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Zu wenig Impfstoff

Terminfrust bremst Impf-Euphorie: Nach wenigen Stunden waren alle Dosen verplant

Es ist alles gerichtet. Seit einer Woche stehen die Kreisimpfzentren bereit. Die Termine sind begehrt, nur fehlt das Wichtigste: der Impfstoff! Die Landesregierung bremst jede Euphorie, denn die Spritze gegen das Virus wird vorerst ein knappes Gut bleiben.

Marielotte Kilian (87) aus Wiesbaden-Schierstein wird im Impfzentrum im Kongresszentrum RMCC von Fenna Martin mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft. In Hessen sind die ersten sechs regionalen Impfzentren eröffnet worden. +++ dpa-Bildfunk +++
Marielotte Kilian (87) aus Wiesbaden-Schierstein wird im Impfzentrum im Kongresszentrum RMCC von Fenna Martin mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer geimpft. In Hessen sind die ersten sechs regionalen Impfzentren eröffnet worden. +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Arne Dedert picture alliance/dpa/dpa/POOL

Überall im Land das gleiche Bild: In kürzester Zeit wich bei vielen Menschen die Impf-Euphorie und machte heftigem Terminfrust Platz. Schon wenige Stunden nachdem am Dienstag ab 8 Uhr die ersten Termine für die heiß ersehnten Impfungen in den Kreisimpfzentren des Landes freigeschaltet worden waren, ging gar nichts mehr. Sowohl über die Hotline als auch über das Internet erhielten viele Impfwillige ab 9 Uhr die gleiche Auskunft: „Leider sind in Ihrer Region aktuell keine Termine verfügbar.“

An diesem Freitag werden die 50 Kreisimpfzentren in Baden-Württemberg mit der Arbeit beginnen. Auch in den Zentren unserer Region, in Mönsheim, Pforzheim, Baden-Baden, Bühl, Sulzfeld, Bruchsal und in der Karlsruher Schwarzwaldhalle steht dazu schon seit Tagen alles bereit. Theoretisch könnten hier bis zu 800 Menschen täglich den Piks zum Schutz vor dem Virus erhalten. Theoretisch! Wegen der Lieferverzögerungen beim Impfstoff des Pharmakonzerns Pfizer werden es deutlich weniger sein.

Ein Beispiel: „Wir werden in Mönsheim ab Freitag zwei Wochen lang 21 Menschen pro Tag impfen“, berichtet der Pressesprecher des Enzkreises, Jürgen Hörstmann. In der Appenberg-Halle selbst werden an 14 aufeinanderfolgenden Tagen insgesamt 300 Dosen verimpft. Die anderen 600 Dosen gehen an die Mobilen Impfteams zur Verabreichung in den Alten- und Pflegeheimen.

Impf-Tristesse auch in den beiden vom Landkreis Karlsruhe betriebenen Impfzentren in Bruchsal-Heidelsheim und Sulzfeld. 800 Berechtigte - das sind insbesondere Personen über 80 Jahre - ergatterten einen Termin und können bis 9. Februar versorgt werden. Die wenigen freien Plätze waren nach Angaben des Landratsamtes innerhalb von nur einer Stunde vergeben. Neue Termine werden erst vergeben, wenn neuer Impfstoff verfügbar ist.

Das kreiseigene mobile Impfteam erhält davon unabhängig wöchentlich jeweils rund 200 Dosen zur Impfung von Pflegeheimbewohnern. Weitere rund 200 Dosen pro Woche stehen zur Impfung von Mitarbeitern von Pflegeheimen, Intensiv- und Covidstationen von Krankenhäusern, Rettungsdiensten und vergleichbaren Bereichen wie Dialysezentren, ambulante Pflegedienste, Covid-Abstrichstellen oder Corona-Schwerpunktpraxen zur Verfügung.

Für das Zentrum in der Karlsruher Schwarzwaldhalle waren am Dienstag überhaupt keine Termine verfügbar. Dies geschehe erst nach der Lieferung des Impfstoffes, die für Donnerstag angekündigt ist, so eine Sprecherin. „Da ein großer Teil der erhaltenen Impfdosen durch die Mobilen Impfteams genutzt werden und die Impf-Kapazitäten im Kreisimpfzentrum sowieso deutlich höher sind als die erwartete Liefermenge, gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass sich die Impfungen dort auf einen oder wenige Tage pro Woche konzentrieren werden“, hieß es auf Anfrage.

Ministerium bittet um Geduld

„Klar ist: Es wird sehr, sehr wenig Termine geben. Und viele Menschen werden keinen bekommen“, bremste ein Sprecher des Landesgesundheitsministeriums jede Euphorie. „Das muss man in aller Deutlichkeit so sagen, und wir müssen weiterhin um Geduld bitten.“ Grund seien weniger die fehlende Kapazität oder das Personal als der nicht vorhandene Impfstoff.

Pfizer hatte wegen der Erweiterung seiner Kapazitäten im zentralen Werk in Belgien angekündigt, die Lieferungen des Corona-Impfstoffs reduzieren zu müssen. Nach Angaben des Ministerium sollte am Dienstag die mit den Herstellern Pfizer und Biontech vereinbarte Menge von 111.115 Dosen in 19 Boxen noch geliefert werden. In der Woche vom 25. Januar werden es aber nur noch 64.360 Impfdosen sein, bezogen auf die nun zugelassene Entnahme von sechs statt fünf Dosen aus einer Ampulle, wie aus einem Lieferplan von Biontech hervorgeht, der der Gesundheitsministerkonferenz der Länder vorgestellt wurde. In den ersten beiden Februarwochen erwartet das Land insgesamt weitere rund 193.000 Dosen.

Heißt unterm Strich: Es stehen zunächst in jedem Kreisimpfzentrum nur 585 Impfdosen pro Woche für eine Erstimpfung zur Verfügung. „Und die werden auch noch einmal auf Impfungen im Zentrum selbst sowie auf Impfungen durch die Mobilen Impfteams in den Pflegeheimen verteilt“, sagte Ministeriumssprecher Markus Jox.

Erst in fünf Monaten sind alle Anspruchsberechtigten durch

Allein die Personengruppe der Über-80-Jährigen und des medizinischen Personals, die derzeit impfberechtigt sind, addierten sich aber auf rund eine Million Menschen. „Und derzeit können wir täglich in Baden-Württemberg nur rund 7.000 Menschen impfen“, sagte Jox. Werde nicht mehr Impfstoff geliefert, koste es fast fünf Monate, bis auch der letzte Anspruchsberechtigte einen Termin habe.

Der Impfstoff bleibe weiterhin ein knappes Gut, sagte der Ministeriumssprecher. „Das ist schade, weil unsere Infrastruktur eigentlich mehr zulässt. Wir können diese Lieferungen aber als Land nicht beeinflussen“, verteidigt er die Strategie des Ministeriums.

Opposition kritisiert Impfstrategie

Denn die geriet auch am Dienstag von der Opposition schwer unter Beschuss: SPD-Fraktions- und Parteichef Andreas Stoch warf Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) vor, den Schwarzen Peter den Impfzentren zuzuschieben. Dort beschwerten sich die Menschen, weil noch nicht genügend Impfstoff zur Verfügung stehe. „Und insbesondere die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Corona-Intensivstationen konkurrieren in diesen Tagen mit den 800.000 noch nicht Geimpften aus der ersten Gruppe um eine Impfung“, sagte Stoch abschließend.

Lucha müsse sinnvoll priorisieren. Andere Bundesländer konzentrierten die Impfungen derzeit noch auf die Bewohner und das Personal in Pflegeheimen. Dort sei das Sterberisiko mit Abstand am größten. Wichtig seien auch die Beschäftigten im medizinischen Bereich, die tagtäglich in sehr engem Kontakt zu Corona-Kranken stünden.

Das fordert auch der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann. „Es ist ein Unding, diejenigen, die an vorderster Front stehen, auf allgemeine Verfahren mit langen Wegen zu verweisen“, sagte er. Das medizinische Personal müsse vor Ort in der Klinik geimpft werden können.

Die Gewerkschaft Verdi verlangt, Beschäftigte auf den betroffenen Stationen mit oberster Priorität zu impfen und den Krankenhäusern dafür die erforderlichen Impfdosen zur Verfügung zu stellen. „Die allermeisten warten sehnsüchtig auf ihren Impftermin. In vielen Kliniken im Land gibt es nur Wartelisten und keine Termine“, sagte Verdi-Gesundheitsexpertin Irene Gölz. „Und dass sie begleitend zu ihrer hochriskanten täglichen Arbeit nun auch noch pauschal als Impfmuffel dargestellt werden, stößt vielen bitter auf.“

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