Der Polit-Thriller „Am Abgrund“ wirkt dick aufgetragen? Kennt man erst den realen Hintergrund des ARD-Spielfilms, wird klar: Diese Fiktion ist nah an den wahren Begebenheiten der Aserbaidschan-Affäre um skrupellose Autokraten und korrupte Europarats- und Bundestagsabgeordnete.
Die Rollen der Schauspieler – darunter Heiner Lauterbach, Hans-Jochen Wagner und Johanna Christine Gehlen – haben ganz reale Vorbilder, die zum Teil bis heute mit der Affäre und ihren Folgen zu kämpfen haben.
Das sind die Schlüsselrollen aus „Im Abgrund“ und die realen Personen, die als Inspiration dienten.
Die Schamlose
Als deutsche Europarats- und Bundestagsabgeordnete Kerstin Strauch steht Johanna Christine Gehlen für „Am Abgrund“ vor der Kamera. Die Hamburger Film- und Theaterschauspielerin spielte unter anderem in den „Pfefferkörnern“.
Gehlen ist verheiratet mit ihrem Schauspielerkollegen Sebastian Bezzel („Eberhofer“), der im Aserbaidschan-Film in einer Nebenrolle als korrupter Politiker zu sehen ist. Als Wahlbeobachterin in Aserbaidschan trinkt Strauch schon morgens Schaumwein und geht in Baku, der Hauptstadt der Erdölautokratie, ausgiebig Shoppen, anstatt das Wahlgeschehen zu dokumentieren.
Als Vorbild gut erkennbar ist die 2021 überraschend gestorbene CDU-Abgeordnete Karin Strenz. Sie hat über eine Firma des ehemaligen CSU-Abgeordneten und späteren Aserbaidschan-Lobbyisten Eduard Lintner nachweislich Zahlungen aus Aserbaidschan erhalten.
Der Aufklärer
Der Schwarzwälder „Tatort“-Kommissar Hans-Jochen Wagner spielt den SPD-Politiker Gerd Meineke aus Gelsenkirchen, der als Kollege der Schaumwein trinkenden Abgeordneten Strauch für eine Wahlbeobachtungsmission nach Aserbaidschan kam.
Dort ist er zunehmend verwundert über die Schamlosigkeit, mit der deutsche Abgeordnete angesichts der eklatanten Wahlrechtsverstöße einfach wegschauen. Ähnlich ging es im echten Leben dem SPD-Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe, ebenfalls aus Recklinghausen.
Im ARD-Film hinzugedichtet ist der familiäre Bezug nach Aserbaidschan. Schwabe gilt als einer der Aufklärer der Aserbaidschan-Affäre im Europarat, die längst nicht nur deutsche Politiker oder Konservative betraf.
Heute ist der Außenpolitiker Schwabe deutscher Delegationsleiter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, sein Stellvertreter ist Armin Laschet von der CDU.
Der Angeschuldigte
Filmstar Heiner Lauterbach („Rossini“) spielt den Bundestags- und Europaratsabgeordneten Herbert Pfleiderer, der bei der Wahlbeobachtung viel Verständnis zeigt für die Autokratie Aserbaidschan und ihren angeblichen Demokratisierungsprozess.
Als ihm sein Kollege Meineke eröffnet, er werde die Wahlrechtsverstöße nicht decken, wird Pfleiderer ungemütlich. Was Meineke noch nicht weiß: Der verständnisvolle Pfleiderer hat sich von den Aseris korrumpieren lassen.
Hintergrund: In der Figur des CDU-Politikers Pfleiderer steckt Insidern zufolge viel von Axel E. Fischer. Der langjährige CDU-Abgeordnete aus dem Kreis Karlsruhe hatte einst führende Funktionen im Europarat.
Anfang des Jahres wurde bekannt, dass die Generalstaatsanwaltschaft München gegen ihn Anklage wegen des Verdachts der Mandatsträgerbestechlichkeit erhoben hat.
Die Verfolgte
Die kritische Bloggerin und Journalistin Leyla Kasparjan im Film wird von der jungen Schauspielerin Luna Jordan mit großer Energie dargestellt. Sie wird von der aserbaidschanischen Staatsmacht schikaniert. Der Geheimdienst hat sogar ihr Schlafzimmer mit Kameras verwanzt.
Anders als im Film ist das Vorbild für die mutige Journalistin nicht die Tochter der Lebensgefährtin des deutschen Aufklärers.
Die Inspiration für diese Rolle kommt von Khadija Ismayilova. Die aserbaidschanische Investigativ-Journalistin erhielt 2017 den „Alternativen Nobelpreis“ für „Mut und Beharrlichkeit“ bei der Bekämpfung von Korruption.
Bittere Parallelen zum Film: Ismayilova saß Jahre im Gefängnis. Auch ihr Schlafzimmer wurde verwanzt, Mitschnitte, die sie dort beim Sex zeigen, wurden illegal veröffentlicht.
Der Strippenzieher
Navid Negahban ist ein iranisch-amerikanischer Schauspieler. Bekannt wurde er durch die Erfolgsserien „24“ und „Homeland“. Er spielt den Aserbaidschaner Tofik Gasimov, der sich als vollendeter Gastgeber zeigt, aber für die Interessen seines Regimes vor keiner Schandtat zurückschreckt.
Eines der Vorbilder für die Figur, die sich mit der Lauterbach-Rolle blendend versteht, dürfte Elkhan Suleymanov sein. Der aserbaidschanische Abgeordnete war im Europarat zwar nur stellvertretender Delegierter. Ermittlern zufolge war er aber zugleich der wohl wichtigste Strippenzieher und Organisator bei der strukturellen Bestechung westlicher Politiker.
ARD-Film ist keine Eins-zu-eins-Darstellung
Aber Vorsicht: Regisseur Daniel Harrich gilt zwar als Erfinder des Genres „investigativer Spielfilm“. Und doch handelt es sich nicht um eine Eins-zu-eins-Darstellung von Personen. Zumal in der Realität unbedingt bis zu einer etwaigen rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt.
Nicht realen Personen zuordnen lassen sich im Aserbaidschan-Spielfim übrigens ebenfalls manche Rollen, etwa die von „Tatort“-Schaupieler Axel Milberg, der im Film „einen Unternehmer aus Karlsruhe“ spielt.
Spielfilm und Doku in der Mediathek – Live-Ticker der BNN
Mehr zu den Hintergründen des Spielfilms gibt es in der anschließenden ARD-Dokumentation „Am Abgrund. #unsereErde – Kampf um Rohstoffe“. Spielfilm und Doku sind auch in der ARD-Mediathek abrufbar. Die BNN informieren zudem im Live-Ticker parallel zur linearen Ausstrahlung von „Am Abgrund“ über die realen Bezüge.