenuk, Mariana Mokrynska und Nataliie Kyriachenko.
Über die Lage in der Ukraine informieren beim „Fest“ in Karlsruhe Anastasia Parafenuk (von links), Mariana Mokrynska und Nataliie Kyriachenko. Foto: Rake Hora

Am Rande des Kulturbereichs in Karlsruhe sitzen drei Festivalmacherinnen aus der Ukraine in ihrem Infozelt. Sie schauen auf das fröhliche Treiben von „Das Fest“. An der Zeltwand hinter ihnen hängen Fotos zerstörter Häuser. Es gibt Aufnahmen ausgebrannter Autos.

Mariana Mokrynska lächelt, wenn jemand an dem Stand am Karl-Wolf-Weg stehen bleibt. „Ich will den Menschen von unserem Leben erzählen“, sagt die junge Frau. Zusammen mit neun Kolleginnen und Kollegen hat sie viele Jahre das Atlas-Festival in Kiew organisiert.

Hilfsorganisation statt Partymacher

2021 traten dort ausschließlich ukrainische Künstler auf. 2022 sollte es internationaler werden. Das Programm stand, Festivaltermin ist immer das erste Wochenende im Juli. Doch seit dem russischen Angriff ist nicht mehr an die große Musikparty zu denken.

Unmittelbar nach Kriegsbeginn beschließt das Atlas-Team zu helfen: Es sammelt Geld, beschafft Hilfsgüter, verteilt sie an die Menschen. „Das war für uns selbstverständlich“, erklärt Mokrynska.

Ein Festivalverbund in ganz Europa unterstützt die Aktion, auch „Das Fest“ ist dabei. Die Frauen versichern: „Wir bekommen tolle Unterstützung von Holger Schmidt.“ Er bucht das Programm für die Hauptbühne am Hügel. „Fest“-Cheforganisator Martin Wacker ist es ebenso wichtig, den Ukrainerinnen eine Bühne zu geben. Am Infostand sei eine gute Gelegenheit, ihnen Mut zuzusprechen, sagt er.

Nur die Frauen schaffen es zum „Fest“ nach Karlsruhe

Mariana Mokrynska ist erstmals bei dem Open Air in der Günther-Klotz-Anlage. Sie könnte ihre Heimat jetzt für längere Zeit verlassen und zum Beispiel in Deutschland Schutz suchen. „Ich will aber zu Hause helfen.“ Ein paar Tage macht sie eine Ausnahme, jedoch in gleicher Mission: Mit anderen Frauen aus ihrem Team fährt sie diesen Sommer immer wieder mit dem Auto zu Festivals im Ausland, um den Menschen dort zu berichten. „Unsere Männer dürfen das Land ja nicht verlassen.“

Russland greift meist nachts an, wenn alle schlafen.
Mariana Mokrynska
Atlas-Festival-Organisatorin

Deshalb sitzt Mariana Mokrynska jetzt mit ihren Kolleginnen Nataliie Kyriachenko und Anastasia Parafenuk im Infozelt. In wenigen Tagen fahren sie wieder heim.

Für die Auftritte von Alligatoah oder Alvaro Soler an diesem Wochenende haben sie keinen Kopf. „Wir wollen ansprechbar sein“, erklären die Drei. Wenn das Festivalgelände öffnet, sind sie da. Sie bleiben bis zum Abend.

Immer wieder bleiben Besucher stehen. Das Trio hat Socken in Gelb mitgebracht, auf denen ein blaues Herz prangt. Verschiedene Artikel werden verkauft, das Geld fließt in das Spendenprojekt „Music Saves UA“. Egal, ob Ohrringe oder T-Shirt: Überall sind die ukrainischen Farben zu sehen.

Namensliste getöteter Künstler

Und dann sind da eben auch die Fotos an der Zeltwand. Eines wurde aufgenommen in einem Schlafzimmer, eine Rakete hat die Wand eingerissen. Auf dem Boden liegt die Matratze. „Da wohnte ein Freund von mir“, erzählt Mokrynska. Er war zum Zeitpunkt des Angriffs nicht zu Hause.

An der Wand hängt auch eine Liste von Musikern, die für ihr Land kämpfen – statt auf der Bühne zu stehen. Darunter finden sich Namen von Künstlern, die bei dieser Mission getötet wurden.

„Die Menschen außerhalb der Ukraine werden müde von den Kriegsberichten“, glaubt Mariana Mokrynska. Deshalb sei es wichtig, zu erzählen. Sie selbst schläft in „guten Tagen“ in ihrer Badewanne. Das Badezimmer sei relativ sicher. An schlechteren Tagen geht es in den Bunker. „Russland greift meist nachts an, wenn alle schlafen.“

Tagsüber sei das Leben relativ normal. „Es gibt sogar kleinere Festivals, wenn für die Besucher genügend Schutzräume in der Nähe da sind, in die sie im Falle eines Angriffs fliehen können“, erzählt die junge Frau. Für das Atlas-Festival mit zuletzt 100.000 am Besuchern am Tag sei das keine Option. „Wir wissen nicht, wann wir wieder ein Festival machen können, wir helfen jetzt.“

Den Auftakt von „Das Fest“ bestreitet am Donnerstag auf der Hauptbühne die ukrainische Rapperin Alyona Alyona. Sie ruft dem Publikum zu: „Danke für die helfende Hand.“ Im vergangenen Jahr kamen 21.000 Euro über Pfandspenden für das ukrainische Hilfsprojekt zusammen. In diesem Jahr können Besucher wieder ihre Becher spenden.

In speziell gekennzeichneten Tonnen können Besucher beim „Fest“ in Karlsruhe Geld für die Aktion „Music Saves UA“ spenden.
In speziell gekennzeichneten Tonnen können Besucher beim „Fest“ in Karlsruhe Geld für die Aktion „Music Saves UA“ spenden. Foto: Rake Hora

Eine Box dafür steht beim Stand der drei Ukrainerinnen. „Wir sind sehr dankbar, dass hier die Ukraine einen Platz hat“, versichern sie. Auch dass Alyona Alyona zu Beginn spielen durfte, sei wunderbar. Ihre Musik kennt das Trio. „Sie spielte schon zweimal bei uns beim Atlas-Festival“, erzählt Mariana Mokrynska.

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