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Meinung als Provokation

Tauss, Reichelt, Höcke und die wahren Grenzen der Meinungsfreiheit

Was drei aktuelle Rechtsfälle um extreme Meinungen in Bruchsal, Karlsruhe und Halle über die wahren Grenzen des Sagbaren in Deutschland verraten.

Sein erster Freispruch: Jörg Tauss am Donnerstag vor dem Amtsgericht in Bruchsal.
Sein erster Freispruch: Ex-Bundestagsabgeordneter Jörg Tauss am Donnerstag vor dem Amtsgericht in Bruchsal. Foto: Daniel Streib

„Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Ob es wirklich der französische Philosoph Voltaire war, der diesen Satz prägte, ist einerlei. Wichtig ist: Der Sinnspruch über die Meinungsfreiheit sollte sich eine Reihe von Regierungsvertreter und wohl auch mancher Staatsanwalt noch einmal zu Gemüte führen.

Das Pathos der Meinungsfreiheit

Der Satz mag pathetisch klingen und bringt doch ein zentrales Merkmal der echten Demokratie auf den Punkt. Mit weniger Pathos formuliert es das Bundesverfassungsgericht: Der Begriff „Meinung“ ist den Karlsruhern Verfassungswächtern zufolge stets weit auszulegen.

Daran hielt sich am Donnerstag auch eine Richterin am Amtsgericht Bruchsal, die sich mit einem Tweet des umstrittenen Russland-Aktivisten und früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss beschäftigen musste.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte ihn vor Gericht gebracht, weil sie offenbar glaubte, den notorischen Putin-Versteher aus dem Kraichgau abzustrafen und vorführen zu können. Nun steht die Staatsmacht als Düpierte da.

Das ist einerseits unangenehm, weil Tauss mit seinen Thesen über den Ukraine-Krieg nun eine deutlich größere Aufmerksamkeit auf sich zieht, als er sie in seiner Internet-Blase hat.

Die gefühlte Verengung des Sagbaren

Andererseits ist der Bruchsaler Freispruch auch ein beruhigendes Signal in Zeiten, in denen die Ampelkoalition mit einem „Demokratiefördergesetz“ die Leitplanken der Meinungsfreiheit offenbar verengen will. Der fromme Wunsch, die Menschen mit mehr politischer Bildung vor Extremismus zu schützen, darf aber keineswegs zu einer gefühlten Verengung des Sagbaren führen.

Schon jetzt gibt es leider zu viele Akteure, die sich auf allen Kanälen so lauthals wie widersprüchlich beklagen, dass man angeblich nichts mehr sagen dürfe. Deshalb muss die Demokratie auch jene aushalten, die die Meinungsfreiheit für ihre Provokationen auf die Spitze treiben.

Rechtspopulistischer Agitator gegen Bundesregierung

Dazu zählt etwa der vom konservativen Boulevard-Journalisten zum rechtspopulistischen Agitator mutierte Julian Reichelt. Der Ex-Bild-Chefredakteur bekam vor wenigen Tagen vom Bundesverfassungsgericht bescheinigt, dass auch polemische Kritik an der Bundesregierung erlaubt sein muss. Das Bundesentwicklungshilfeministerium hatte ihn wegen eines Postings zu Millionen-Zahlungen „an die Taliban“ angezeigt und sieht sich nun belehrt.

Selbst ein geistiger Brandstifter wie Björn Höcke kann sich auf die freie Rede berufen. Aber wie man am Fall des heimlichen AfD-Führers sieht, gibt es tatsächlich Grenzen.

Höcke steht in Halle an der Saale vor Gericht, weil er verbotene Nazi-Parolen in seine Reden einstreut. Aus gutem Grund macht das Grundgesetz bei derlei „verfassungsfeindlichen Kennzeichen“ eine der ganz wenigen tatsächlichen Beschränkungen der Meinungsfreiheit.

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