Nein, der Postmann klingelt nicht mehr. Künftig piepst nur die App. Sie sagt, dass das Päckchen im Quartiersdepot liegt und von einem Roboter demnächst ausgeliefert werden kann. Will man es sofort, oder lieber, wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt? Ein Klick genügt.
Klingt nach Zukunftsmusik? Ist aber am Bruchsaler Campus-Gelände an der alten Dragonerkaserne fast schon Gegenwart. An die 20 Leserinnen und Leser der BNN machten sich dort ein Bild vom Bruchsaler „Last Mile City Lab“. Einer Art Versuchslabor der Zukunft. „Doch, das kann ich mir gut vorstellen“, war der fast einhellige Tenor der Leser am Ende des etwa anderthalb Stunden dauernden Blicks in die Zukunft.
Unter dem Stichwort Efeu-Campus hat sich so über die vergangenen Jahren eine Zukunftsvision entwickelt, die langsam konkret wird. Bewundernd laufen die Leser dem kleinen Roboter hinterher. Ja, der fährt mittlerweile tatsächlich autonom.
Roboter rangiert souverän am Hindernis vorbei
Der große Vorführeffekt bleibt aus. Als ein Baugerüst mitten auf seinem Gehweg steht, bleibt der Roboter kurz stehen, „schaut sich um“, er ist mit Lasern und Kameras ausgestattet, und findet dann seinen Weg am Gerüst vorbei.
„Wir leben in einem Zeitalter der Beschleunigung“, sagt Geschäftsführer Thomas Anderer. Dass die großen Player wie Amazon oder DHL mit der Entwicklung eigener, autonomer Roboter Bruchsal den Rang ablaufen könnten, darum macht er sich keine Sorgen. „Es gibt 50 bis 80 ähnliche Entwicklungen.“ Manche davon seien nur Marketing-Gags. Etwa, wenn Roboter Pizzas ausliefern.
Bruchsal wird Zukunftsstadt.Thomas Anderer, Geschäftsführer von Efeu-Campus
In Bruchsal gehe es hingegen um echte Prozess-Lösungen für ganze Städte. So können die Roboter nicht nur Päckchen auf der letzten Meile ausliefern. Sie bringen auch den Müll weg oder nehmen Retouren mit. Künftig sollen sie ergänzt werden von anderen vielversprechenden Bruchsaler Innovationen.
Volocopter will etwa schon bald seine Lastendrohne von der Autobahn ins Quartier fliegen lassen. „Bruchsal wird Zukunftsstadt“, verspricht Anderer. Künftig werde man beim Namen nicht nur an Staus, Schloss und RAF-Gefängnis denken. Längst zeigten Unternehmen wie Telekom oder Airbus Interesse an dem Reallabor.
Lastendrohne landet an der Autobahn und fliegt die Güter über Bruchsal
„Ja, wir werden Fehler machen“, räumt der Visionär Anderer ein. Aber es geht überhaupt darum, etwa zu machen. Weniger Analyse, mehr Ausprobieren. Das ist das Motto. In der ersten Runde hat Efeu-Campus, ein Konsortium aus der Stadt Bruchsal, Firmen wie SEW oder PTV und Hochschulen, bereits EU-Fördermittel von zehn Millionen Euro eingesammelt. Und es geht weiter.
Im nächsten Schritt träumt man davon, dass die Bruchsaler Firma „Trucktower“, große Be- und Entladestationen für Lastwagen an der Autobahn baut und sie mit einem Drohnenlandeplatz auf dem Dach versieht. Dort holt die Lastendrohne dann die Güter ab und transportiert sie ins Quartiersdepot, wo sie vom Roboterwägelchen oder mittels Lastenfahrrad weiterverteilt werden.
„Bruchsal wird enkelfähig“, wirbt Anderer. Es geht nicht um die Zukunft bis 2030, sondern eher bis 2050. Frank Schönung von der SEW-Forschungsabteilung und sein Kollege Maximilian Winter können alle Fragen rund um den kleinen Roboter beantworten.
Was in der Fabrik des Antriebsspezialisten SEW-Eurodrive bereits problemlos läuft, muss auch auf der Straße funktionieren. Dort, wo Kinder spielen, wo Katzen dazwischen laufen. Wo Schnee liegt oder eben Gerüste im Weg steht. „Wie schnell fährt denn das Wägelchen“, will eine Leserin wissen. „Maximal sechs Kilometer pro Stunde. Schrittgeschwindigkeit“, erklärt Schönung.
So kann jederzeit bei Gefahr prompt angehalten werden. Maximilian Winter führt es vor. Er lässt sich ein Päckchen von der Depot-Baustelle einmal quer durchs Wohngebiet an seinen Arbeitsplatz fahren. Läuft man dem Wägelchen in den Weg, bremst es, zur Not abrupt ab.
Noch wird der Roboter in Bruchsal von Menschen begleitet
Recht souverän bewegt sich der Roboter mit der Paketbox so durch die Straßen. Bis zu 100 Kilogramm können transportiert werden. SEW setzt auf das Baukastenprinzip. Das Fahrgestell kann mit verschiedenen Boxen bestückt werden, kann künftig größer ausfallen für schwerere Pakete. Das gesamte Quartier ist millimetergenau kartiert. Bis der Roboter tatsächlich autonom und allein unterwegs ist, muss er noch eine Weile von einem Menschen begleitet werden.
Das sind schon intelligente Leute, die das hier machen.Eine BNN-Leserin
„Das sind schon intelligente Leute, die das hier machen“, raunt eine Leserin bewundernd ihrem Mann zu, als der Leser-Tross gemütlich hinter dem Roboter herläuft. Was, wenn Kinder sich drauf setzen? Was, wenn es Diebe auf den Roboter abgesehen haben?
Alles müssen die Experten mitbedenken, bevor der Wagen in Echtbetrieb geht. Schönung träumt von einer verbesserten Lebensqualität in den Städten. Weil es weniger Verkehr gibt. „Man könnte auch den lokalen Handel einbinden“, so eine weitere Vision. „Warum sollte ein Erzeuger nicht 20 Kilogramm Spargel ins Depot liefern, die dann im Quartier weiterverteilt werden?“, fragt er. Alles scheint möglich.