
Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen und macht viele Menschen fassungslos: Vor rund drei Wochen schlugen zwei Mädchen in Rastatt eine 14-Jährige brutal zusammen. Mehrere Passanten filmten das Geschehen, griffen aber nicht ein.
Frederik Fietz ist Trainer der Sportgruppe Selbstschutz und Selbstverteidigung am Karlsruher Institut für Technologie in Eggenstein-Leopoldshafen.
Gemeinsam mit Klaus und Jutta Speck bietet er Kurse zur Gewalt- und Mobbingprävention in Schulen und Vereinen an. Im BNN-Interview erklärt Fietz, wie sich Opfer schützen können und was er von der Politik erwartet.
Die Bilder aus Rastatt sind verstörend. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie die Aufnahmen gesehen haben?
FietzIch war geschockt, vor allem, weil niemand dem Mädchen geholfen hat. Dass Betroffene allein gelassen werden, ist leider kein Einzelfall.
Was können Unbeteiligte tun?
FietzBei zwei 14-Jährigen Täterinnen sollte es für einen Erwachsenen normalerweise kein Problem sein, einzugreifen. Das muss nicht körperlich sein: Auch Worte oder ein Notruf können helfen. Eine weitere Möglichkeit ist es, andere Menschen einzuschalten, indem man sie gezielt anspricht. Zum Beispiel: „Sie im roten Pullover, helfen Sie mir bitte.“ Eingreifen ist Pflicht. Ansonsten handelt es sich um unterlassene Hilfeleistung.
Opfer von Gewalt werden im Notfall oft panisch. Wie sollten sie reagieren, um Gefahren abzuwenden?
FietzMobbing kommt in der Regel nicht über Nacht, sondern entwickelt sich über einen längeren Zeitraum. Im besten Fall sollten sich Betroffene frühzeitig an vertraute Personen wenden, etwa Schulsozialarbeiter, Vertrauenslehrer, Freunde oder Familie. So lässt sich die Situation meist vor einer Eskalation entschärfen.
Und wenn es dafür schon zu spät ist?
FietzBei Angriffen ist es wichtig, Abstand zum Täter herzustellen. Oft ist von einer Armlänge die Rede. Ich rate zu mehr, damit man sicher außerhalb der Schlag- und Trittdistanz ist. In unseren Kursen unterrichten wir realistische Selbstverteidigung. Bei uns kann man lernen, wie man sich mithilfe von gezielten Schlägen und Tritten gegen Angriffe wehren kann.
Wie laufen Ihre Workshops in den Schulen ab?
FietzWir arbeiten eng mit den Schulsozialarbeitern zusammen. Sie kennen ihre Klassen am besten und wissen, wo es Probleme gibt. Unser Ziel ist es, für Mobbing zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für die Gefühle von Betroffenen zu schaffen. Das kann zum Beispiel über Rollenspiele und andere Übungen geschehen. Außerdem zeigen wir den Schülern auf, welche Folgen Mobbing haben kann. In manchen Fällen müssen wir drastische Fälle schildern, um die Kinder und Jugendlichen zu erreichen.
Fällt es vielen Schülern schwer, sich in die Betroffenen hineinzuversetzen?
FietzEs gibt Klassen, die dafür überhaupt kein Bewusstsein haben. Vielen Kindern fehlt es an Sozialkompetenz. Das hat auch damit zu tun, dass einige Eltern ihre Erziehungsaufgabe an die Kitas und Schulen übertragen, die das personell nicht leisten können.
Ab wann spricht man überhaupt von Mobbing?
FietzMeist gibt es einen oder wenige Täter, die Betroffene über einen längeren Zeitraum ausgrenzen oder ihnen Gewalt zufügen. Hinzu kommt eine größere Gruppe von Mitläufern, die sich oft deshalb beteiligen, um selbst nicht gemobbt zu werden oder um gut anzukommen. Denn die Täter gelten in der Klasse als cool.
Welche Rolle spielen die sozialen Medien?
FietzCybermobbing macht heute einen großen Teil des Mobbings aus und ist deshalb so schlimm, weil es 24 Stunden am Tag stattfinden kann und die Täter oft anonym sind. Es kommt etwa vor, dass Kinder bewusst aus einer Whatsapp-Gruppe ausgeschlossen werden oder ohne ihr Einverständnis peinliche Bilder verschickt werden.
Unternehmen die Schulen genug gegen Mobbing und Gewalt?
FietzAus meiner Sicht ist die Politik in der Pflicht. Mobbing muss im Unterricht viel stärker thematisiert werden. Wir brauchen genug Sozialarbeiter und Vertrauenslehrer. Das geht nicht ohne Personalaufbau.