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Streng geschützter Greifvogel

Warum der Rotmilan die Planungen für den Windpark in Weingarten erschweren kann

Derzeit läuft die Greifvogelerfassung auf dem Weingartener Heuberg. Die Ergebnisse könnten Auswirkungen auf den geplanten Windpark haben.

Ein Rotmilan gleitet mit ausgebreiteten Flügeln über den blauen Himmel.
Der streng geschützte Rotmilan kommt in Deutschland vor allem in Baden-Württemberg vor. Vor der Umsetzung von Windkraftprojekten wie in Weingarten untersuchen Vogelkundler das Plangebiet nach Greifvogel-Populationen. Foto: Jens Büttner picture alliance / Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Der geplante Windpark in Weingarten ist bei der Bevölkerung umstritten. Die Projektgegner, die den Standort am Heuberg für ungeeignet halten, haben noch ein Ass im Ärmel. Oder besser: in der Luft. Der Rotmilan, ein streng geschützter Greifvogel, hat sich einen Ruf als Windkraftverhinderer erworben.

Laut Bundesnaturschutzgesetz gilt er als „kollisionsgefährdete Brutvogelart“. Experten stufen die Gefahr von Zusammenstößen mit einer Windkraftanlage, die meist tödlich enden, als besonders hoch ein.

An dieser Stelle kommt Raphaele Aßmann ins Spiel. Die Ornithologin vom Karlsruher Fachbüro Mailänder Consult ist für die Vogelerfassung am Heuberg zuständig.

Im Kern ihrer Arbeit steht die Frage, ob eine lokale Population durch das Windkraftprojekt erheblich beeinträchtigt wird. Dann drohen umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen, im Extremfall könnte sogar das gesamte Vorhaben kippen.

Ornithologin erfasst Greifvogel-Population am Heuberg in Weingarten

Insgesamt 20 Termine hat Aßmann auf dem Heuberg, alleine acht davon dienen der Greifvogelerfassung. In den frühen Morgenstunden hält sie Ausschau nach Milan, Bussard und Falke.

„Zu dieser Zeit ist die Thermik am besten“, sagt Aßmann, während sie mit dem Fernglas ihren Blick schweifen lässt. Um kurz nach sieben tut sich wenig, am Boden wie in der Luft. Eine halbe Stunde später lässt sich der erste Turmfalke blicken, der im Rüttelflug auf Beute lauert.

Raphaele Aßmann, Vogelkundlerin beim Fachbüro Mailänder Consult in Karlsruhe, blickt bei der Greifvogelerfassung am Weingartener Heuberg durch ihr Fernglas. Die EnBW will an dem Standort mehrere Windkraftanlagen betreiben.
Raphaele Aßmann, Vogelkundlerin beim Fachbüro Mailänder Consult in Karlsruhe, blickt bei der Greifvogelerfassung am Weingartener Heuberg durch ihr Fernglas. Die EnBW will an dem Standort mehrere Windkraftanlagen betreiben. Foto: Dominic Körner

Kurz darauf, mittlerweile sind die ersten Jogger auf den Beinen, erspäht Aßmann einen Mäusebussard. Der Vogel kreist über dem Heuberg, während eine Feldlerche fröhlich vor sich hin trällert. Und der Rotmilan? Bislang Fehlanzeige.

Mit einer Spannweite von bis zu 1,65 Metern ist er der größte Raubvogel in der Region. Im Anhang der Berner Konventionen als streng geschützte Tierart aufgeführt, leben 60 Prozent seiner weltweiten Bestände in Deutschland – die meisten davon wiederum in Baden-Württemberg.

Als Prüfbereich rund um künftige Windkraftstandorte ist ein Radius von 1,2 Kilometern vorgeschrieben. Innerhalb von 500 Metern gehen Experten von einem „signifikant erhöhten Tötungsrisiko“ aus.

Ausgerechnet die EnBW gibt das Artenschutzgutachten in Auftrag

Alle Greifvogelsichtungen dokumentiert Aßmann gemeinsam mit ihrer Kollegin Laura Kastner, die sich auf der anderen Seite des Heubergs positioniert hat. „Zu zweit lässt es sich besser vermeiden, dass ein Tier doppelt gezählt wird“, erklärt Aßmann.

Die beiden Frauen verfolgen die Vögel in der Luft und achten darauf, welche Horste sie anfliegen. So können sie abschätzen, wie groß die Raubvogel-Population in der Gegend ist. Bereits im Winter fand zu diesem Zweck eine Horstkartierung statt.

Wir machen keine Gefälligkeitsgutachten.
Raphaele Aßmann
Vogelkundlerin beim Fachbüro Mailänder Consult

Zu Fuß erfassten die Vogelkundlerinnen die damals unbesetzten Nester am Heuberg. Ihre Beschaffenheit gibt Hinweise darauf, welche Vögel sie bewohnt haben.

Die Ergebnisse ihrer Vogelerfassung dokumentiert Aßmann in einem Bericht, den der Auftraggeber erhält: die EnBW Baden-Württemberg. Dass ausgerechnet der Vorhabenträger des Windkraftprojekts das Artenschutzgutachten bestellt, hält Aßmann nicht für problematisch.

„Wir machen keine Gefälligkeitsgutachten“, betont sie. Die Natur liege ihr am Herzen. „Wir brauchen die Windkraft“, ist Aßmann überzeugt – „aber nicht um jeden Preis.“ Über den Zwischenstand ihrer Untersuchungen darf die Ornithologin nicht sprechen.

Große Kollisionsgefahr mit Windkraftanlagen bei jungen Rotmilanen

Über mögliche Folgen einer Rotmilan-Population am Heuberg dagegen schon. „Bei einer starken Beeinträchtigung könnte ein Abschalten der Windkraftanlagen während der Brutzeit vorgeschrieben werden“, sagt Aßmann.

Für den Betreiber wäre das Projekt dadurch weniger wirtschaftlich. Eine weitere Auflage könne sein, die Felder rund um die Windräder „so zu pflegen, dass sie weniger artenreich und damit kein attraktives Jagdgebiet für Raubvögel sind“, erklärt Aßmann.

Windkraftgegner und -befürworter tauschen sich auf dem Weingartener Heuberg aus.
Der geplante Windpark in Weingarten ist bei der Bevölkerung umstritten. Im Sommer 2022 trafen sich Windkraftgegner und -befürworter zum Gedankenaustausch auf dem Heuberg. Foto: Holger Keller

Besonders groß sei die Kollisionsgefahr bei jungen und unerfahrenen Rotmilanen, bei schlechtem Wetter oder während der Balzflüge.

Seit 15 Jahren arbeitet die studierte Biogeografin in der Vogelerfassung. Laut eigener Aussage erkennt sie mehr als 100 Vogelarten am Gesang. Die Greifvögel lassen sich auch in der Luft gut unterscheiden. „Der Rotmilan schwenkt beim Flug“, erklärt Aßmann. Die Flügel des Mäusebussards wirken breiter, Falken fallen durch ihre langen Schwanzfedern auf.

Und dann, während Aßmann erklärt, ist er plötzlich doch da: der Rotmilan. „Da ist einer“, sagt Aßmann und zeigt in den Himmel. Majestätisch schwebt der Milan über den Heuberg. Dort, wo in den kommenden Jahren ein Windpark entstehen soll.

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