Skip to main content

Lehre der Bewegungsempfindung

Kinästhetik-Trainer aus Dettenheim will pflegende Angehörige stärken

Kinästhetik soll die Arbeit von Pflegekräften erleichtern und Verletzungen reduzieren. Trainer Norman Kuhnle sieht aber noch mehr Potenzial.

Ein älterer Mann pflegt seine Frau und hilft ihr, aus einem Krankenbett aufzustehen.
Vor allem ältere Menschen kann die Pflege von Angehörigen an ihre körperliche Belastungsgrenze bringen. Kinästhetik soll dabei helfen, Pflegebedürftige ohne große Kraft bewegen zu können. Foto: Felix Kästle/dpa

Sonderlich schwer ist die alte Dame nicht. Durch ihre steife Körperhaltung wirkt sie auf ihre Pflegerin aber deutlich schwerer. Die ist in ihrem Fall die eigene Tochter. Drehen, waschen, aufrichten – für die Frau aus Heidelberg wird die Pflege der Mutter so zur echten Herausforderung.

Norman Kuhnle aus Dettenheim hat mit solchen Fällen beinahe täglich zu tun. Nicht nur, weil er selbst Altenpfleger in einem Seniorenheim in Karlsruhe ist. Sondern, weil er sich im Bereich Kinästhetik weitergebildet hat, auch für pflegende Angehörige.

Diese besondere Form der Bewegungswahrnehmung kam vor rund 40 Jahren aus den USA nach Deutschland. Konkret geht es darum, Bewegungen einfach zu machen – für Patienten und Pflegepersonen gleichermaßen.

In der Pflege werden Menschen oft von A nach B bewegt, ohne darüber nachzudenken.
Norman Kuhnle
Altenpfleger und Kinästhetik-Trainer

„In der Pflege werden Menschen oft von A nach B bewegt, ohne darüber nachzudenken“, sagt Kuhnle. Die Folge: Der Transfer eines Patienten, beispielsweise vom Bett in den Rollstuhl, kann für beide Parteien schnell unangenehm werden. Patienten können durch falsches Heben verletzt werden, den Pflegenden drohen Rückenschmerzen.

Pflegeheim aus Linkenheim-Hochstetten bietet Kinästhetik-Weiterbildung für Mitarbeiter

Derartige Gesundheitsschäden für das Pflegepersonal sind ein wichtiges Thema. Das weiß auch Marek Piecha, Leiter des Pflegeheims Geschwister Nees in Linkenheim-Hochstetten. Prävention spiele eine große Rolle, so Piecha. Andernfalls wären die Verluste beim Personal zu groß.

Ebendarum hat er seine Mitarbeiter im Sommer im Bereich Kinästhetik weitergebildet und einen Kurs organisiert. Waltraud Krämer vom Städtischen Klinikum Karlsruhe gab ihr Wissen an elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter.

Vier Tage dauerte der Kurs. Und genau da offenbart sich eines der Probleme für Piecha: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer fehlen im aktuellen Dienstplan. Die Mittel für den Kurs habe er aber dennoch gern bereitgestellt, betont Piecha. Denn die Verweildauer im Pflegeberuf werde immer kürzer. Jede Ausgabe für Prävention sei da wichtig.

Kinästhetik soll auch pflegenden Angehörigen helfen

Kinästhetik-Trainer Norman Kuhnle will aber nicht nur das Pflegepersonal fit in Bezug auf Bewegungswahrnehmung machen. Sein besonderes Augenmerk liegt auf denen, die daheim pflegen.

2021 machte er deshalb eine Trainerausbildung für familiäre Pfleger. „Es geht darum, dass die pflegenden Angehörigen gesund bleiben“, sagt er. Denn: Je länger die Pflegepersonen aus dem familiären Umfeld gesund bleiben, desto länger können Patienten zu Hause betreut werden.

Die Pflege ist ausgelagert auf dem Rücken der pflegenden Angehörigen.
Marek Piecha
Heimleiter Geschwister Nees

Eine einfache Rechnung, die auch Heimleiter Marek Piecha aufmacht. „Die Pflege ist ausgelagert auf dem Rücken der pflegenden Angehörigen“, sagt er. Je später ein Mensch in ein Heim komme, desto weniger Geld müsse die Politik in seine Pflege investieren.

Nachfrage bei Angehörigen ist noch gering

Bislang sei die Nachfrage von pflegenden Angehörigen allerdings noch überschaubar, sagt Kuhnle. Lediglich die eingangs erwähnte Frau aus Heidelberg habe einen Kurs in Anspruch genommen. Ob es an fehlendem Wissen über das Angebot oder geringem Interesse liege, kann Kuhnle nicht sagen.

Tatsächlich spiele das Thema in der täglichen Beratungspraxis der Pflegestützpunkte des Landkreises Karlsruhe eine untergeordnete Rolle, teilt Landratsamtssprecherin Janina Keller auf Anfrage mit. Nachfragen von Privatpersonen gebe es selten, die Leistungen seien auch nicht mit allen Pflegekassen abrechenbar.

Gleichwohl würden die Pflegestützpunkte das Kinästhetik-Angebot kennen und bei Bedarf den Kontakt einer Expertin weitergeben, die unter anderem auch Kurse in den Pflegeschulen des Landkreises anbiete.

Ein Mann in blauem Shirt dreht eine Frau in weißer Pflegerkleidung in die stabile Seitenlage.
In seinen Kursen setzt Norman Kuhnle vor allem auf Praxis. Die Teilnehmer sollen jeden Handgriff ausprobieren können. Foto: Norman Kuhnle

Norman Kuhnle würde sein Engagement für pflegende Angehörige gern ausweiten. Die AOK als größte Krankenkasse übernehme die Kosten, erklärt er, bei anderen Kassen könne eine Übernahme abgeklärt werden.

Er setzt in seinen Kursen vor allem auf das Prinzip Selbermachen. „Bei den Kursen steht die Bewegung im Vordergrund“, sagt er. „Man muss sich bewegen, anders geht es nicht.“

Ein Beispiel: Allein die Veränderung des Stands könne der Pflegekraft helfen. Stehen die Füße versetzt, ziehe man nicht nur mit bloßer Kraft am Patienten. Ziel sei es vielmehr, den Patient in die eigene Bewegung mitzunehmen, indem man etwa selbst einen Schritt zurückgehe.

Zu den schwierigsten Situationen in der Pflege gehört laut Kuhnle das Bewegen eines Patienten im Bett beziehungsweise aus dem Bett heraus. Vor allem dabei könne Kinästhetik helfen. „Ich fand es unglaublich, wie man Menschen im Bett bewegen kann, ohne Kraft anzuwenden“, sagt Kuhnle.

nach oben Zurück zum Seitenanfang